Ape Tales
(Relatives) Happy End für Sebastian
Sebastian, Alfons und Lutz sind drei Schimpansen, die seit Jahren ein gänzlich artwidriges Dasein zu fristen genötigt waren, eingesperrt auf engstem Raum hinter Betonwänden, Eisengittern und Isolierglasscheiben in einem ostbayerischen Provinzzoo. Ein von den Tierrechts- organisationen TierrechteAKTIV und rage&reason kontinuierlich geführter Kampf darum, die drei Schimpansen aus ihrem Elendsdasein zu befreien, hat letztlich zu einer substantiellen Verbesserung ihrer Lebenssituation geführt; vor allem für Sebastian gab es ein (relatives) Happy End. Es zeigte sich, dass mit Nachdruck und Beharrlichkeit selbst die in Beton gefassten Strukturen eines bayerischen Provinzzoos ins Wanken gebracht werden können.
Hier die ganze Geschichte (in drei Teilen):
1. Affenschande
STRAUBING (hpd/9.3.2009) Braucht es einen besonderen Anlass, um auf eine erbärmliche Situation der Käfighaltung von Schimpansen in Deutschland hinzuweisen? Braucht es einen besonderen Anlass, um für Tierrechte einzutreten? Tierrechtler protestieren gegen die Schimpansenhaltung im Tiergarten in Straubing.
von Colin Goldner
Sebastian, Alfons und Lutz sind drei Schimpansen, die seit Jahren ein gänzlich artwidriges Dasein zu fristen genötigt sind, eingesperrt hinter Betonwänden, Eisengittern und Isolierglasscheiben in
einem ostbayerischen Provinzzoo.
Über eine Viertelmillion Besucher verzeichnet der Tiergarten Straubing eigenen Angaben zufolge pro Jahr, nicht wenige kommen eigens der zur Schau gestellten Schimpansen wegen, die neben Löwen, Tigern und Krokodilen zu dessen Hauptattraktionen zählen. Mehr als 1.700 Tiere aus 200 Arten werden in Straubing gehalten, viele davon Exoten.
„Der Zoo", wie es unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Charles Darwin im aktuellen Jahresbericht des Straubinger Tiergartens heißt, „ermöglicht wie kaum ein anderer Lernort, die Vielfalt von Arten und Formen zu betrachten, zu dokumentieren und sich an ihnen zu freuen". Es werden insofern regelmäßig Unterrichtsgänge und Führungen für Schulklassen der Region veranstaltet, um den Kindern eine Vorstellung davon zu vermitteln, „wie sich die Mannigfaltigkeit der Tierarten im Laufe der Naturgeschichte entwickelt haben könnte".
Tatsache ist freilich: ein Zoo eignet sich zu nichts weniger, als einen sinnfälligen Bezug zur Natur herzustellen. Gerade deshalb fällt es den Besuchern auch nicht auf, dass die Tiere fortgesetzt leiden. Selbst bei den Schimpansen des Straubinger Tiergartens fällt es ihnen nicht auf, gleichwohl deren Leid ins Auge springen müsste. Sie werden in einem völlig unzulänglichen Betonkasten gehalten, der noch nicht einmal den Mindestanforderungen entspricht, die das zuständige Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft nach jahrzehntelangem Kampf engagierter Tierschützer im Jahre 1996 aufgestellt hat.
Wie der verantwortliche Veterinäramtsleiter der Stadt Straubing, Dr. Franz Able, hierzu mitteilt, sei das Affenhaus bereits gebaut worden, bevor diese Haltungsrichtlinien erlassen wurden. Es sei insofern „vielleicht wünschenswert, die Gestaltung der Innengehege noch zu verbessern. Allerdings ist das schwierig, weil sie aus Beton bestehen." Grundsätzlich aber entspreche die Haltung den Richtlinien: „Die Eignung eines Geheges kann man aber nicht allein nach zentimetergenauer Einhaltung von vorgegebenen Maßen beurteilen. Eine wesentliche Rolle spielen auch die Betreuung der Tiere und genügend Beschäftigungsmöglichkeiten." Im Übrigen werde die Anlage regelmäßig durch das Landratsamt sowie die Regierung von Niederbayern kontrolliert.
