BALLY und LIMBO

 Qualhaltung von Schimpansen im Zoo Krefeld

 

In der Silvesternacht 2019/20 kamen bei einem Brandinferno im sogenannten „Tropenhaus“ des Krefelder Zoos mehr als fünfzig dort gehaltene Tiere zu Tode, darunter acht Menschenaffen (vgl. TIERBEFREIUNG #106/März 2020). Die Verantwortung für den Brand ist trotz gegenteiliger Behauptung des Zoos bis heute nicht restlos geklärt.

Fotomontage

Wie durch ein Wunder überlebten zwei Schimpansen die Katastrophe. BALLY (46) hatte schwere Verbrennungen im Gesicht erlitten, LIMBO (26) dagegen war nur relativ leicht verletzt. Nach medizinischer Erstversorgung wurden sie in einem Absperrraum der vom Brand nicht betroffenen neuen Gorillaanlage in unmittelbarer Nachbarschaft des völlig abgebrannten „Tropenhauses“ untergebracht. In diesem bis auf ein kleines Seitenfenster jenseits eines Versorgungsganges und zwei intransparente Milchglasoberlichten fensterlosen Bunkerraum sind die beiden Schimpansen seither weggesperrt. Anstatt der für die Haltung von Schimpansen in Zoos vorgeschriebenen Mindestgrundfläche von 400qm - 200qm im Innen- plus 200qm im Außenbereich -, stehen ihnen gerade einmal 42,5qm zur Verfügung, einschließlich zweier je 7,5qm großen „Schlafboxen“. Ein Außengehege gibt es für die beiden Tiere nicht: sie haben den Absperrraum seit dem Tag der Brandkatastrophe nicht verlassen.

 

Ein Ende der tierschutzwidrigen Unterbringung der beiden Schimpansen „hinter den Kulissen“ des Krefelder Zoos ist nicht absehbar. Auch wenn die Zooleitung seit Monaten verlautbart, sie mühe sich um einen Platz in einem anderen Zoo, ist nichts dergleichen in Sicht.

 

Das Mitte letzten Jahres schon an den Zoo ergangene Angebot des Wales Ape & Monkey Sanctuary, eines staatlich anerkannten und veterinärbehördlich lizensierten Primatenschutzzentrums in UK, die Schimpansen sofort aufzunehmen, lehnte der Zoo Krefeld ab. Mit der Begründung, es handle sich um eine private Auffangeinrichtung und eben nicht um einen Zoo; man werde die Tiere aber nur an einen anderen Zoo abgeben.

 

Das Great Ape Project hat mit Blick auf die tierschutzwidrige Haltung der Schimpansen schon im Juni 2020 Strafanzeige gegen den Zoo, gegen die Stadt Krefeld als dessen Haupteignerin sowie das örtliche Veterinäramt erstattet. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat zwar Ermittlungen aufgenommen, ist aber mehr als ein halbes Jahr später immer noch zu keinem Ergebnis gekommen.

 

Anfang 2021 – zum ersten Jahrestag der Brandkatastrophe - wurde eine online-Petition gestartet mit der Forderung, die Qualhaltung der beiden Schimpansen sofort zu beenden und sie in das Waliser Auffangzentrum zu überstellen. Die Petition wurde innerhalb kürzester Zeit von 35.000 Menschen unterzeichnet, das zuständige Veterinäramt wurde mit zahllosen Beschwerden, auch von namhaften Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen, eingedeckt. Sämtliche NRW-Medien, sogar das Öffentlich-Rechtliche (WDR), berichteten über den Fall. Der Druck auf den Zoo wuchs enorm an.

