BA-Hausarbeit

Marie Ziegon

 

Universität Duisburg-Essen

BA Angewandte Philosophie

Angewandte Ethik: Einführung in die Angewandte Ethik

Dozent: Prof. Dr. Oliver Hallich

 

Hausarbeit WS 2014/15

 

Grundrechte für die Großen Menschenaffen

 

Das Great Ape Project

 

Inhaltsverzeichnis

 

1 Einleitung S. 1

2 Welche Rechte? S. 2

3 Menschen-Affen S. 4

3.1 Evolution S. 4

3.2 Kommunikation S. 6

3.3 Unterdrückung S. 9

4 Schlussbetrachtungen S.12

 

1 Einleitung

 

Der technologische Fortschritt des Menschen hat es ihm ermöglicht, trotz seiner

physischen Nachteile gegenüber den meisten Raubtieren, die Spitze der natürlichen

Hierarchie der Lebewesen auf diesem Planeten zu erklimmen. Sich selbst als „Mensch“

und die anderen Spezies als „Tiere“ bezeichnend, zieht er eine klare Grenze hinsichtlich der eigenen Lebensform und der der „Nicht-Menschen“. Diese Abgrenzung hat zur Folge, dass der Mensch die Bedürfnisse seiner Spezies auf Kosten der anderen Spezies befriedigt, von Rücksichtslosigkeit bis hin zur Ausbeutung. Obwohl der Mensch im 21. Jahrhundert durch die Wissenschaft und Geschichte aufgeklärt ist und moralischen Anspruch inzwischen auf alle Menschen ausgeweitet hat, reicht dieser Vorzug nach wie vor nicht über die Grenzen der eigenen Spezies hinaus.

 

Das im Jahr 1993 entstandene und 2011 neu gestartete Great Ape Project fordert

Grundrechte für die Großen Menschenaffen (Schimpansen, Bonobos, Gorillas und

Orang-Utans) – die mit dem Menschen am nächsten verwandten Spezies. In einer von

den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer herausgegebenen Aufsatzsammlung

argumentieren 34 Autoren aus unterschiedlichen Fachgebieten für die Aufnahme der

Großen Menschenaffen in die Gemeinschaft der Gleichen.

 

Diese Hausarbeit widmet sich der Frage, ob die Forderung nach Grundrechten für die

Großen Menschenaffen eine stabile Basis hat und ob der Speziesismus des Menschen

als letzte Instanz ein vernünftiger Grund ist, den Großen Menschenaffen die

Grundrechte weiterhin zu verweigern.

 

Hierzu werden erst die Grundrechte, die das Great Ape Project fordert, definiert.

Anschließend wird auf der Grundlage ausgewählter Aufsätze untersucht, in wieweit die

Unterschiede zwischen dem Menschen und den Großen Menschenaffen ausreichen, um

die Spezies so weit voneinander zu trennen, dass die moralischen Handlungen des

Menschen nicht über die Grenzen seiner eigenen Spezies hinaus reichen müssen – oder ob die (zu den bereits bekannten auch neuerdings festgestellten) Gemeinsamkeiten eine neue Betrachtung und Behandlung der nächsten Verwandten der Spezies Mensch erfordern.

 

2 Welche Rechte?

 

An erster Stelle soll hier angemerkt werden, dass der deutschen Übersetzung des

Goldmann-Verlags ein Fehler im Titel des Buchs unterlaufen ist. Aus dem Originaltitel

„The Great Ape Project – Equality beyond Humanity“ wurde unglücklicherweise

„Menschenrechte für die Großen Menschenaffen. Das Great Ape Projekt“.

Selbstverständlich fordert kein seriöser Wissenschaftler Menschenrechte für

Schimpansen, Gorillas, Bonobos und Orang-Utans, da unter anderem Religionsfreiheit

oder das Recht auf Gründung von Gewerkschaften weder im Interesse der Großen

Menschenaffen sein könnten noch deren aktuellen Status in irgend einer Weise (positiv) beeinflussen könnten.1

 

Die Forderungen im Namen der Großen Menschenaffen beziehen sich auf die Grundrechte, die bereits allen Menschen (offiziell) zustehen:

 

Erstens, das Recht auf Leben:

 

„Das Leben der Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen ist zu schützen. Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen dürfen nicht getötet werden, außer in streng festgelegten Situationen wie zum Beispiel in Notwehr.“

 