Die Frage, weshalb es Haltungsrichtlinien, die die Mindestgröße von Wildtiergehegen vorschreiben, überhaupt gibt, wenn einzelne Zoos sich beliebig darüber hinwegsetzen können, beantwortet Veterinäramtsleiter Able nicht. Ungeachtet landratsamtlicher oder sonstiger Kontrollen: die Haltung der drei Schimpansen im Straubinger Zoo ist und bleibt schon alleine der nicht ausreichendem Gehegegröße wegen tierschutzgesetz- widrig.
Auch die Behauptung des Veterinäramtsleiters, die Schimpansen zeigten „keine auffälligen Verhaltens- störungen", ist nicht nachvollziehbar. Selbst einem Laien müssten die stereotypen Bewegungsmuster von Alfons und Lutz, beide 16 Jahre alt, auffallen, die auf massiven Hospitalismus hindeuten. Auch der mittlerweile 33jährige Sebastian erscheint schwer verhaltensgestört, nach Auskunft des Veterinäramtes sei er „sehr ungesellig und muss alleine gehalten werden". Gleichwohl könne aber nicht von Isolationshaltung die Rede sein: „Die Schimpansen können zwar nicht in einer Gruppe gehalten werden, können aber am Gitter miteinander Kontakt aufnehmen. Sie können sich sehen, hören und auch berühren." Bis 2001 teilte Sebastian seinen als „Gehege" bezeichneten Käfig mit einem weiteren Schimpansen namens Cain. Dieser überlebte eine offenbar unsachgemäß vorgenommene Narkose nicht. Das „Spielmaterial" für Sebastian besteht im Übrigen aus einem Ball, einer Plastiktonne und einem ausrangierten Schlafsack. Die „Klettereinrichtungen" in dem grün angestrichenen Betonkasten sind völlig unzureichend, Rückzugsmöglichkeiten gibt es nicht.
Der Betreuungschlüssel des Straubinger Zoos liegt bei 15 Pflegern plus 6 Azubis für 1700 Tiere, die durchschnittliche Pflegezeit pro Tier, einschließlich Fütterung und Käfigreinigung, beträgt weniger als 4 Minuten pro Tag.
Aber selbst wenn die Affenanlage vergrößert, das Beschäftigungsangebot erweitert und der Personalschlüssel erhöht werden sollten - worauf es keinen Hinweis gibt -, bliebe Schimpansenhaltung in einem Zoo immer artwidrige Qualhaltung. Schimpansen sind die nächsten Verwandten des Menschen, sie unterscheiden sich genetisch von diesem in weniger als 1,3 Prozent, in einigen Gensequenzen nur im Promillebereich; letztlich sind sie mit dem Menschen enger verwandt als etwa mit Gorillas oder Orang Utans. Nach allem, was Biologie und vergleichende Verhaltensforschung wissen, empfinden Schimpansen zu größtem Teil genau so wie Menschen: Freude, Leid, Trauer, Schmerz; ihre kognitiven, sozialen und kommunikativen Fähigkeiten sind denen des Menschen sehr ähnlich.