 

Gezielte Diffamierung eines Sanctuaries

 

Anstatt nun aber die Möglichkeit seriös zu prüfen, die beiden Schimpansen nach Wales zu verbringen, zog der Zoo einen „Experten“ bei, der die Fortdauer der Qualhaltung als gänzlich akzeptabel und gar notwendig für den weiteren Heilungs- und Rehabilitationsprozess der Tiere befand; und zugleich das Waliser Primatenrefugium, das sie sofort aufzunehmen sich bereiterklärt hatte, nach Kräften abwertete. Besagter „Experte“, ein gewisser Patrick van Veen, ist zwar studierter Biologe, arbeitet aber seit fast 20 Jahren als Managementtrainer. Bevorzugt veranstaltet er Seminare für Führungskräfte der freien Wirtschaft („Sozialverhalten am Arbeitsplatz“) direkt in Zoos, vor der Kulisse eingesperrter Affen. Sein primatologisches Renommee bezieht er aus dem Umstand, dass er, weshalb auch immer, im Vorstand des Jane-Goodall-Instituts Global sitzt.

 

Van Veen ist weder Veterinärmediziner noch auf Menschenaffen spezialisierter Psychologe. Gleichwohl „begutachtete“ er im Auftrag des Zoos die beiden Schimpansen und befand nach kurzzeitiger Ad-hoc-Beobachtung: „Die Schimpansen Bally und Limbo wirken optisch und verhaltenstechnisch [sic!] gesund. Es gibt keine Anzeichen für Stress, Unbehagen oder Krankheit, induziert durch das erlebte Trauma oder in Reaktion auf ihre aktuelle Situation." Weitergehende Untersuchungen an oder mit den Tieren führte er nicht durch.

BALLY und LIMBO

In seiner Empfehlung für die mittel- und langfristige Planung im Umgang mit den Schimpansen befand er: „Momentan sind Limbos und Ballys individuelles Wohlbefinden und Gesundheit wichtiger als eine schnelle Lösung zu finden, die beruhend auf falschen Urteilen, Gruppenzwang oder Emotionalität getroffen wird. Die Stabilität, der enge Kontakt zu den vertrauten Pflegern und gute Betreuung sind zum jetzigen Zeitpunkt das Wichtigste.“ Erst wenn die Schimpansen noch länger - mehr als sechs weitere Monate(!) - im Krefelder Zoo verblieben, müssten weitere Optionen angedacht werden.

 

Hinsichtlich der Verbringung der beiden Schimpansen in die Waliser Auffangstation befand van Veen: „Ich würde diese Entscheidung nicht unterstützen, da es keine Sicherheit für eine bestmögliche Pflege gibt. Wir müssen uns im Klaren sein, dass viele Zoos in diesem Fall bessere Konditionen anbieten können (Gehege-Qualität, Pflege, soziale Struktur) als das vorgeschlagene Sanctuary“, das er überhaupt nicht kennt.

 

Mit dem „Gutachten“ van Veens im Rücken trat der Zoo breitangelegt in die Öffentlichkeit und bekräftigte, den beiden Schimpansen gehe es „körperlich und psychisch gut“, eine Abgabe an das Waliser Sanctuary wäre ihrem Wohlergehen abträglich. Auch Tom de Jongh, "Zuchtkoordinator" des europäischen Zoodachverbandes EAZA und gleichfalls vom Krefelder Zoo beigezogener „Experte“, wusste das Waliser Sanctuary als untauglich abzuwerten. Eingestandenerweise ist auch ihm das Sanctuary völlig unbekannt.  

 

Und jetzt?

 

Fortgesetzt gab und gibt der Zoo an, sich über eine Vermittlungsagentur des europäischen Zoodachverbandes um eine schnellstmögliche Verbringung der beiden Schimpansen in einen anderen Zoo zu bemühen (was er angeblich schon seit einem dreiviertel Jahr tut). Gleichzeitig ist aber auch die Rede davon, die Tiere sollen Teil der neuen Menschenaffenanlage werden, die anstelle des abgebrannten „Tropenhauses“ geplant ist. Die mit mehr als 20 Mio Euro Baukosten veranschlagte neue Anlage wird allerdings frühestens in drei bis vier Jahren bezugsfertig sein - bislang steht noch nicht einmal die Finanzierung -, was für die Schimpansen Bally und Limbo bedeuten würde: sie bleiben weiterhin und auf unabsehbare Zeit in einem völlig ungeeigneten Bunkerraum weggesperrt.