Zweitens, der Schutz der individuellen Freiheit:

 

„Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen dürfen nicht willkürlich ihrer Freiheit beraubt

werden; falls sie ohne vorheriges ordentliches Gerichtsverfahren eingesperrt sein sollten, haben sie das Recht auf sofortige Freilassung. Die Inhaftierung derjenigen, die keines Verbrechens überführt oder nicht strafmündig sind, ist nur erlaubt, wenn erwiesen werden kann, daß es zu ihrem eigenen Wohl ist oder notwendig wird, um die Allgemeinheit vor einem Mitglied der Gemeinschaft zu schützen, welches in Freiheit eindeutig eine Gefahr für andere darstellen würde. In solchen Fällen haben die Mitglieder der Gemeinschaft das Recht, entweder direkt oder, falls ihnen die notwendigen Fähigkeiten fehlen, durch einen Rechtsbeistand ein Gericht anzurufen.“

 

Drittens, das Verbot der Folter:

 

„Einem Mitglied der Gemeinschaft der Gleichen entweder böswillig oder für einen angeblichen Nutzen anderer wissentlich ernsthaften Schmerz zuzufügen, gilt als Folter und ist unrecht.“2

 

Eine Anerkennung besagter Grundrechte hätte zur Folge, dass die Großen

Menschenaffen u.a. nicht mehr als Nahrungsquelle, Ausstellungsobjekt oder

Versuchsobjekt ausgebeutet werden dürfen. Für die Schimpansen, Bonobos, Gorillas

und Orang-Utans würde dies ein Leben (zurück) in freier Natur unter natürlichen (vom

Menschen so weit wie möglich unbeeinflussten) Bedingungen bedeuten. Für den

Menschen hätte dies eine Umstellung des Lebensstils in unterschiedlichem Ausmaß zur

Folge, die je nach Intensität und individueller Präferenz die Lebensqualität des

Menschen beeinträchtigen kann, sodass der stark verbreitete Egoismus die Vorteile, die durch die Ausbeutung der Großen Menschenaffen entstehen, zugunsten einer

moralischen Gleichberechtigung nicht ohne Widerstand aufgeben wird:

 

Der Verzicht auf Affenfleisch z.B. würde den meisten relativ leicht fallen, da der

omnivore Mensch auf genügend andere Nahrungsquellen zugreifen kann (die meisten

Menschen essen ohnehin kein Affenfleisch, aus verschiedenen Gründen). Eine

essentielle Einschränkung würde dies in keinem Fall (von drohendem Hungertod

abgesehen) bedeuten.

 

Die Freilassung der Großen Menschenaffen aus Zoos hingegen würde dem Großteil der

Menschen nicht gefallen, da die Zookultur bis heute kaum in Frage gestellt wird – die

Befriedigung der eigenen Neugierde und mangelndes Mitleid3 mit Mitgliedern einer

anderen Spezies machen den Zoobesuch für den regelmäßigen Besucher zu einem

positiven Erlebnis, da er als idyllischer Freizeitausflug mit offiziellem Bildungsauftrag

in der Öffentlichkeit angesehen wird.4 Doch auch hier kann nicht von einer essentiellen

Einschränkung die Rede sein, da der Mensch in seiner Natur von Zoobesuchen nicht

abhängig ist. Auch bieten sich zahlreiche Alternativen, die Neugierde bezüglich anderer

Spezies zu befriedigen und sich über jene Exoten zu informieren.

 

Der Verzicht auf die Großen Menschenaffen als Versuchsobjekte beeinflusst den

Lebensstandard des Menschen (so wie er heutzutage lebt) deutlicher: Die Medizin steht

vor ihrer ewig andauernden Aufgabe, alte und neue Krankheiten erfolgreich (und stets

erfolgreicher) zu erforschen und zu bekämpfen. Hierfür sind die Großen Menschenaffen

aufgrund ihrer genetischen Nähe zum Menschen als „Vor-Versuchsobjekte“ am besten

geeignet – auch wenn die Grausamkeit der Versuche die meisten Menschen schockiert

(und anschließend gerne verdrängt wird). Doch die Gesundheit und damit das möglichst lange (individuelle) Fortbestehen der eigenen Spezies stellt für die meisten Menschen die oberste Priorität und somit Egoismus vor Moral.