Die Frage, weshalb Zoobetreiber und Zoobesucher ebendiese enge Verwandtschaft zwischen Schimpanse und Mensch und das Unrecht, erstere hinter Betonwände, Eisengitter und Isolierglasscheiben zu sperren, so notorisch verdrängen oder verleugnen, beantwortet Primatenforscher und gbs-Beirat Volker Sommer wie folgt: „Affen sind den Menschen nahe, aber die Nähe ist nur ein Beinahe. Das führt zu einem Dilemma: Weil uns hinreichend ähnlich, werden unsere Verwandten als abgerichtete Witzfiguren in Fernsehen und Zirkus missbraucht, zum Anstarren in Zoos eingesperrt oder als Lieferanten von Blut und Organen ausgeschlachtet. Sie gelten jedoch zugleich als hinreichend verschieden von uns, so dass ihnen keine Rechte zustehen. Den Graben zwischen uns und ihnen schüttet aber nicht nur die Verhaltensforschung rasant zu, sondern auch die moderne Genetik." Mit Jane Goodall, Biruté Galdikas, Roger Fouts, Toshisada Nishida und anderen namhaften Primatologen betont Sommer: „Es ist wissenschaftlich unhaltbar, überhaupt zwischen Menschen und Menschenaffen zu unterscheiden."
Seit Jahren kämpft eine Straubinger Tierrechts- organisation darum, die drei Schimpansen aus ihrem Elendsdasein zu befreien. Eine Schande sei es für Straubing und ganz Ostbayern, so eine aktuelle
Kampagne, dass im 200.Geburtsjahr von Charles Darwin im örtlichen Zoo immer noch Schimpansen gefangen gehalten und hinter Eisengittern zur Schau gestellt würden. Es sei an der Zeit, die
Schimpansenanlage aufzulösen und Sebastian, Alfons und Lutz an einen artgerechten und geschützten Ort zu verbringen, beispielsweise in die Stiftung AAP in Holland, die Schimpansen und andere exotische Tiere aus Laboratorien, Zirkussen und Zoos aufnimmt. Selbstredend, so die Gruppe TierrechteAktiv), stehe der Einsatz für die drei Straubinger Schimpansen stellvertretend für den Kampf
um ein Verbot von Primatenhaltung - in Zoos, Zirkussen, Laboratorien - überhaupt.
Erwartungsgemäß gibt es erbitterten Widerstand gegen das Ansinnen, die Straubinger Schimpansenhaltung zu beenden, vor allem seitens lokaler Politiker, Medienvertreter und Geschäftsleute, die immer
schon mit dem Zoo als Werbepartner paktieren. In der Tat, wie der Primatologe Volker Sommer schreibt, „halten uns Affen den Spiegel vor. Es diente unserer Selbsterkenntnis ungemein, dass Charles
Darwin 1871 behauptete, der Mensch stamme vom Affen ab. Damit stellte er jenes Schema auf den Kopf, wonach der von Gott engelgleich erschaffene Mensch durch die Sünde zu Fall kam. Darwin kehrte den
«Abstieg von den Engeln» um in einen «Aufstieg von den Affen», machte aus einer eher schmeichelhaften «Devolution» eine ernüchternde «Evolution». Noch immer fühlen sich Menschen hierdurch in ihrer
Würde verletzt, sehen sie Affen doch als Karikaturen, als unvollkommene Entwürfe für die Krone der Schöpfung. Und Geisteswissenschafter postulieren noch immer dogmatisch einen unüberbrückbaren Graben
zwischen «dem Tier» und «dem Menschen». Dabei kann es so faszinierend sein, sich dem Evolutionsgedanken radikal zu öffnen, sich als lediglich eine besondere Art von Tier zu begreifen. Für mich ist es
nicht erniedrigend, sondern erhebend, mit allen anderen Lebensformen verbunden zu sein durch einen äonenalten Strom von Generationen." CG
2. Neues von den Straubinger Schimpansen
STRAUBING. (hpd/3.2.2010) Auf Initiative örtlicher Tierrechtsaktivistinnen und -aktivisten und vor dem Hintergrund eines kritischen Berichtes im Bayerischen Fernsehen richtete die Landtagsfraktion von B90/Die Grünen Anfang August 2009 eine parlamentarische Anfrage an die Bayerische Staatsregierung, in der um Aufklärung zur Sache gebeten wurde. Die Antwort des zuständigen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit liegt jetzt vor (externer link).
