GAP-Grundsatzstatement
Das Great Ape Project (GAP): Grundrechte für Menschenaffen?
Rundbrief der Gesellschaft für Primatologie 3/2014
Prof. Dr. Volker Sommer, Department of Anthropology, University College London, UK, v.sommer@ucl.ac.uk
Abstract: Who belongs to the Community of Equals? Demanding legal rights for our next of kin.
Primatological research is becoming increasingly entwined with ethical discourses such as those related to nature conservation or animal rights. A prime example is the Great Ape Project (GAP), initiated in 1993 by Philosophers Peter Singer and Paola Cavalieri. It demands to extend some of the privileges currently reserved for human beings to orang-utans, gorillas, bonobos and chimpanzees: the right to life, individual liberty, and the prohibition of torture. Protagonists of the project would also like to see great apes recognized as persons, given their complex mental landscapes. To stimulate further discussion particularly in German-speaking countries, GAP was relaunched by the Giordano-Bruno-Foundation in 2011 (http://www.giordano-bruno-foundation.com; http://www.greatapeproject.de). Demanding basic equality for great apes should be seen as a continuation of discourses about who should belong to the community of equals – for example, if women should have a right to vote, whether darkskinned Africans or Australian aborigines are human, or whether gay people can marry. These debates have questioned discriminatory concepts such as racism, nationalism, sexism or heterosexism – while the GAP understands itself as a pioneering initiative to confront speciesism. The following contribution addresses some of the historical concepts and controversies that shape the GAP.
Grundrechte für Menschenaffen?
Ist es an der Zeit, den rechtlichen Status unserer allernächsten Verwandten zu ändern – und sie als Personen in die Gemeinschaft der Gleichen aufzunehmen? Genau darum geht es dem von den Philosophen Peter Singer (Australien) und Paola Cavalieri (Italien) im Jahr 1993 initiierten Great Ape Project. Das GAP fordert für Orang-Utans, Gorillas, Bonobos und Schimpansen einige jener Privilegien ein, die bisher nur für Menschen gelten. Dazu zählt das Recht auf Leben, Freiheit und ein Verbot von Folter. Die Initiative macht sich dafür stark, die community of equals – die Gemeinschaft der Gleichen – zu erweitern. Es würde damit als Unrecht gelten, Große Menschenaffen in medizinischen Experimenten zu schädigen, zu Tode zu richten oder ihren Lebensraum zu zerstören. Menschenaffen sind mit Bewusstsein und menschenähnlicher Leidensfähigkeit begabt und können sich überdies vermutlich in andere Wesen hineinversetzen und in die Zukunft denken. Deshalb sollen Große Menschenaffen nicht mehr wie bisher als 'Eigentum' gelten dürfen (das ausgebeutet, verkauft und getötet werden kann), sondern als Personen. Die Forderung nach elementarer Gleichstellung der Menschenaffen ist eine zeitgenössische Fortsetzung vormaliger Erörterungen – etwa der, ob Frauen das Wahlrecht besitzen sollen, ob dunkelhäutige Afrikaner oder australische Ureinwohner Menschen sind, oder ob Homosexuelle heiraten dürfen. Vielerorts wurde die Gemeinschaft der Gleichen nach oft leidenschaftlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen entsprechend erweitert. Zunehmend halten deshalb Philosophen und Primatologen den historischen Moment für gekommen, erneut inklusiver zu werden. Aufzuheben wäre nunmehr die Schranke des Speziesismus, der die Ungleichbehandlung von Lebewesen allein aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt.