 

3 Menschen-Affen

 

Wie weit oder wie nah ist der Mensch denn nun mit den Großen Menschenaffen

verwandt, um eine moralische Grenze ziehen zu können? Nach welchem Kriterium hat

ein Mensch Grundrechte „verdient“ und ist er zur Erlangung jener Grundrechte mit

Fähigkeiten ausgestattet, die nur seiner eigenen Spezies vorbehalten sind? Die

folgenden Unterkapitel untersuchen die wesentlichen Gemeinsamkeiten und

Unterschiede zwischen dem Menschen und den Großen Menschenaffen.

 

3.1 Evolution

 

Die Verwandtschaft durch einen gemeinsamen Vorfahren ist seit der Evolutionslehre in

der aufgeklärten Gesellschaft längst anerkannt. Trotzdem sorgt der Umstand, dass sich

unterschiedliche Spezies gebildet haben, dafür, dass die Verwandtschaft mit den Großen Menschenaffen nur theoretisch, aber nicht praktisch angenommen wird. Der

Verwandtschaftsgrad scheint bezüglich der Optik und der Verhaltensweisen nah genug

zu sein, um eine Faszination (befriedigt durch Ausstellungsobjekte in Zoos oder in der

Unterhaltungsindustrie) auszuüben. Bezüglich der Genetik noch näher, da sie als

Versuchsobjekte Rückschlüsse auf mögliche Wirkungen von Medikamenten auf

Menschen ziehen lassen können. Was lässt die Großen Menschenaffen nun so weit

entfernt verwandt erscheinen, wenn sie bei moralischer Kritik am Umgang des

Menschen mit ihnen nur noch als „Tiere“ gelten und nunmehr die physischen und

kognitiven Unterschiede hervorgerufen werden, um die Zugehörigkeit zu einer anderen

Spezies zu demonstrieren?

 

Da der gemeinsame Vorfahr von Mensch und Schimpanse bereits vor mehreren

Millionen Jahren lebte und längst ausgestorben ist, fehlt heute ein deutliches Bindeglied

zwischen den beiden entstandenen Spezies, die Ring-Spezies. Der Zoologe Richard

Dawkins beschreibt in seinem Aufsatz Barrieren im Kopf den Fall der Silbermöwe und

der Mantelmöwe, die sich im Laufe ihrer Evolution so weit voneinander entfernt haben,

dass sie zwei verschiedene Spezies bilden. Das Besondere an ihrem Fall ist, dass die

Zwischenformen überlebt haben und parallel existieren. Hiermit stellt sich die Frage, was es für die Beziehung zwischen Menschen und Schimpansen bedeuten würde, wenn

ihre Ring-Spezies heute ebenfalls parallel mit ihnen existieren würden:

 

„Unsere aus afrikanischen Menschenaffen bestehende Kette, die in einer Schleife an ihren Ausgangspunkt zurückführt, ist wie eine Miniaturausgabe des über den Nordpol führenden Ringes der Möwen, nur daß die Zwischenglieder zufällig ausgestorben sind. Was ich hier sagen will, ist, daß es, was die Moral betrifft, nicht darauf ankommt, daß die dazwischenliegenden Generationen tot sind. Was würde es bedeuten, wenn sie noch lebten? […] Aber in diesem Fall würden wir ganz andere Gesetze und ganz andere moralische Vorstellungen haben.“5

 

Durch die Analyse der Zufälligkeit von Überleben oder Aussterben der Ring-Spezies

kommt Dawkins zu einem wichtigen Punkt, der die Grundlage des Speziesismus

kritisiert:

 

„Was macht es also aus, wenn die Überlebenden in dem Kontinuum aller Menschenaffen, die in Afrika gelebt haben, nun zufällig eine passende Kluft zwischen Homo und Pan offenlassen? Auf keinen Fall sollten wir die Art, wie wir mit Tieren umgehen, davon abhängig machen, ob wir uns untereinander fortpflanzen können oder nicht.“6

 

Charles Darwin, der berühmteste Evolutionsforscher, hatte zu seiner Zeit bereits den

Umgang des Menschen mit anderen Spezies angeprangert. Der Philosoph James

Rachels fasst in seinem Aufsatz Warum sich Darwinisten für die Gleichbehandlung der

anderen Großen Menschenaffen einsetzen sollten die für das Great Ape Project

wichtigsten Erkenntnisse Darwins zusammen. Dieser hatte bereits die Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Großen Menschenaffen hervorgehoben, so Rachels:

 