Erwartungsgemäß wird auf die wesentlichen Punkte der Anfrage unvollständig, irreführend, falsch oder überhaupt nicht eingegangen. An manchen Stellen wird dahergelogen, dass sich die Balken biegen, was die Vermutung nahe legt, dass das zuständige Ministerium einfach beim Straubinger Tiergarten angerufen und sich die Antworten von dort hat diktieren lassen.
So heißt es etwa zur Frage nach den Maßen der Straubinger Schimpansenanlage, die beiden Innengehege wiesen eine Grundfläche von je ca. 21qm auf, die Raumhöhe betrage 3,50m. Die Schlafboxen der Schimpansen stünden auch tagsüber offen und könnten als Rückzugsmöglichkeit genutzt werden.
Tatsächlich liegt die Raumhöhe nur bei 3m und unterschreitet damit das im Säugetiergutachten von 1996 geforderte (und in sich völlig unzureichende) Mindestmaß von 4m um 25%. Die geforderte Grundfläche von 25qm für je zwei Tiere wird in der gemeinsamen Haltung von Alfons und Lutz um 16% unterschritten, das geforderte Raumvolumen des Geheges folglich um ganze 37%. Während der kalten Jahreszeit haben die Tiere keinen Zugang zum sogenannten Freigehege, sie können also die viel zu kleine Innenanlage über Monate hinweg nicht verlassen. Sie haben dort keinerlei Rückzugsmöglichkeit oder Sichtschutz: die Schlafboxen stehen tagsüber NICHT offen, vielmehr werden sie morgens verschlossen, so dass die Schimpansen für die Besucher jederzeit beobachtbar bleiben.
Da die Gehege der Straubinger Schimpansenanlage allein von ihrem Raumvolumen und den mangelnden Rückzugsmöglichkeiten her eine „artgerechte Haltung“ gemäß den Richtlinien des Rates der Europäischen Union (Richtlinie 1999/22/EG Art.3) nicht zulassen, deren Einhaltung Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis ist, müsste diese gemäß Art 4(5a/b) der Richtlinie dem Tiergarten Straubing sofort entzogen werden; hilfsweise müsste ein Haltungsverbot für die Schimpansen ausgesprochen werden.
Dass zumindest letzteres grundsätzlich möglich und auch durchsetzbar ist, zeigt sich in einem 2001 gegen den Straubinger Zoo verfügten Haltungsverbot für Eisbären, deren Gehege hinsichtlich Größe und Beschaffenheit als richtlinienwidrig befunden wurde. Die über Jahre hinweg auf einem völlig unzulänglichen Betonareal zusammengepferchten Eisbären mussten an andere Einrichtungen abgegeben werden, eine Neuaufnahme von Eisbären wurde dem Zoo auf Dauer untersagt.
In vorliegendem Fall hingegen sieht die Bayerische Staatsregierung keinerlei Anlass, einzuschreiten. Auch mit Blick auf die zugegebenermaßen unzulänglichen Haltungsbedingungen der drei Schimpansen wird nach Kräften abgewiegelt.
Während immerhin zugestanden wird, dass Schimpansen „normalerweise in einer Gruppe leben“ und deshalb die Einzelhaltung von Sebastian „nicht den natürlichen Bedürfnissen von Schimpansen“ entspricht, wird darauf verwiesen, dass Sebastian gewissermaßen selbst an seinen Lebensumständen schuld sei: er sei „wegen Unverträglichkeit gegenüber den beiden anderen Affen dauerhaft in Einzelhaltung untergebracht“. Im Übrigen habe man durchaus „Versuche zur Vergesellschaftung aller Schimpansen unternommen“, die aber „keinen Erfolg“ gehabt hätten.