Vom Zoo Nadermann nach WAMS umgezogene Schimpansin USCHI

 

Wales Ape & Monkey Sanctuary

 

Das WAMS, gelegen am Rande des Brecon Beacons National Park im Süden des Landes, nimmt seit mehr als 20 Jahren alte, kranke, behinderte  und/oder verhaltensgestörte Primaten auf. Derzeit leben rund 120 Tiere dort. Bei Bedarf werden Tierrettungsaktionen quer durch Europa durchgeführt, das WAMS verfügt insofern über einen international als Quarantänefahrzeug zugelassenen Großraumtruck.

 

Viele der aufgenommenen Tiere stammen aus maroden oder pleitegegangenen Zoos (aus ganz Europa, auch aus Deutschland). Andere stammen aus Zirkussen, die die Tiere abgeben, da sie mit mitgeführten Primaten keine Auftrittsmöglichkeiten mehr bekommen oder von Privathaltern, die mit den Tieren überfordert oder ihrer überdrüssig geworden sind (oder denen die Tierarztkosten über den Kopf wachsen). Die meisten der kleineren Affen stammen aus Pharmalaboren, von denen sie aussortiert wurden, da an ihnen nicht mehr experimentiert werden kann. Ein großer Teil der Tiere stammt aus veterinäramtlichen Beschlagnahmungen.

 

In Sanctuaries wie dem WAMS werden mühsam die Scherben tierlicher Existenzen wieder zusammengefügt, die in Zoos, Zirkussen, Pharmalaboren und in unfähiger Privathaltung zerbrochen wurden. Die aufgenommenen Tiere sind in der Regel schwer traumatisiert und benötigen daher besonders zeit- und kostenaufwändige Betreuung. Allein die Kosten der tierärztlichen Versorgung und Medikation machen die Hälfte des monatlichen Budgets aus. Finanziert wird das Sanctuary in erster Linie über Spenden und Patenschaften.

 

Nur relative Freiheit

 

Auch in einem Sanctuary leben die Tiere in Gefangenschaft und „hinter Gittern“, eine Rückverbringung in ihre natürlichen Heimaten ist unmöglich: sie könnten dort nicht eigenständig überleben. Wirkliche Freiheit kann ihnen daher nicht zurückgegeben werden, die wurde ihnen durch die teils jahrzehntelange Gefangen- und Qualhaltung in Zoos, Zirkussen, Pharmalaboren und in Privathand auf Lebenszeit gestohlen. Ein Sanctuary kann nur den Versuch machen, ihnen - mit den in der Regel beschränkten Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen - ein einigermaßen art- und tiergerechtes Leben zurückzugeben.

 

Ohne das WAMS würde keines der dort aufgenommenen Tiere heute noch leben. Sie wären von ihren vorherigen Haltern ausgesetzt oder längst eingeschläfert worden. Das WAMS vermittelt - im Gegensatz zu anderen Primatensanctuaries in Europa - aufgenommene Tiere grundsätzlich nicht an Zoos oder andere Tierhalter zurück. Selbstverständlich wird nicht „gezüchtet“, was nur eine Fortsetzung der Haltung von Wildtieren in Gefangenschaft bedeuten würde.

Colin Goldner

Tierbefreiung #110/April 2021

Auszug aus den zahlreichen Medienberichten zum Thema

 

Ungewisse Zukunft nach Brand: Überlebende Schimpansen in Krefeld. in STERN vom 7.6.2020

 

Ein Jahr nach dem Silvesterbrand im Krefelder Zoo: Überlebende Schimpansen noch immer tierschutzwidrig untergebracht. in: prowildlife vom 22.12.2020

 

Zwei Überlebende der Brandkatastrophe im Krefelder Zoo sitzen immer noch in einem Provisorium. in GEO vom 8.6.2021

Zur Geschichte des Krefelder Zoos VOR der Brandkatastrophe. >>> hier

Zur Brandkatastrophe der Silvesternacht 2019/20: >>> hier

Mahnwache zum zweiten Jahrestag der Brandkatastrophe: >>> hier