Bergzoo Halle
Candle Light Dinner & Geisterspuk
Der Zoologische Garten Halle
Die kreisfreie Stadt Halle an der Saale ist mit rund 235.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Sachsen-Anhalts (nach Magdeburg). Schon 1901 wurde auf dem Gelände einer das Stadtgebiet überragenden etwa 130 m hohen Vulkaniterhebung, Reilsberg genannt, ein Zoologischer Garten begründet. Der insofern als „Bergzoo“ bezeichnete Tiergarten übernahm die Grundkonzeption eines hundert Jahre davor schon auf dem Reilsberg angelegten klassizistischen Landschaftsparks.
Besondere Förderung erhielt der Zoo Halle während des „Dritten Reiches“. Unter der Leitung des seinerzeitigen Zoodirektors Friedrich Schmidt-Hoensdorf – seit 1933 Mitglied der NSDAP und des SS-Reitersturms – wurden vom NS-Reichsarbeitsdienst zahlreiche Um- und Neubauten durchgeführt. Eine Aufarbeitung seiner NS-Geschichte hat der Zoo Halle noch nicht einmal angedacht: die Zeit zwischen 1933 und 1945 wird in den Annalen komplett ausgeblendet.
Heute hält der Zoo auf dem in sich begrenzten Parkgelände von neun Hektar 1700 Tiere aus 250 Arten vor. Nach Angaben des seit 1995 als städtische GmbH betriebenen Einrichtung liegen die Besucherzahlender konstant bei rund 330.000 pro Jahr (wobei, wie in Zoos üblich, nicht zwischen BesuchEn und BesucheRn unterschieden wird: tatsächlich dürfte der Zoo Halle jährlich von allenfalls 85.000 Menschen, teils mehrfach, besucht werden.)
Für Kinder wird ein weitläufiger Spielplatz vorgehalten, dazu der obligate Streichelzoo. Das ganze Jahr über gibt es Sonderveranstaltungen (Rosenmontag, Walpurgistag, Halloween usw.), bei denen die Kinder verkleidet und geschminkt durch den Zoo laufen dürfen; an Ostern werden „Ostereier durch den Osterhasen verteilt“. Selbstredend werden Kindergeburtstage organisiert, auch Zooralleys und thematische Führungen (z.B. „Auf Tarzans Spuren durch den Regenwald“). Für Erwachsene gibt es „Frühschoppen mit Blasmusik“, wahlweise auch „Klassische Serenaden“ und am Valentinstag „Romantisches Candle Light Dinner“ im Raubtierhaus (u.a. mit „gefülltem Schweinerücken“ für 50 Euro pro Person).
DDR-Hinterlassenschaften
Das mit neun Hektar relativ kleine und seiner teils extremen Hanglage wegen nur bedingt für Tiergehege nutzbare Gelände des Zoos erscheint mit den 1700 darauf vorgehaltenen Tieren viel zu dicht besetzt. (Bis zur „Wende“ lag der Tier- und Artenbestand im Zoo Halle sogar noch höher als heute; selbst extrem flächenbedürftige Tiere wie Giraffen und Nashörner wurden auf dem beengten Areal gehalten.)
Trotz zahlreicher Modernisierungs- und Umbaumaßnahmen, die in den Jahren nach 1989 vorgenommen wurden, weist der Zoo immer noch eine Vielzahl heillos veralteter Gehege auf. Die Außenanlage der Faultiere etwa oder der Innenbunker der Zwergflusspferde, auch einige der Vogelkäfige und Großvolieren, stammen offenbar noch aus frühen DDR-Zeiten. Und selbst die Generalrenovierung einzelner Anlagen brachte für die darin gehaltenen Tiere nicht notwendigerweise eine Verbesserung: das Großkatzenhaus beispielsweise, in dem je zwei Löwen, Tiger und Jaguare untergebracht sind, wurde bis 2003 von Grund auf saniert und heutigem Publikumsgeschmack angepasst; an den extrem beengten Verhältnissen des unter Denkmalschutz stehenden (und insofern kaum veränderbaren) Gebäudes und damit an den Haltungsbedingungen für die Tiere änderte das nicht viel. Auch die mit künstlich hergestelltem Salzwasser befüllten Betonkuhlen, die den rund 30 Humboldt-Pinguinen oder den Seebären zugestanden werden, sind von nachgerade lächerlichen Ausmaßen. Dasselbe gilt für das 2005 eröffnete sogenannte „Krokodilhaus“.
Die seit 1974 in Halle vorgehaltenen jeweils zwei Schimpansen erhielten 2001 eine neue Unterkunft (nachdem sie 27 Jahre lang [!] in einem trostlosen Betonbunker gehalten worden waren). Für das neue Gehege wurde ein heruntergekommener Geräteschuppen aus den 1920ern, der zwischenzeitlich schon einmal als „Affenhaus“ genutzt worden war, instandgesetzt und zu einem begehbaren „Tropenhaus“ umgebaut. Seither werden dort exotische Fische und Kleinreptilien gezeigt. Durch großflächige Sicherheitsglasscheiben vom begehbaren Teil des „Tropenhauses“ abgetrennt findet sich das etwa 60qm umfassende Innengehege der Schimpansen. Es weist mehrere ineinander verschraubte Kletterbäume und erhöhte Sitzpodeste auf. Versteck- oder Rückzugsmöglichkeiten für die Tiere gibt es nicht. An das Innengehege schließt sich eine etwa 200qm große Außenanlage mit Naturboden und relativ dichtem Pflanzenbewuchs an, die die Schimpansen bei entsprechender Witterung stundenweise nutzen dürfen. Die meiste Zeit hocken sie, tödlich gelangweilt, im Innengehege herum.