Tatsächlich war ein Versuch der Neuvergesellschaftung Sebastians im Jahre 2001 in äußerst dilettantischer Manier von fachlich unqualifiziertem Zoopersonal, sprich: ohne Hinzuziehung primatologischer Experten durchgeführt worden. Sebastian hatte bis dahin problemfrei mit einem weiteren Schimpansen namens Cain in seinem Gehege gelebt, der auf ungeklärte Weise im Zuge einer Narkose verstorben war.
Aus dem Umstand, dass die Haltung von Sebastian als nicht artgerecht eingeräumt wird - er lebt seit neun Jahren in Isolation -, ergibt sich freilich keinerlei Konsequenz. Umsoweniger aus dem unterschlagenen Umstand, dass auch die paarweise Haltung von Alfons und Lutz den Richtlinien für „artgerechte Haltung“ widerspricht.. Laut o.a. Säugetiergutachten ist „eine dauerhafte paarweise Haltung von Schimpansen unnatürlich und daher abzulehnen“. Die Haltungserlaubnis müsste insofern sofort entzogen werden.
Stattdessen aber, wie die Bayerische Staatsregierung dekretiert, „muß die Schimpansenhaltung im Tierpark Straubing vorläufig geduldet werden.“ Die Anregung, „die Haltung unter Einbindung eines Sachverständigen für Primatenhaltung möglichst zu optimieren“ ist völlig unverbindlich, desgleichen die Ansage, es solle „langfristig die Schimpansenhaltung aufgegeben werden“.
Ungeklärt bleibt: Was genau soll in welcher zeitlichen Perspektive „optimiert“ werden? Und wann genau und mit welcher Perspektive für die drei Schimpansen soll die Schimpansenhaltung aufgegeben werden? Die Behauptung der Staatsregierung, es habe „der Tierpark Straubing bereits Kontakt mit der Primatenauffangstation Stichting AAP im niederländischen Amstelveen, aufgenommen und um Übernahme der Schimpansen oder zumindest von Sebastian gebeten“, ist laut schriftlicher Auskunft der Direktion von AAP unzutreffend: eine entsprechende Kontaktnahme seitens des Tiergartens Straubing habe es nie gegeben.
Falls sich nichts tut, sitzen die drei Schimpansen auf gänzlich unabsehbare Zeit in ihrem Betonkasten. Bekanntlich haben Schimpansen in Gefangenschaft eine Lebenserwartung von bis zu 70 Jahren: Lutz und Alfons sind 17 Jahre alt, Sebastian ist 34.
Um das zu verhindern haben niederbayerische Tierrechtsaktivisten rechtliche Schritte gegen das zuständige Ministerium auf Entzug der Betriebserlaubnis bzw. Haltungsverbot für Primaten im Tiergarten Straubing eingeleitet. Auch eine Strafanzeige gegen den zuständigen Amtstierarzt (anstelle der ursprünglich geplanten Dienstaufsichtsbeschwerde, die angesichts der Positionsnahme der Staatsregierung keine Aussicht auf Erfolg hätte) wegen Verstoßes gegen die Verpflichtungen aus seiner Amtsstellung als sogenannter „Beschützergarant“ nach §16a TierSchG ist in Vorbereitung. CG
3. (Relatives) Happy End für Sebastian
HALLE (hpd/6.9.2010) Nach jahrelanger Isolationshaltung in einem bayerischen Provinzzoo hat Schimpanse Sebastian (35) nun das "Große Los" gezogen. Er durfte von Straubing weg in das neue Primatenhaus des Zoologischen Gartens Halle a. d. Saale umsiedeln, wo er in der Schimpansendame Bangi (36) - erstmalig in seinem Leben - eine Partnerin fand.
Obgleich es seitens des Straubinger Tiergartens immer geheißen hatte, Sebastian sei "unsozial" und "hochaggressiv", könne also nur isoliert gehalten und unter keinen Umständen mit anderen Schimpansen vergesellschaftet werden, klappte die Zusammenführung mit Bangi völlig reibungslos. Die beiden waren auf Anhieb voneinander begeistert und sind seither "ein Herz und eine Seele".