„Diese Ähnlichkeiten sind so vielfältig und so wesentlich, daß es oft keine relevanten

Unterschiede mehr gibt, die eine andere Behandlung rechtfertigen. Darwin meinte, solche Tiere seien intelligent und gesellig, und sie besäßen sogar ein rudimentäres moralisches Gefühl. Außerdem empfänden sie Angst, Kummer, Schwermut, Verzweiflung, Freude, Hingabe, schlechte Laune, Geduld und zahlreiche andere ,menschlicheʻ Gefühlsregungen.“7

 

Das Verfügen über ein rudimentäres moralisches Gefühl steht somit in der Realität bis

heute im Kontrast zu der erfahrenen antimoralischen Behandlung.

 

Doch gerade die Moralität spielt bei Darwin eine wichtige Rolle in der Evolutionsforschung über den Menschen. Rachels erkennt im dem von Darwin

aufgestellten moralischen Fortschritt ein Argument für den Einsatz für die

Gleichbehandlung der anderen Großen Menschenaffen:

 

„Wir sind moralische Wesen, weil die Natur uns mit ,sozialen Instinktenʻ ausgestattet hat, die uns veranlassen, uns um das Wohlbefinden anderer zu sorgen. […] Zunächst reichen die Auswirkungen der sozialen Instinkte nicht sehr weit. […] Zu einem moralischen Fortschritt kommt es im Lauf der Zeit, wenn diese sozialen Instinkte immer weiter ausgedehnt werden und wir beginnen, uns um das Wohlbefinden einer immer größeren Zahl unserer Mitgeschöpfe zu kümmern. Die höchste Stufe der Moralität ist erreicht, wenn die Rechte aller Geschöpfe ohne Ansehung ihrer Rasse, ihrer Intelligenz oder sogar ihrer Spezies in gleicher Weise geachtet werden.“8

 

Der Mensch hat sich demnach durch die Evolution zu einem moralischen Wesen

entwickelt und damit ist eine signifikante „menschliche Eigenschaft“ entstanden. Eine

höhere Stufe der Moralität und somit eine Achtung der Rechte anderer Spezies würde

also eine Weiterentwicklung der menschlichen Spezies bedeuten.

 

3.2 Kommunikation

 

Ein oft genanntes Argument für den Sonderstatus des Menschen unter den Spezies ist

seine Fähigkeit zu sprechen. Die Sprachfähigkeit wird bisher hauptsächlich mit der

besonderen Anatomie des menschlichen Kehlkopfes und des Rachenraumes begründet9 und der Mangel jener anatomischen Sprachfähigkeit bei Tieren zusätzlich mit fehlenden kognitiven Fähigkeiten ergänzt.

 

Zählt Kommunikation nur in verbal geäußerter Form? Keineswegs, da auch Menschen,

die nicht verbal kommunizieren können und auf die Gebärdensprache angewiesen sind, als vollwertige Kommunikationspartner akzeptiert werden. Nun haben sich auch einige Große Menschenaffen als lernfähig für die Gebärdensprache der Menschen bewiesen.

 

Eine der bekanntesten Vertreterinnen ist ein weiblicher Gorilla namens Koko. Ihre

Lehrerin, die Psychologin Francine Patterson, hat mit ihren Forschungsergebnissen

zahlreiche neue Erkenntnisse über die kognitiven Fähigkeiten von Gorillas ermöglicht.

Koko versteht heute über 1.000 Zeichen der Amerikanischen Gebärdensprache und über 2.000 gesprochene englische Worte.10 Einige ihrer Forschungsergebnisse hat Patterson in ihrem Aufsatz Zur Verteidigung des Personenstatus von Gorillas zusammen mit ihrer Forschungsassistentin Wendy Gordon präsentiert. Dort gibt sie Dialoge mit Koko wieder, die einen Einblick in die kognitiven Fähigkeiten eines Gorillas geben. Das Niveau der Kommunikation beschreibt sie mit folgenden Worten:

 

„Gespräche mit Gorillas ähneln denen mit kleinen Kindern und müssen in vielen Fällen im Rahmen der jeweiligen Situation und mit Rücksicht auf die bisherige Verwendung der dabei benutzten Zeichen interpretiert werden.“11

 

Zu den erstaunlichsten Erkenntnissen, die durch die Kommunikation mit Koko

entstanden, gehören u.a. das Erreichen eines durchschnittlichen Intelligenzquotienten

von 80,3 beim Stanford-Binet-Test12, das selbstständige Erweitern der erlernten Zeichen durch kreative Kombinationen zu neuen Zeichen13, bessere Ergebnisse bei

metaphorischem Verständnis als bei menschlichen Kindern (basierend auf einem Test

des Pädadogen und Psychologen Howard Gardner)14, die Vorliebe zu Scherzen15, eine

Vorstellung vom Tod16, Einfühlungsvermögen17 und Gespräche über vergangene

Situationen an anderen Orten18. Die Kommunikation mit Koko steht einer

Kommunikation mit einem menschlichen Kind anscheinend in nichts nach.