"Der Berg spukt"
Seit Jahren schon werden in den meisten größeren Zoos hierzulande sogenannte „Halloweennächte“ veranstaltet: am oder rund um den 31. Oktober jedes Jahres werden die Zoos geisterbahnmäßig umdrapiert. Im Zoo Halle, der als einer der ersten schon 2012 auf das aus US-Zoos übernommene Spuk- und Gruselbrimborium aufsprang, würden die Besucher, wie es in der letztjährigen Ankündigung hieß, durch „aufwendige Halloweendekoration sowie die Ausgestaltung mit Spezialeffekten in eine gruselig-mystische Welt entführt“. Tatsächlich hängen überall im Zoo „lebensecht“ wirkende Pappmaschee-Zombies herum, Kunstnebel wabert durch das gespenstisch illuminierte nächtliche Gelände und schaurige Geräusche schallen aus den Lautsprechern. Auf einem eigens aufgebauten „Friedhof“ erhebt sich wiederkehrend ein Vampir aus seinem Sarg, während ein in Leichentücher gewickeltes Totengerippe den Besuchern diabolisch entgegengrinst.
Neben den Horrorgestalten aus Kunststoff und Pappmaschee läuft entsprechend verkleidetes Zoopersonal durchs Gelände, mit dem Auftrag, den Besuchern „live“ einen Schauer über den Rücken zu jagen. Dabei wird auf junge Besucher, viele im Kindergarten- oder Grundschulalter, keinerlei Rücksicht genommen: immer wieder blickt man in verstörte oder weinende Kindergesichter, wenn versteckt hinter einem Baum eine Hexe steht oder aus einem Gebüsch plötzlich ein halbverwester Untoter hervorspringt. (Wie Eltern auf die Idee kommen können, ihren Kindern Horrorclowns oder blutverschmierte Vampirzombies als „harmloses Gruselvergnügen“ zuzumuten, verstehe wer will. Für nicht wenige Kinder dürfte der Zoobesuch an Halloween zu länger anhaltenden Angst- und Panikzuständen führen. Vorsorglich wurde bereits Anzeige gegen den Zoo beim Jugendamt der Stadt Halle erstattet; sollte der Zoo auch dieses Jahr wieder kleinen Kindern Zutritt zu dem Horrorspektakel gewähren, wird es einen Eilantrag auf Verbot bei der zuständigen Staatsanwaltschaft geben.)
Aber nicht nur mit Blick auf das Kindeswohl ist der um sich greifende Mummenschanz in den Zoos entschieden abzulehnen - wieviel noch bescheuerter geht es denn, als wenn „gruselige Gestalten und finstere Erschrecker“ die Kinder ängstigen oder im „Krokodilhaus“ abgebissene Köpfe und Gliedmaßen herumhängen -, sondern auch aus tierethischer Sicht, wenn in den Köpfen der Besucher kulturell ohnehin schon angstbesetzte Tiere wie Wölfe, Fledermäuse, Eulen usw. wieder einmal mit Hexen- und Vampirmythen in Bezug gesetzt werden. Selbstredend sorgen auch Riesenspinnen samt überall herumhängenden Gespinstweben für entsprechenden Grusel, im Raubtierhaus sind die Scheiben vor den Löwen- und Tigerkäfigen mit Blut verschmiert…
Man fragt sich, was die Zooverantwortlichen reiten mag, derart bodenlosen Unfug zuzulassen, der jeden wissenschaftlichen oder pädagogischen Anspruch, den sie ansonsten so gerne vor sich hertragen, letztgültig in die Tonne tritt. Vermutlich geht’s um die Sondereinnahmen - allein im Zoo Halle werden mehr als 15.000 Eintrittskarten (Erw. 12,50 / Kinder 7,50 Euro) extra verkauft -, und sonst gar nichts. Vielleicht auch halten sie den inszenierten Horrorschwachsinn tatsächlich für ein niveauvolles Unterhaltungsangebot, wobei es ihnen schlichtweg egal ist, welches Bild von Tieren sie dabei vermitteln und welche möglichen Schäden sie in den Köpfen der Kinder anrichten, die von verantwortungslosen Eltern über den „Pfad der Angst“ (O-Ton Zoo Halle) geschleppt werden , auf dem ihnen nicht nur „scharfzahnige Fledermäuse“ begegnen, sondern auch „Untote, Gespenster und klappernde Knochengerippe“.
Ähnlich idiotische – aber offenbar lukrative - Halloweenspektakel gibt es auch in den Zoos von Leipzig, Köln, Gelsenkirchen, Krefeld, Bremerhaven, Heidelberg, Osnabrück und an vielen weiteren Orten.
Colin Goldner
Tierbefreiung #100 / Sept./Okt. 2018