Der seinerzeitige Start des GAP wurde explizit von prominenten Primatologen und
Evolutionsbiologen unterstützt (z.B. Goodall, Kano, Dunbar, Galdikas, Fouts, Dawkins, Diamond, Adams). Gleichwohl gewann die Initiative nur relativ langsam an Fahrt. Im deutschsprachigen Raum änderte sich dies als die dem evolutionären Humanismus verpflichtete Giordano-Bruno-Stiftung (www.giordano-bruno-stiftung.de; www.giordano-brunofoundation. com) die Debatte im Jahre 2011 erneut in die Öffentlichkeit trug (http://www.greatapeproject.de) – unterstützt von namhaften Evolutionsbiologen und Philosophen (z.B. Meyer, Wuketits, Sommer, Voland, Junker, Vollmer, Kanitscheider, Metzinger, Wetz, Albert). Das umstrittene Thema ist seither in den Medien omnipräsent wird zunehmend von einflussreichen Politikern diskutiert.
Gerade die Gesellschaft für Primatologie und ihre individuellen Mitglieder werden deshalb diese Problematik kaum schadlos ignorieren können. Vielmehr ist es an der Zeit, ähnlich wie bei verwandten Themen wie dem Natur- und Tierschutz oder den Haltungsbedingungen, die Argumente hinsichtlich der Frage nach Grundrechten für Menschenaffen pro und contra abzuwägen (exemplarische Streitpunkte sind nachfolgend illustriert). Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass unsere Nachfahren in hundert Jahren dem Speziesismus unserer Tage mit der gleichen Fassungslosigkeit begegnen werden, mit der politisch und ethisch progressive Zeitgenossen heute religiösen Fundamentalismus, Rassismus, Nationalismus, Sexismus und Heterosexismus betrachten.
Einwände und Erwiderungen:
Einwand: Menschenaffen können keine Menschenrechte habe, denn sie gehören nicht zur Gattung Homo!
Erwiderung: Genau deshalb geht es nicht um 'Menschen'-Rechte, obwohl der Punkt in den Medien oft falsch dargestellt wird. Vielmehr geht es um die Einsicht, dass der Personenstatus nicht an Artzugehörigkeit gebunden ist, und somit schlicht um 'Grundrechte', die speziesunabhängig sind.
Einwand: Tiere können keine Verantwortung übernehmen und deshalb auch keine Rechte haben!
Erwiderung: Rechte werden nicht erworben, sondern zugesprochen. Deshalb haben auch Säuglinge, kognitiv Behinderte, Alzheimer- oder Komapatienten Rechte, obwohl sie nicht verantwortlich handeln können.
Einwand: Tiere können ihre Rechte gar nicht wahrnehmen, denn sie können sie nicht formulieren und einklagen!
Erwiderung: Wie für Menschen, die aufgrund ihres Alters oder mentaler Verfassung als 'unmündig' gelten, können grundsätzliche rechtliche Belange von Menschenaffen durch 'Fürsprecher' ('Vormund', 'guardian') vertreten werden.
Einwand: Rechte sind nicht auf Leben und Freiheit beschränkt, sondern schließen z.B. auch Meinungsfreiheit ein!
Erwiderung: Rechte können differentiell zugesprochen werden. Obwohl ihnen das Recht auf körperliche Unversehrtheit zusteht, dürfen viele Menschen, etwa Kinder oder manche Strafgefangene, nicht wählen. Deshalb fordert das GAP weder ein Bildungsrecht für Bonobos, Wahlrecht für Gorillas noch Datenschutz für Schimpansen oder ein Mindestalter für Sex bei Orang-Utans – sondern lediglich Grundrechte.
Einwand: Wenn Menschenaffen Rechte zugestanden werden, wollen bald auch Hunde- und Katzenhalter, dass ihre Lieblinge Personen werden und Grundrechte erhalten!
Erwiderung: Konservative verwenden gerne das 'Dammbruch-Argument'. Als im britischen Parlament des 19. Jh. gefordert wurde, Männern mit schwarzer Hautfarbe ein Wahlrecht zu gewähren, wurde dagegen argumentiert, dass als nächstes dann wohl Frauen oder Tiere derlei Ansprüche anmelden würden.
