Auch wenn sich die Verfassungsbeschwerde der Tierrechtsorganisation PeTA zum Bundesverfassungsgericht vom 18.11.2019 nicht um Menschenaffen dreht, ist sie doch auch für die Forderungen des Great Ape Project nach Grundrechten für ebendiese
von größter Relevanz. Das Bundesverfassungsgericht soll darüber entscheiden, ob Ferkel gegen ihre eigene Kastration klagen können. In anderen Worten: Können Tiere vor Gericht
klagen?
Sind Tiere auch nur Menschen?
aus: DIE ZEIT vom 20.11.2019
Egal wie der Fall ausgeht, er schreibt schon jetzt Rechtsgeschichte. Zum ersten Mal klagen Tiere in Deutschland ein Recht auf Schmerzfreiheit ein. Im Namen männlicher
Ferkel hat die Tierrechtsorganisation Peta am Dienstag dieser Woche in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der Vorwurf: Die massenhafte Kastration junger Schweine
verletze diese in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Nicht nur der Mensch, sondern auch andere Kreaturen, vor allem Wirbeltiere, hätten einen im Grundgesetz
verbürgten Anspruch darauf, vor unerträglichem Leid bewahrt zu werden.
Kein Zweifel, für den Fleischgenuss bestimmte männliche Ferkel müssen oft schreckliche Qualen ertragen: Um den durch Sexualhormone hervorgerufenen unangenehmen Ebergeruch zu vermeiden, dürfen ihnen bis zu ihrem achten Lebenstag die inneren Geschlechtsorgane entnommen werden. Mit
einem Skalpell wird ihnen dabei die Hodenhaut durchschnitten, werden die Samenstränge durchtrennt und anschließend die Hoden entfernt. Der chirurgische Eingriff findet mal unter Narkose, in anderen
Fällen ohne Betäubung statt.
Zahlreiche Gutachten belegen, dass beide Methoden bei den Ferkeln schwere Angstzustände und heftige Schmerzen verursachen. Laut Peta schützt das Grundgesetz die Tiere
davor. Sie seien, sagen die Rechtsanwälte der Organisation, als Mitgeschöpfe rechtsfähig. Ihre "Schmerzfähigkeit", heißt es in der Beschwerdeschrift, "wird als eine wesentliche Voraussetzung ihres
Schutzes angesehen, sie liegt nahezu allen Vorschriften des Tierschutzgesetzes zugrunde."
Die Ferkel sollen sich eigenständig vor Gericht gegen ihre Kastration wehren dürfen? Gehört diese Vorstellung nicht in das Reich der Fabelwelt, in George Orwells
Farm der Tiere?
Die Richter in Karlsruhe könnten es sich leicht machen und die Verfassungsbeschwerde mit einem bis heute weithin akzeptierten Argument vom Tisch wischen: Träger von
Rechten ist allein der Mensch oder eine juristische Person, nicht aber das Tier. So sah es das Hamburger Verwaltungsgericht, als es 1988 eine Klage von Robben gegen die Vergiftung der Nordsee erst
gar nicht zuließ. Oder ein US-Gericht, als es die Klage eines schwer leidenden Schimpansen auf Freilassung aus seinem Käfig ablehnte.
Doch die Sache mit den Ferkeln ist komplizierter, sie stecken nämlich in einer juristischen Falle. Von Gesetzes wegen sollte längst Schluss sein mit ihrer Pein. Schon
2013 beschloss der Bundestag den Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration und gewährte den Züchtern für die Einführung schmerzfreier Methoden eine Frist bis zum Januar 2017. Doch weil die
Landwirte mit der Umstellung nicht nachkamen, wurde die Frist immer wieder verlängert, erst bis Anfang 2019, dann bis zum 31. Dezember 2020.
Die Folge: Allein in diesem Jahr wurden noch einmal zwischen 20 und 25 Millionen Ferkel der grausamen Kastrationsprozedur unterzogen, bis Ende des kommenden Jahres
werden es weitere Millionen sein. Wer also kann den tierischen Qualen ein Ende setzen, wenn sich der Gesetzgeber nicht an seine eigenen Vorgaben hält? Im Grunde nur die Schweine selbst – mithilfe des
Verfassungsgerichts. So völlig abwegig ist die Idee nicht, ihnen in dieser Notlage ein eigenes Recht auf körperliche Unversehrtheit zuzugestehen. Wie aber stellt man ein Tier dem Menschen rechtlich
gleich?
Für Aristoteles waren Tiere den Menschen absolut untergeordnet, René Descartes sah in ihnen bloß seelenlose Maschinen, und für Immanuel Kant unterschied sich der
Mensch dank der ihm eigenen Vernunftfähigkeit von anderen Kreaturen. Der Mensch handele, Tiere verhielten sich nur.
