Tierpark Hellabrunn
Goaßlschnalzer und Schuhplattler
Der Münchner „Tierpark Hellabrunn“
Schon Anfang des 19. Jahrhunderts hatte es in München einen Tiergarten gegeben: Kurfürst Max III. Joseph hatte sich ab 1806 in Schloß Nymphenburg eine eigene Menagerie einrichten lassen, die allerdings dem „gemeinen Volk“ nicht zugängig war. Ein halbes Jahrhundert später bekam auch die Stadtbevölkerung einen Tiergarten, der freilich nur wenige Jahre Bestand hatte. Er ging, wie eine Reihe in den 1880ern etablierter Kabinette und Panoptika, in denen exotische Fische, Schlangen, Krokodile, Vögel und Affen gezeigt wurden, dazu „abnorme“ Menschen, nach kurzer Zeit pleite.
1905 wurde aus der Münchner Bürgerschaft heraus ein neuer Anlauf unternommen, einen Tiergarten zu etablieren. Mit Unterstützung der Stadt, die pachtfrei ein entsprechendes Areal zur Verfügung stellte und wohlwollend gefördert durch das bayerische Königshaus, konnte der „Tierpark Hellabrunn“ (benannt nach einem nahegelegenen Jagdschloß der Wittelsbacher) im August 1911 eröffnet werden. Ganz im Stil klassischer Tiergartenarchitektur gab es verschiedene „orientalische“ Gehegebauten: das Raubtierhaus etwa, in dem neben Löwen, Tigern und Pumas auch ein Gepard „aus unseren Kolonien in Deutsch-Ostafrika“ (Zooführer von 1911) gezeigt wurde, sollte den Eindruck einer eben ausgegrabenen ägyptischen Tempelanlage vermitteln, das 1914 eröffnete „Dickhäuterhaus“ den eines byzantinischen Metropolitenbaus. Obgleich die Baukosten zu großen Teilen von den Münchner Bierbrauereien getragen wurden, hatte man sich doch, nicht zuletzt mit dem Bau eines feudalen „Waldrestaurants“ samt Konzert- und Tanzsaal, heillos übernommen: 1921 mußte Konkurs angemeldet werden. Der Tierbestand wurde zu großen Teilen an den Nürnberger Tiergarten verkauft, einige der Tiere wurden auch an einen Wanderzirkus verscherbelt; nicht wenige verschwanden über einen Tierhändler an unbekannte Orte.
Schon bald nach der Schließung des Tiergartens formierte sich ein „Hilfsbund“ Münchner Bürger, der über den Verkauf von Lotterielosen Geld für dessen Wiederinbetriebnahme acquirierte. 1928 konnte Hellabrunn als Aktiengesellschaft wiedereröffnet werden. Als Direktor - für die folgenden einundvierzig Jahre [!] – wurde der 34jährige Heinz Heck bestellt, Sohn des seinerzeitigen Berliner Zoodirektors Ludwig Heck und Schwiegersohn des Hamburger Tierhändlers Heinrich Hagenbeck. (Neben seinen Verwandtschaftsverhältnissen brachte Heck als Qualifikation für seine Berufung zum Zoodirektor lediglich den Umstand mit, dass er zuvor für ein großes deutsches Pharmaunternehmen Versuchstiere gezüchtet hatte.)
„Nazi-Bastarde“
Zusammen mit seinem Bruder Lutz, der 1931 die Leitung des Berliner Zoos übernommen hatte (in Nachfolge seines Vaters Ludwig Heck, der den Zoo 43 Jahre lang geleitet hatte), machte Heinz Heck es sich zur Lebensaufgabe, ausgestorbene Wildtierarten rückzuzüchten. Besonderes Augenmerk legten die Hecks auf die Rückzucht des Auerochsen, auch Ur genannt, der seit dem 17. Jahrhundert aus Europa verschwunden war. Sie kreuzten südfranzösische und spanische „Kampfstiere“ querbeet mit „wild“ aussehenden anderen Rinderrassen, bevorzugt mit ungarischen Steppen- und schottischen Hochlandrindern, dem Vernehmen nach wurden auch ostafrikanische Watussis eingekreuzt. Auch wenn dabei allenfalls Rinder herauskamen, die entfernt alten Abbildungen von Auerochsen ähnelten, und sich die gesamte wissenschaftliche Fachwelt von den Hecks abwandte, behaupteten diese unbelehrbar bis an ihr Lebensende, sie hätten den Auerochsen wiedererschaffen. Bis heute werden in Hellabrunn angeblich „rückgezüchtete Auerochsen“ gezeigt, mit denen unverdrossen weitergezüchtet wird.
Neben ihren zweifelhaften Experimenten mit Rindern versuchten die Hecks sich auch an der „Rückzüchtung“ des Tarpan, einer ausgestorbenen Art eurasischer Wildpferde, für die sie Islandpferde mit osteuropäischen Konik-Ponys verpaarten. „Reichsjägermeister“ Göring förderte die Heckschen Rückzuchtexperimente nach Kräften. Als besondere Attraktion für die Besucher verpaarten die Hecks auch Eisbären mit Braunbären oder Tiger mit Löwen. Laut Jubiläumsband zum 100jährigen Bestehen Hellabrunns von 2011 seien die daraus hervorgegangenen „Bastarde“ beim Publikum äußerst beliebt gewesen. Im Übrigen sei es den Hecks als „Volksaufklärer“ immer darum gegangen, dem „Zoobesucher ein authentisches und wissenschaftlich korrektes [!] Bild der Tierwelt“ zu vermitteln.