Einwand: Dass Menschenaffen von Menschen grundsätzlich verschieden sind, ist
naturgegeben (manche sagen: 'gottgegeben'). Diese Einsicht gehört zum gesunden
Menschenverstand!
Erwiderung: Moral propagiert Werte, die angeblich unwandelbar und ewig sind. Der Ethik hingegen gelten Handlungsmaximen als zeitgebunden. Rechte sollten deshalb in gesellschaftlichen Prozessen stetig neu durch ein Abwägen von Für und Wider verhandelt werden – und nicht dogmatischen Vorentscheidungen unterliegen.
Einwand: Das GAP ersetzt 'Anthropozentrismus' durch 'Apeismus'. Denn wieso sollen Grundrechte nur für Grosse Große Menschenaffen gelten, und nicht auch für andere Tierformen?
Erwiderung: Das GAP ist bewusst beschränkt und pragmatisch. Es versteht sich aber als Türöffner für weitergehende Forderungen. Denn selbstverständlich steht es jedem offen, die willkürliche Grenze zwischen Menschen und Menschenaffen im Unterschied zu anderen Tieren zu hinterfragen. So haben sich entsprechende Rechts-Initiativen bereits für Wale und Elefanten formiert.
Einwand: Die Forderungen des GAP sind durch Gesetze hinsichtlich Tier- und Habitatschutz praktisch abgedeckt!
Erwiderung: Forderungen bezüglich Tier-, Arten- oder Natur'schutz' sind eher paternalistisch, während 'Rechts'-Forderungen emanzipatorisch sein wollen. Der Fokus des GAP richtet sich deshalb auf einzelne Lebewesen, mithin auf Individuen.
Einwand: Wenn Menschenaffen ein Recht auf Freiheit haben, müssen Zoos ihre Gehege öffnen!
Erwiderung: Tierrechtler sind oft der Meinung, dass Haltung in Gefangenschaft ethisch nicht vertretbar ist. Unabhängig davon werden aber Zoos und Schutzstationen weiter existieren müssen. Denn dort gehaltene Tiere können praktisch nie in die 'Freiheit' entlassen werden – aus Sicherheitsgründen und weil die Habitate zerstört sind. Die Situation geht selbstredend mit der Notwendigkeit einher, die Haltungsbedingungen entscheidend zu verbessern.
Einwand: Ehrenwerte Gedanken, die aber von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden und deshalb politisch nicht durchsetzbar sind!
Erwiderung: Bis in die jüngste Vergangenheit hinein erschien es in verschiedensten kulturellen Kontexten als komplett absurd, dass Muslime, Sklaven, Homosexuelle, 'Indianer', Frauen, 'Neger', Kinder oder Juden irgendwelche Rechte haben sollten. Wer hätte etwa vor 20 Jahren zu glauben gewagt, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten und Kinder aufziehen dürfen? Und dass dies heute in mehr und mehr Nationen zum sozialen Konsens gehört? Zum GAP wurden beispielsweise in Neuseeland und auf den Balearen bereits entsprechende Gesetzentwürfe erarbeitet. Umgesetzt wurden sie zwar bislang noch nicht – aber auch andere Anti-Diskriminierungs-Kampagnen brauchten oft Jahrzehnte bis zu ersten Erfolgen.
Literatur: Paola Cavalieri, Colin Goldner, Peter Singer, Michael Schmidt-Salomon und Volker Sommer (2013). Grundrechte für Menschenaffen. Schriftenreihe der Giordano-Bruno-Stiftung Bd. 4. Aschaffenburg: Alibri. --- Paola Cavalieri, Peter Singer (1993) (Hg.): The Great Ape Project - Equality beyond Humanity. New York: St. Martin's Press; deutsch (1994): Menschenrechte für die Großen Menschenaffen. München: Goldmann.
Great Ape Project: Rechte für die nächsten Verwandten des Menschen (Video). in: 3sat vom 2.9.2016