Eifelzoo
Katastrophenzoo in der Eifel
von Colin Goldner
Mitte der 1960er kam der Kölner Textilunternehmer und Karnevalist Hans Wallpott - jahrzehntelang Präsident der „Bürgergarde blau-gold von 1904 e.V.“ - auf die Idee, sich einen Privatzoo einzurichten. Zu diesem Zwecke erwarb er das Gelände einer aufgelassenen Fischzucht im sogenannten Bierbachtal, zwei Autostunden nordwestlich von Köln (nahe der luxemburgischen Grenze), wo er seit Jahren schon seinem Hobby als Jäger nachgegangen war. In Eigenregie und ohne die geringste zoofachliche Ahnung zimmerte Wallpott ein paar Gehege und Stallungen zusammen, die er, zunächst ausschließlich für sein Privatvergnügen, mit heimischen Haus- und Wildtieren bestückte. Ab 1972 machte er das auf 30 Hektar arrondierte Gelände unter dem Namen „Tierpark Neubierbach“ der zahlenden Öffentlichkeit zugängig.
Am 25. Juni des Jahres wurde der Park - im Beisein örtlicher und regionaler Politprominenz, einschließlich des seinerzeitigen Regierungspräsidenten - feierlich eröffnet. In den Folgejahren erweiterte Wallpott seinen Tierbestand kontinuierlich, mithin um Wisente, Yaks, Alpakas, Gnus, Lamas und Kamele. Anfang der 1980er benannte er seine Tiersammlung in „Eifel-Zoo“ um, den er langfristig auf eine Stufe mit dem Kölner Zoo zu stellen gedachte. Über vor Ort gedrehte TV-Sendungen und vor allem: über die zahllosen TV-Auftritte Wallpotts auf sämtlichen Kanälen, in denen er, immer irgendwie karnevalistisch angehaucht, den Zoodirektor und Wildtierexperten gab, erlangte der Eifel-Zoo in der Tat überregionale Bekanntheit und steigenden Publikumszuspruch.
1985 wurde das Tiersortiment um Löwen, Tiger, Jaguare und andere Exoten erweitert, gleichwohl die selbstgefertigten Gehege nicht einmal ansatzweise den seinerzeit für Zoos geltenden Haltungsvorschriften entsprachen. Hinzu kamen Affen, Bären, Präriehunde, auch Strauße, Emus, Aras, Schneeeulen und viele Arten mehr: Letztlich präsentierte Wallpott mehrere hundert Tiere - die genaue Zahl wußte er wohl selbst nicht - aus mehr als 100 Arten auf seinem Zoogelände. Das zuständige Veterinäramt erhob keinerlei Einspruch, auch dann nicht, als Wallpott völlig unkontrolliert und ohne auf Inzuchtprobleme zu achten, mit seinen Exoten zu „züchten“ begann.
Anfang Januar 2002 wurde das Zoogelände – wieder einmal - komplett überschwemmt: nach tagelangem Dauerregen war der Bierbach, der mitten durch den Zoo fließt, zu einem reissenden Fluß angeschwollen. Wie es im seinerzeitigen Schadensbericht des Zoos hieß, waren Wege, Zäune, Ställe und Gehege wegespült und das Zoogelände in eine „riesige Seenplatte“ verwandelt worden. Welche und wieviele Tiere in den Fluten ertrunken waren, wurde nie mitgeteilt. Auch Konsequenzen wurden nicht gezogen: der Zoo wurde, wie jedesmal, wenn der Bierbach über seine Ufer getreten war - was regelmäßig geschah -, mit billigstem Material und ohne jeden zootechnischen Sachverstand genauso wiederhergestellt, wie er zuvor bestanden hatte: mitten in einem Überflutungs- bzw. Rückstaugebiet, in dem eben der ständigen Hochwassergefahr wegen die jahrzehntelang dort betriebene Fischzucht aufgegeben worden war. Ernstzunehmender Hochwasserschutz, der finanziellen Mehraufwand bedeutet hätte, war zeitlebens ein Fremdwort für Wallpott. Stattdessen stattete er seinen Zoo mit immer weiteren Kinderbespaßungsanlagen aus (Parkeisenbahn, Karussels, Seilbahn, Minidorf etc.)