Doch der Blick auf Tiere hat sich mit der Zeit und dem wissenschaftlichen Fortschritt fundamental gewandelt. Heute wissen wir, dass Tiere oft viel klüger und sensibler
sind, als lange behauptet wurde. Dass sich zum Beispiel Schimpansen an Vergangenes erinnern und für die Zukunft planen und dass viele Tierarten lieben, denken, Empathie empfinden und leiden wie ein
Mensch.
Gesetze definieren Tiere als Mitgeschöpfe
Diese Erkenntnis hat in den vergangenen Jahren auch die deutsche Rechtsordnung verändert. Tieren wird inzwischen durchaus ein eigener Status zugebilligt. Im Jahr 2002
wurde der Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen. Gesetze
definieren Tiere als Mitgeschöpfe und nicht mehr wie ehedem als bloße Sache. Auch wenn Tiere nach wie vor gekauft, verkauft und für die menschliche Ernährung auch geschlachtet werden dürfen, kann ihr
Eigentümer nicht mehr mit ihnen machen, was er will.
Vor allem ist das Verbot, Tiere anhaltenden erheblichen Schmerzen oder psychischem Leid auszusetzen, heute von so elementarer Bedeutung, dass ein Verstoß mit bis zu
drei Jahren Gefängnis bestraft wird. Daraus, so argumentiert die Tierrechtsorganisation Peta, müsse man schließen, dass männliche Ferkel zumindest hinsichtlich ihrer körperlichen Unversehrtheit
Grundrechtsträger seien. Inhaber "subjektiver Rechte" also.
Doch ließen sich das subjektive Recht und die Rechtsfähigkeit auf die körperliche Unversehrtheit beschränken? Müssten sich Tiere dann nicht erst recht gegen das
Schlachten wehren können, und müsste am Ende gar die Maus von Rechts wegen vor der Katze gerettet werden? Und wenn es für die juristische Begründung auf die Leidensfähigkeit eines Tieres, auf seine
Nähe zu menschlichen Empfindungen ankommt, müsste es nicht eine Rangordnung unter den Kreaturen geben? Mit anderen Worten: Hätte der Menschenaffe einen höheren Status und damit mehr Rechte als etwa
das Huhn? Und welchen Platz nähmen wirbellose Tiere oder Einzeller ein?
Weil es ihnen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen Schmerzen und Stress bereitet, dürfen in der Schweiz Hummer nicht mehr bei lebendigem Leib gekocht oder auf Eis
transportiert werden. Österreich, Neuseeland und die Niederlande haben Versuche an Menschenaffen untersagt, und ein argentinischer Richter hat in einem Fall einen Schimpansen sogar für rechtsfähig
erklärt.
Dennoch, die Rechtsordnungen halten weitgehend daran fest, dass nur Menschen Rechtsträger sind. Im Jahr 2010 lehnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den
Antrag von Tierschützern ab, einen Affen juristisch als Person zu behandeln. Und 2014 urteilten US-Richter, dass selbst ein Menschenaffe keine rechtliche Verpflichtungen eingehen, keine Verantwortung
übernehmen, nicht sein Verhalten reflektieren oder für seine Taten juristisch zur Verantwortung gezogen werden könne. Auch das deutsche Tierschutzgesetz stellt nach wie vor den Menschen in den
Mittelpunkt und definiert den Gesetzeszweck, "aus der Verantwortung des Menschen, für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen".
Im Jahr 1972 löste der US-Amerikaner Christopher D. Stone mit seinem Aufsatz "Should Trees Have Standing?" Unruhe in der Juristenzunft aus, denn er dachte bis dahin
schier Undenkbares: Die Natur, so Stone, habe eigene Rechte, ein Wald zum Beispiel müsse gegen seinen Kahlschlag selbst klagen dürfen, denn in erster Linie werde ja die Natur und nicht der Mensch
verletzt.
Ein eigenes Klagerecht erhielten die Bäume nicht, aber Stones Plädoyer führte zum Siegeszug der umweltrechtlichen Verbandsklage. Dank ihr dürfen inzwischen auch in
Deutschland Vereine als Sachwalter der Natur vor Gericht ziehen und die Bewahrung der Umwelt und die Einhaltung von Gesetzen einfordern. Der Tierschutz kennt dieses Instrument allerdings noch nicht,
er hinkt merkwürdigerweise hinterher. Aber vielleicht ebnen die vor das Bundesverfassungsgericht ziehenden Ferkel den Weg für eine Verbandsklage. Dann könnte der Tierrechtsverein Peta aus eigenem
Recht für die Schmerzfreiheit seiner Schützlinge streiten.
Aus: DIE ZEIT vom 20.11.2019 (Autor: Martin
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