Behavioral Enrichment

Malerei einer Orang Utan-Dame

Was ist unter Behavioral Enrichment im Zoo zu verstehen?

 

Vor dem Hintergrund zunehmender Kritik an den Haltungsbedingungen von Zootieren wurde Ende der 1990er in den USA das Konzept des sogenannten „Behavioral Enrichment“ entwickelt, das Ideen vorstellte, wie der Langeweile der Tiere (bzw. dem für Besucher unattraktiven Anblick sich langweilender Tiere) durch „Verhaltensanreicherung“ entgegen-gewirkt werden könne. „Beschäftigung“, wie der Dachverband der Zoobetreiber (VDZ e.V.)  jüngst in einer Presseerklärung mitteilte, sei „eines der wichtigsten Elemente der modernen tiergerechten Zootierhaltung“.

 

Der Zoo Krefeld hält sich insofern für besonders modern und tiergerecht: er rühmt sich, „Deutschlands einzige Fachfrau für Tierbeschäftigung“ angestellt zu haben. Diese „Fachfrau“, eine gelernte Medizinisch-technische Assistentin und Hobbymalerin, hat von 2006 bis 2014 mit gerade einmal vier im Krefelder Zoo untergebrachten  Orang Utans gelegentliche „Malstunden“ veranstaltet, bei denen die Tiere mit untoxischen Farben auf Papierbögen oder Leinwand herumklecksen durften. (Die Bilder wurden und werden über eine eigene Agentur gewinnbringend verkauft.) Nachdem die vier Orang Utans verstorben bzw. an andere Zoos verschubt worden waren, schliefen die „Malstunden“ im Krefelder Zoo ein. Seither veranstaltet die „Fachfrau“ 1-tägige Kurse "Tierbeschäftigung im Zoo", bei denen die TeilnehmerInnen Spiel- und Beschäftigungsmaterial für Zootiere basteln (Kursgebühr 180 Euro): „Aufgeschnittene Fußbälle und Papprollen dienen als Versteck für Leckereien wie Datteln, Möhren oder Paprika; Plastikschläuche werden mit Joghurt gefüllt und mit Haselnüssen verschlossen, Leinensäcke werden mit Futter befüllt und mit Knoten zugeschnürt. Das Ziel: den Weg vom Spielzeug zum Futter für das Tier möglichst lang und abwechslungsreich zu gestalten.“

 

Zusätzlicher Schau- und Erlebniswert

 

Der Begriff des „Behavioral Enrichment“ findet sich heute in praktisch jedem Zoo. Tatsächlich aber kommt nur ein minimaler Prozentsatz der vorgehaltenen Tiere - in erster Linie Bären, Elefanten, Großkatzen und Primaten - in den Genuss entsprechender „Anreicherung“. In der Praxis geht es um drei (gelegentlich ineinandergreifende) Aspekte:

 

1. Über Anreicherung ihres physischen Lebensraumes sollen die Tiere zu körperlicher Betätigung angeregt werden. Zu diesem Zweck werden die Käfige und Gehege mit entsprechenden Klettermöglichkeiten ausgestattet (Totholzstämme, Gerüste aus Holz oder Stahlrohr, Wippstangen, erhöhte Podeste, Hängematten, Seile, Feuerwehrschläuche, aufgehängte LKW-Reifen, Plastiktonnen etc.)

 

2. Über Anreicherung der sozialen Kontaktmöglichkeiten soll das Verhaltensrepertoire der Tiere erweitert werden. Zu diesem Zweck werden Tiere unterschiedlicher Spezies in ein und denselben Käfig gesetzt. Der Vorteil solcher „Vergesellschaftung“ von Tieren, deren Lebenswege sich in freier Wildbahn nie kreuzen würden, liegt ausschließlich im Blick der Besucher, die ein „lebendigeres“ und damit attraktiveres Bild zu sehen bekommen.

Behavioral Enrichment im Zoo Wuppertal

3. Über Anreicherung der Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten sollen die Tiere kognitiv angeregt werden. Es werden ihnen insofern ausrangierte Decken, Fußbälle, Gummistiefel, etc. zur Verfügung gestellt, auch Plastikflaschen, Obstkartons, leere Margarine- oder Eiscremedosen, Papiertüten, Zeitungen und was sonst die Tierwärter für geeignet halten. Auch die „Malstunden“ bei den Krefelder Orang Utans fallen in diese Kategorie.

 

Vielfach besteht das „Behavioral Enrichment“ in nichts anderem, als dass die Wärter das auszureichende Futter schwungvoll im Käfig oder Gehege verteilen, so dass die Tiere es sich vom Boden zusammensammeln müssen. Gelegentlich werden auch „Futterpakete“ präpariert oder das Futter wird im Gehege versteckt bzw. an schwer zu erreichenden Stellen aufgehängt, was die Tiere zu verstärkter Aktivität bewegen soll; wobei es augenfällig weniger um sinnvolle Beschäftigung der Tiere geht, als darum, einen zusätzlichen Schau- und Erlebniswert für die Besucher zu erzielen: die Fütterungszeiten werden in jedem Zoo groß angekündigt und gelten als Fixpunkte jedes Zoobesuchs.

 

Auch die in vielen Zoos veranstalteten Dressurshows - vor allem marine Säugetiere (Robben, Seelöwen, Delfine etc.) und Greifvögel (Falken, Adler, Eulen etc.) werden hierzu herangezogen - werden als Beiträge zum körperlichen und kognitiven „Enrichment“ der Tiere ausgewiesen. Selbst die mittlerweile standardmäßig durchgeführten „Medical- and Husbandry-Trainings“, bei denen Tiere bestimmter Arten (vor allem Menschenaffen, Bären, Seelöwen  und Elefanten) über operante Konditionierung („Klickertraining“) lernen, auf Kommando am Gehegegitter einzelne Körperteile zu präsentieren (zu Untersuchungs- oder Pflegezwecken  bzw. zur Blutabnahme), werden dem „Behavioral Enrichment“ zugerechnet, auch wenn das kognitiv wenig anspruchsvolle Training ausschließlich der medizinischen oder sonstig pflegerischen Versorgung der Tiere dient (die insofern nicht bei jeder Maßnahme in Narkose gelegt werden müssen). Die Behauptung, das Klickertraining rege die Tiere „geistig und körperlich an und vermeidet bzw. verringert Stereotypien“, ist heillose Übertreibung.

 

in: Tierbefreiung # 93, Dez 2016