Von Kragenbär angefallen
Im Sommer 2007 wurde der seinerzeit bereits 80jährige Wallpott von einem Kragenbären, den er mehr als 20 Jahre zuvor mit der Flasche aufgezogen hatte, schwer verletzt: das fast zwei Meter große und 170kg schwere Tier hatte ihm einen Arm zerfetzt. Nach längerem Krankenhausaufenthalt übergab Wallpott die Leitung des Zoos an seine damals 27jährige Tochter, die in den Zoos von Köln und Augsburg eine Ausbildung zur Tierpflegerin absolviert hatte.
Der Tochter gelang es nicht, den Zoobetrieb einigermaßen kostendeckend am Laufen zu halten, die Anlage verkam zusehends. Beschwerden von Besuchern über ungepflegte und verwahrloste Tiere häuften sich: auf Portalen wie tripadvisor oder holidaycheck gab es Kommentare wie „schrecklicher Zoo“, „bin fassungslos“ oder „bleiben Sie fern“, eine Besucherin klagte, dass „der ganze Park, die Ställe und Unterstände VOLLER Ratten….…Ratten sind“ [sic!]. Das von den Missständen in Kenntnis gesetzte Veterinäramt tat, was Veterinärämter in solchen Fällen regelmäßig tun: nämlich gar nichts. Der Zoobetrieb ging unbeanstandet weiter, während die Zustände sich immer noch weiter verschlimmerten. Dem Vernehmen nach waren für die Versorgung der rund 400 vorgehaltenen Tiere gerade einmal zwei angelernte Hilfskräfte zuständig. Ein wie auch immer geartetes Eingreifen der Deutschen Tierparkgesellschaft (DTG), der der Eifel-Zoo zusammen mit rund 90 weiteren Kleinzoos angehört, gab es nicht.
Am 15. Juni 2017 verstarb Hans Wallpott, der die letzten Jahre seines Lebens in einem Pflegeheim untergebracht gewesen war. Sein „Lebenswerk“, wie seine Witwe den Eifel-Zoo nannte, sollte ungeachtet des mittlerweile katastrophalen Zustandes der gesamten Anlage unter allen Umständen fortgeführt werden. Instandgesetzt oder neu investiert wurde gleichwohl nichts.
Ziemlich genau ein Jahr später, am 1. Juni 2018, trat der Bierbach erneut über seine Ufer, mit dem schlimmsten bislang zu verzeichnenden Folgen für den Zoo. Große Teile der ohnehin wenig standfesten Käfiganlagen und Stallungen wurden schwer beschädigt, viele restlos zerstört. Der Schaden an Wegen, Brücken und Bauten, wie der Zoo in einer ersten Pressemeldung verlautbarte, gehe „mindestens in die Hunderttausende“. Welche und wieviele Tiere ertrunken oder von Treibgut erdrückt oder erschlagen worden waren, teilte man wie üblich nicht mit. In besagter Presseerklärung war lediglich die Rede davon, es habe das „Hochwasser etliche Tiere in den Tod gerissen“. Erst sehr viel später räumte man ein, dass tatsächlich „viele sich nicht vor den Fluten retten konnten“: von zuvor mehreren hundert Tieren waren nur ein paar Dutzend übriggeblieben.
Während der Flutkatastrophe machte die Meldung die Runde, die fünf Großkatzen des Zoos – je zwei Löwen und Tiger sowie ein Jaguar – seien nicht auffindbar und wohl aus ihren Gehegen entkommen. Die Behörden forderten die Einwohner des Landkreises über Radio und Lautsprecherdurchsagen auf, ihre Wohnungen und Häuser nicht zu verlassen. Zugleich machte sich ein Großaufgebot aus Polizei und örtlicher Jägerschaft auf die Suche nach den Tieren, die gleichwohl mit Hilfe einer Drohne in ihren überfluteten Gehegen geortet werden konnten: sie hatten sich auf höher gelegene Kletterelemente gerettet. „Am Ende“, so Seniorchefin Wallpott, „hatten sie nur noch ein Stückchen Kopffreiheit bis zur Decke, wo sie noch Luft holen konnten“.