 

Bezüglich der Kommunikationsfähigkeit hat ein (gesunder) Gorilla einigen Menschen

gegenüber sogar Vorteile: Schwer geistig behinderte Menschen sind kaum bis gar nicht

dazu in der Lage, sich verständlich zu machen. Hierzu hatte der Professor für

Geistigbehindertenpädagogik Christoph Anstötz die Fähigkeiten schwer geistig

behinderter Menschen mit denen von nichtmenschlichen Primaten verglichen und mit

diesem Tabubruch eine neue Sichtweise ermöglicht, die selbstverständlich nicht das Ziel hat, geistig behinderte Menschen abzuwerten, sondern auf der Grundlage ihrer

moralischen Stellung den Kreis der Gemeinschaft der Gleichen zu erweitern. Der

Kampf gegen die Diskriminierung geistig behinderter Menschen in den 60er und 70er

Jahren soll hier als Beispiel dienen für eine weitere Gruppe, die nicht selbst für ihre

Rechte eintreten kann, obwohl der Unterschied in der Zugehörigkeit zu

unterschiedlichen Spezies das gesellschaftliche Tabu begründet. So schreibt Anstötz in

seinem Aufsatz Schwerst geistig behinderte Menschen und die Großen Menschenaffen:

Ein Beitrag aus sonderpädagogischer Sicht nach einer Analyse von unterschiedlichen

Beobachtungen geistig behinderter Kinder und Jugendliche:

 

„Es scheint nichts zu geben, was ein geistig schwerstbehinderter Mensch tun oder empfinden könnte und ein Schimpanse oder Gorilla nicht; vielmehr läßt sich umgekehrt zeigen, daß es vieles gibt, wozu ein Schimpanse oder Gorilla in der Lage ist und ein schwerst geistigbehinderter Mensch nicht.“19

 

Die Kriterien für typisch menschliche Eigenschaften werden durch die schwerst geistig

behinderten Menschen letztendlich so gut wie unmöglich aufstellbar, ohne sich rein auf

die Spezieszugehörigkeit zu stützen, da es schwerst geistig behinderte Menschen gibt,

die nicht einmal die rudimentärsten Eigenschaften aufweisen, die als typisch menschlich bezeichnet werden, wohingegen mindestens eben jene Eigenschaften bei Großen Menschenaffen auftreten20. Die Zugehörigkeit geistig schwerst behinderter Menschen zur Spezies Mensch als Kriterium für die Erlangung gleicher Rechte impliziert jedoch eine weitere Diskriminierung in Form des Speziesismus:

 

„Der Versuch jedoch, diese Gleichheitsidee konsequent zu realisieren, dürfte schon insofern auf Schwierigkeiten stoßen, als jene Lebewesen, die bislang nicht zur relevanten moralischen Gemeinschaft gezählt wurden, nicht die geringste Chance haben, ihre Diskriminierung anzufechten. Nicht einmal der intelligenteste Schimpanse wäre dazu in der Lage, entweder direkt oder durch einen Vertreter aus den eigenen Reihen […] Einspruch einzulegen.“21

 

Angesichts der belegten kognitiven Fähigkeiten von Großen Menschenaffen ist es

durchaus vorstellbar, dass sich ein Mitglied jener Spezies (per Gebärdensprache) eines

Tages gegen seine Diskriminierung ausdrücken könnte.

 

3.3 Unterdrückung

 

Das Bewusstsein für die Unterdrückung der Tiere durch den Menschen ist auch in der

aufgeklärten und freiheitsliebenden Gesellschaft heutzutage noch insgesamt schwach.

Dies könnte damit zusammenhängen, dass das Wort „Unterdrückung“ gewöhnlich nur

in Bezug auf Mit-Menschen verwendet und verstanden wird, d.h., nur Menschen können

(und konnten) nach dem allgemeinen Verständnis unterdrückt werden.

