Ape Tales
affenBRUT
Sie sind kulturell absolut unbedarft – zumindest in Sachen bildender Kunst. Gleichwohl, sie malen - konzentriert und leidenschaftlich.
Die Arbeiten von Orang Utans entführen den Betrachter über Äonen zurück in eine Zeit, als die Gattung Mensch noch nicht war. Gleichwohl hatte die Evolution bereits einen Sinn für Komposition, Gestaltung und Ordnung hervorgebracht, ihn in ein 'Ästhetik-Modul' gegossen und tief im Primatenhirn verankert.
Rund 13 Millionen Jahre und einen komplexen Stammbaum hominider Formenvielfalt später, irgendwann zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entdeckte Homo sapiens erstaunt die kompositorischen Begabungen seiner Gattungsnachbarn. Und warf so einen ersten Blick auf die genetischen Basics des eigenen ästhetischen Bewusstseins.
In der Mitte des Jahrhunderts, der abstrakte Expressionismus war gerade en vogue, wurde die Affenmalerei ob ihrer äußerlichen Nähe zu diesem Stil zum Medienthema. Nobilitiert durch Ausstellungen, etwa im Institute of Contemporary Arts, blickte eine interessierte Öffentlichkeit gebannt auf die tierischen ‚Künstler’. Der Star unter ihnen hieß Congo, ein Schimpanse, der während seiner zweijährigen Schaffensperiode rund 400 Blätter produzierte. Drei von ihnen kamen unlängst im Londoner Auktionshaus Bonhams für insgesamt 21.515,00 Euro unter den Hammer (vgl. hier).
Doch ist es ‚Kunst’, was der amerikanische Sammler dort ersteigerte? Immerhin hat der Verhaltensforscher Desmond Morris die Affenbilder mit Werken des Tachismus verglichen, einer Richtung der informellen Malerei, die Empfindungen durch spontanes und jede rationale Kontrolle vermeidendes Auftragen von Farbflecken auf die Leinwand auszudrücken sucht.
Kunst – der Begriff ist Verhandlungssache. Im Laufe der Jahrhunderte und in den verschiedenen Kulturen hat er einen steten Bedeutungswandel erfahren, tut es noch. Werkbezogen lautet eine populäre Formel: Kunst ist das Ergebnis eines kreativen Prozesses. So gesehen: die Orang Utans sind kreativ, zumindest rudimentär. Und die Produkte ihres Tuns sind deshalb auch Kunst.
Oder aber eine der Prämissen ist falsch.
Weitgehend unstrittig ist, dass einfache, kreative Leistungen zum Repertoire der Menschenaffen gehören, mithin biologisch verankert sind. Auch der renommierte Primatenforscher Frans de Waal geht davon aus, dass der "Keim der Ästhetik" bei Menschenaffen bereits aufgegangen sei. Und Desmond Morris postuliert einen dem Menschen wie dem Affen angeborenen Trieb, sich ästhetisch auszudrücken. (...)
Die Arbeiten der Orang Utans können als eindrucksvolle Belege einer rudimentären, ästhetischen Kompetenz gesehen werden. Und einer vitalen Kreativität, die sie spielerisch auf Höhe ihres Evolutionsstandes ausagieren. Vielleicht wäre eine angemessene Deklaration ihrer Zeichnungen und Bilder der Begriff 'affenBRUT' – in Anlehnung an den Begriff 'Art brut'. Der meint die rohe und kulturell unverfälschte Kunst von gesellschaftlichen Außenseitern, die ihre Kreativität nicht entlang zivilisatorischer Schablonen ausleben, nicht eingezwängt sind von den vorherrschenden Rastern der Ästhetik – zumindest tendenziell.
Heinz Hachel
Aus tierrechtlicher Sicht ist die Gefangenhaltung von Menschenaffen (und anderer Tiere) in Zoos grundsätzlich inakzeptabel. Wenn und solange Tiere indes in Gefangenschaft gehalten werden, müssen ihnen sinnvolle Beschäftigungsangebote gemacht werden, die kognitiver, emotionaler und kommunikativer Deprivation entgegenwirken. Die o.a. Bilder stammen von der Orang Utan-Frau Nonja, die seit ihrer Geburt im Zoo Schönbrunn in Wien lebt.