Weniger Glück hatte Kragenbär MIKE, eben jener Bär, der zehn Jahre zuvor Zoodirektor Wallpott schwer verletzt hatte. MIKE war aus seinem Gehege entwichen, dessen Gitterzäune von den Wassermassen weggedrückt worden waren. Der Bär stand orientierungslos auf einem höher gelegenen Besucherweg herum, wo er von einem der herbeigerufenen Jäger ohne Umschweife erschossen wurde. Wie die Zooleitung tags darauf mitteilte, habe man sich bewusst gegen eine Betäubung des Bären entschieden: die Wassermassen seien so reißend gewesen, dass er „elendig ertrunken“ wäre, hätte man ihn zu narkotisieren versucht; daher habe es keinen anderen Ausweg gegeben, als ihn zu erschießen. Tatsächlich steht zu bezweifeln, dass der Eifel-Zoo überhaupt ein Betäubungsgewehr zur Verfügung gehabt hätte.
Was nun?
Wer gedacht oder gehofft hatte, dass der Zoo nach der neuerlichen Überschwemmungskatastrophe endlich aufgelöst würde, sah sich getäuscht. Schon wenige Tage nach Rückgang des Wassers wurde mit ersten Instandsetzungs-maßnahmen begonnen, kurze Zeit später wurde neu eröffnet. Unter der Regie eines eigens dazu abgestellten „Eventmanagers“ soll ein völlig neues Zookonzept entwickelt werden, das sich auf heimische und nordamerikanische Wildtiere beschränkt (die, da sie keine Warmhäuser benötigen, kostengünstig einfach ins Gelände gestellt werden können). Was mit den fünf Großkatzen geschehen soll, ist noch völlig offen, angeblich sollen sie in anderen Zoos untergebracht werden. Es gilt insofern, ein wachsames Auge auf den Zoo zu halten, so dass die Katzen nicht nach China verscherbelt werden, wie dies in der Vergangenheit dutzendfach aus deutschen Zoos heraus gemacht wurde.
Freiheit für PAVI
Ein Team des Great Ape Project (GAP) hatte den Eifel-Zoo nach der Flutkatastrophe besucht und in einem abseits gelegenen Käfig einen einsamen und sichtlich verstörten Pavian vorgefunden. Über den Verbleib der zuvor gehaltenen größeren Gruppe an Pavianen (sowie einer Gruppe Husarenaffen) erteilte der Zoo keine Auskunft. Es konnte insofern nicht in Erfahrung gebracht werden, ob die Tiere bei der aktuellen Überflutung des Geländes zu Tode gekommen waren oder ihre Haltung zu früherer Zeit (bei einer vorhergehenden Flut?) schon ein Ende gefunden hatte. Auch das Veterinäramt wußte nichts dazu zu sagen.
Auf Betreiben des GAP wurde der Pavian - ein 20- bis 25jähriges weibliches Tier namens PAVI - vom zuständigen Kreisverwaltungsamt beschlagnahmt und offiziell an das GAP überstellt. Da der Zoo über keinerlei Herkunfts- oder Zuchtnachweise verfügte, mussten komplett neue Papiere ausgestellt werden. Am 12.10.2018 wurde PAVI von einem Rescue Team des Wales Ape & Monkey Sanctuary (UK-Sektion des GAP) abgeholt und in einer 850km-nonstop-Fahrt sicher nach Südengland verbracht. Nach Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Quarantänezeit wird sie mit den anderen Pavianen im Waliser Affenrefugium zusammengeführt.
Tierbefreiung #101/2018