 

Der Status der Tiere (und somit auch der der Großen Menschenaffen) in unserer

Gesellschaft wird von Paola Cavalieri und Peter Singer in einem eigenen Aufsatz in

ihrem Buch mit dem Status der Sklaven der Antike verglichen.22 Als Eigentum

betrachtet, jeglicher Rechte verwehrt und der Machtlosigkeit ausgesetzt, finden sich

einige Parallelen:

 

„Wie bei den Sklaven der Antike so variiert heute bei Tieren die Behandlung – von der

liebevollen Fürsorge des ,Haustierhalters' bis zur nackten Ausbeutung des ,Massentierhalters', der nur noch daran interessiert ist, seine Gewinne zu vergrößern. Wieder gibt es eine Gemeinsamkeit, die hier darin besteht, daß die Tiere einen totalen Verlust der Kontrolle über ihr eigenes Leben erlitten haben. […] Wie leibeigene Sklaven stehen nichtmenschliche Tiere außerhalb des moralischen Schutzbereiches der modernen Gesellschaft.“23

 

Im Gegensatz zu den Tieren hatten die Sklaven jedoch die Möglichkeit, Widerstand zu

leisten. In dieser Hinsicht sind die Tiere (und auch die Großen Menschenaffen) von dem Einsatz der Menschen zu ihren Gunsten abhängig. Während der Mensch sowohl die Rolle des Unterdrückers als auch die des Unterdrückten einnehmen kann, wie sich in der Geschichte der menschlichen Sklavenhaltungen zeigt, bleibt den Tieren (und auch den Großen Menschenaffen) nur die Rolle des Unterdrückten.

 

Was könnte die Menschen dazu bewegen, sich gegen die Unterdrückung der Großen

Menschenaffen einzusetzen? Der Philosoph und Autor Colin McGinn stellt in einer

Analyse von fiktiven, nichtmenschlichen und den Menschen überlegenen Figuren in

Romanen oder Filmen (wie Außerirdische, Vampire oder Roboter) die Theorie auf, dass

diese eine Kompensation des eigenen schlechten Gewissens, wie der Mensch seine

Überlegenheit als „Krone der Schöpfung“ ausnutzt, darstellen. Der Mensch sei sich

innerlich bewusst, dass seine Position in der Hierarchie der Spezies durch zufällige

Faktoren bestimmt wurde – so wie seine Geburt in eine bestimmte Familie und

Umgebung.24 Sowohl die evolutionären Umstände, die dazu geführt haben, dass der

Mensch die dominierende Spezies wurde, beruhen auf Zufällen, als auch das (bisherige) Ausbleiben einer dem Menschen überlegenen Spezies in seinem Lebensraum. Dieses Bewusstsein beschreibt McGinn mit folgenden Worten:

 

„[...] wir erkennen die Zufälligkeit unserer biologischen Position nur auf merkwürdige und beschränkte Weise an – als wenn unser Unterbewußtsein es nur zu gut erkennt, wir es aber verdrängen, weil wir die moralischen Folgen vermeiden wollen; denn unser instinktiver Speziesismus gerät ins Wanken, wenn wir an die Möglichkeit denken, daß auch wir von einer uns überlegenen Spezies beherrscht werden könnten.“25

 

Dieses Bewusstsein muss aus der Verdrängung hervorgeholt werden, um sich mit der

Unterdrückung anderer Spezies auseinandersetzen zu können und sich in ihre Lage

versetzen zu können. Wenn der Mensch sich mit der Zufälligkeit der entstehenden

Hierarchien ein anderes Szenario für seine Spezies vorstellt, wie zum Beispiel die

Unterdrückung des Menschen durch eine andere, ausbeuterische Spezies oder gar die

Nicht-Existenz der menschlichen Spezies, hat dies eine Überprüfung der moralischen

Grundsätze zur Folge:

 

„Wenn die Evolution niemals Menschen hervorgebracht hätte, gäbe es keine wissenschaftlichen Versuche an Menschenaffen, die Menschenaffen wären weder in Zoos noch anderswo eingesperrt, und niemand würde zum Vergnügen auf sie Jagd machen. Den Menschenaffen würde es ohne uns zweifellos besser gehen. Sie haben einfach kosmisches Pech und sind in der Lage, in der wir wären, wenn einer dieser Alpträume zur Realität würde. […] Wir hätten in den Käfigen sitzen oder auf den Vivisektionstischen liegen können, und das hätte uns mit absoluter Sicherheit nicht gefallen. Mit anderen Worten, die Moral darf nicht von einem glücklichen Zufall

diktiert werden.“26

 