Vorausgegangen war eine über Jahre sich hinziehende und mit Nachdruck geführte Auseinandersetzung engagierter Tierrechtler mit dem Straubinger Tiergarten, der sich auf Bestandsschutz seiner völlig veralteten Schimpansenanlage berief, in der neben Sebastian zwei weitere Schimpansen gehalten wurden. Massiver öffentlicher Druck, nicht zuletzt durch Berichterstattung auf hpd und darüber erzieltes Interesse anderer Medien, mithin des Bayerischen Fernsehens ("kontrovers"), führte zu einer parlamentarischen Anfrage von B90/Die Grünen im Bayerischen Landtag.
Obgleich die Staatsregierung nach Kräften abzuwiegeln suchte, mündete das öffentliche Aufsehen doch in weitreichenden Auflagen der Regierung von Niederbayern, deren Nicht-Erfüllung für den Straubinger Zoo den kompletten Verlust der Haltungserlaubnis für Primaten bedeutet hätte.
Von da an ging alles sehr schnell: Plötzlich erschien Sebastian doch vermittelbar, so dass er an den Zoo Halle abgetreten werden konnte. Der große Vorteil für Straubing bestand darin, dass die nur durch ein Gitter voneinander getrennten Gehege innerhalb der Schimpansenanlage zusammengelegt werden konnten, so dass den beiden verbleibenden Tieren, Alfons und Lutz, nunmehr eine doppelt so große Grundfläche zur Verfügung steht. Zudem haben sie jetzt jederzeit Zugang zu einem angrenzenden Freiluftkäfig, den sie zuvor nur abwechselnd mit Sebastian belegen konnten. Die Auflagen der Regierung wurden - mehr oder weniger - erfüllt, ohne dass bauliche Veränderungen vorgenommen werden mussten.
Auch wenn Wildtierhaltung in Zoos grundsätzlich abzulehnen ist, hat sich für Sebastian ein völlig neues Leben eröffnet. Seine Geschichte stellt gewissermaßen den Schnittpunkt dar zwischen herkömmlichem Tierschutz, dem es immer nur um eine Verbesserung der Haltungsbedingungen eingesperrter Tiere geht, nie aber um die Abschaffung der Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse ansich, und tierrechtlichem Selbstverständnis, das sich eben dafür einsetzt, ohne die Linderung des Leidens einzelner Individuen dabei aus den Augen zu verlieren.
Sebastians Umzug nach Halle ist die derzeit relativ beste Lösung, die für ihn denkbar war. In der niederländischen Stichting AAP, die das ursprüngliche Ziel seiner Umsiedelung war, hätte er es wohl auch nicht besser gehabt.
Die Auseinandersetzung mit dem Straubinger Zoo beziehungsweise den Verantwortlichen der Stadt zur Umsiedelung der beiden verbleibenden Schimpansen geht insofern weiter. Auch wenn sich die Haltungsbedingungen von Alfons und Lutz durch den Umzug Sebastians deutlich verbessert haben, müssen auch sie aus dem nach wie vor völlig unzulänglichen Betonkasten befreit werden. Erster Folgeschritt ist insofern eine Strafanzeige gegen den zuständigen Amtstierarzt, dessen falsche "Diagnose" des Sozialverhaltens von Sebastian zu dessen jahrelanger Isolationshaltung geführt hat. Es wird auf diesem Wege auch zu klären sein, ob die Falschdiagnose auf Vorsatz, Fahrlässigkeit oder schlichter Inkompetenz beruhte, inwieweit der Amtstierarzt also seinen Verpflichtungen nach § 16a TierSchG zuwidergehandelt hat und mit Blick auf die verbliebenen beiden Schimpansen zuwiderhandelt.
Das konsequente Erzeugen öffentlichen Drucks kann, wie das Beispiel Sebastians zeigt, selbst die in Beton gefassten Strukturen eines bayerischen Provinzzoos ins Wanken bringen. CG