Es ist nicht auszuschließen, dass z.B. eine außerirdische Spezies eines Tages die Erde

betreten könnte und es wäre in einem solchen Szenario sehr wahrscheinlich, dass diese Spezies den Menschen so weit überlegen ist, um ihn (durch welche Fähigkeiten oder technologischen Errungenschaften auch immer) unterdrücken und ausbeuten zu können.

 

Selbst wenn der Gedanke noch theoretischer scheint, für diesen Fall moralische

Argumente für eine Gleichberechtigung suchen zu müssen, mit denen man die

Außerirdischen davon überzeugen könnte (falls eine speziesübergreifende

Kommunikation möglich wäre), dass die Ausbeutung der unterlegenen Spezies Mensch

unrecht sei, kann dieses Gedankenexperiment zu einer Neubewertung der bereits

bestehenden Verteilung der Rechte führen.

 

4 Schlussbetrachtungen

 

Der einzig ersichtliche Grund, weshalb der Mensch den Großen Menschenaffen die

Grundrechte bisher verweigert, scheint der Speziesismus zu sein. Doch wie bereits die

in dieser Hausarbeit zitierten Wissenschaftler argumentieren, kann weder der kosmische Zufall, noch das Aussterben der Ring-Spezies ein gerechter Grund sein, die

Gemeinschaft der Gleichen allein auf den Menschen zu beschränken. Tatsächlich würde

somit selbst der klügste Schimpanse, der sich (angenommen, er wäre über die

Diskriminierung aufgrund seiner Spezieszugehörigkeit aufgeklärt) für seine Rechte

einzusetzen versuchte, von vornherein abgelehnt werden. Auch menschliche Vertreter,

die sich für den Schimpansen einsetzen würden, hätten aufgrund des im Voraus

gefallenen Urteils keine Chance, ihre Argumente im Namen des einer anderen Spezies

zugehörigen Klienten anzubringen. Der Speziesismus ist die höchste Form der

Diskriminierung und bringt in der Realität fatale Folgen mit sich. Das am Ende der

Hausarbeit angeführte Beispiel einer Unterdrückung des Menschen durch eine

überlegene Spezies bietet sich als Gedankenexperiment für einen konsequent geführten Speziesismus gut an: Wer als Mensch den Großen Menschenaffen die Grundrechte verweigert, da der gegebene kosmische Zufall als „nicht unrecht“ bewertet wird, darf ebenso kein Unrecht in dem Fall sehen, wo durch einen anderen kosmischen Zufall der Mensch von einer ihm überlegenen Spezies ausgebeutet wird.

 

Da das Great Ape Project lediglich die Grundrechte für die Großen Menschenaffen

fordert, würde die Realisierung der Forderungen den Menschen auch gar nicht vom

Thron der Schöpfung stoßen. Er wäre weiterhin die am weitesten entwickelte Spezies

und würde lediglich in seiner Macht (siehe Kapitel 2) eingeschränkt werden. Die

Großen Menschenaffen würden in Freiheit leben, in einem Lebensraum ohne den

Menschen. Dieser Schritt scheint noch sehr schwierig zu sein, da der Mensch sich in

medizinischer Hinsicht von Experimenten an Großen Menschenaffen abhängig macht.

Gerade die Forschungen auf Kosten anderer Spezies, aber zu Gunsten der menschlichen Spezies sind besonders kontrovers. Doch auch hier kann ein Gedankenexperiment zum Überdenken des moralischen Status anregen: Was, wenn nicht nur die Ring-Spezies ausgestorben wären, sondern auch alle anderen Großen Menschenaffen? Würden dann bestimmte Menschengruppen zum Wohle anderer geopfert werden?

 

Literaturverzeichnis

 

Sammelband:

Cavalieri, Paola, Singer, Peter et al. (1994): Menschenrechte für die Großen

Menschenaffen. Das Great Ape Projekt. München: Goldmann.

Internetquellen:

Offizieller Internetauftritt der Gorilla Foundation: http://www.koko.org/

Offizieller Internetauftritt des Great Ape Projects: http://greatapeproject.de/