Bedingt durch die Propaganda, die die Nazis für Hellabrunn machten - Zoos galten als wichtige Lern- und Anschauungsorte der NS-Ideologie -, gab es seit 1934 enorme Besucherzuwächse. Gerade der dort durchgeführten Zuchtexperimente wegen begeisterte sich die Führungselite der Nazis besonders für Hellabrunn: Hitler etwa schenkte dem Zoo höchstpersönlich fünfzig Mandarinenten und zwei Giraffen, Hess eine Löwin, Göring vier „reinblütige Wisentkühe“; Himmler, der vor seiner Karriere in der SS in München eine Hühnermastanstalt betrieben hatte, beehrte Hellabrunn mehrfach mit seinem Besuch.
Nach dem Krieg wurden beide Hecks ihrer Verstrickung in das NS-Regime wegen aus dem Verband Deutscher Zoodirektoren ausgeschlossen. Lutz Heck, persönlicher Freund Görings, tauchte unter, Heinz Heck hingegen blieb bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1969 unbeanstandet als Münchner Zoodirektor im Amt. 1964 wurde er gar mit dem Bayerischen Verdienstorden geehrt. Seine Nachfolge übernahm Lutz Heck jun., der Sohn seines untergetauchten Bruders. Bis heute erinnert ein Ehrenmal an Zoodirektor Heinz Heck.
Schafbockreiten
Bei Bombenangriffen im Juli 1944 wurden große Teile der Gehegeanlagen zerstört; zahllose Tiere kamen ums Leben. Schon wenige Wochen nach Kriegsende allerdings konnte Hellabrunn, notdürftig instandgesetzt, wieder eröffnet werden. Völlig unkontrolliert und in großem Stil wurde in den Folgejahren „nachgezüchtet“, so dass der Zoo Mitte der 1950er schon wieder den gleichen Bestand aufwies wie vor dem Krieg. Die Hellabrunner Aktiengesellschaft konnte insofern gewinnbringend ins Tierhandelsgeschäft einsteigen
Heute hält der Zoo auf einer Fläche von rund 40 Hektar mehr als 19.000 Tiere aus knapp 800 Arten vor und zählt damit zu den tier- und artenreichsten zoologischen Einrichtungen der Welt. Nach wie vor wird er in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betrieben, deren Anteile zu 93,3 Prozent von der Stadt München gehalten werden. Den Aufsichtsratsvorsitz führt seit je der/die jeweilige 3. BürgermeisterIn der Stadt. Eigenen Angaben zufolge liegen die Besucherzahlen bei über 2 Millionen pro Jahr. Ungeachtet dessen erhält Hellabrunn aus Haushaltsmitteln der Stadt, sprich: aus Steuergeldern, einen jährlichen Zuschuß in Millionenhöhe. Auch die fortlaufend durchgeführten Um- und Neubaumaßnahmen wurden und werden zu großen Teilen aus Steuermitteln finanziert.
Über eine 1987 eingerichtete „Tierparkschule“ werden Unterrichtsgänge und Projekttage für Schüler aller Altersgruppen und Schularten angeboten. Selbstredend werden auch Kindergeburtstage ausgerichtet, an Ostern gibt es Ostereiersuchen, in der Adventszeit den Besuch von Nikolaus und Krampus. (Der tierquälerische „Reitbetrieb“ auf Haflingerponys und Kamelen, den der Zoo jahrzehntelang im Angebot führte - zu früherer Zeit gab es für Kinder gar die Möglichkeit, auf Schafböcken zu reiten -, wurde aufgrund massiven öffentlichen Protests 2012 eingestellt.) Für Erwachsene gibt es „Biergartengemütlichkeit“ sowie bayerntümelnde Sonderveranstaltungen „mit Blasmusik, Goaßlschnalzern und Schuhplattlern“. Das Bayerische Fernsehen (BR/ARD) führt regelmäßige Werbesendungen für den Zoo (z.B. „Nashorn, Zebra & Co.“ ) im Programm.
Neuerdings wird in Zusammenarbeit mit einer Heilpraktikerin psychotherapeutische Hilfe bei Schlangen- oder Spinnenphobien angeboten: im Rahmen 1-tägiger „Seminare“ kann man sich im Zoo einer sogenannten „Konfrontationstherapie“ unterziehen, bei der zooeigene Pythons und Taranteln zum Einsatz kommen. Kosten: 130 Euro. (Es erübrigt sich der Hinweis, dass Heilpraktiker weder über die erforderliche diagnostische noch die klinische Qualifikation verfügen, Phobien oder sonstige Störungen oder Erkrankungen seriös zu behandeln.)
„Geo-Prinzip“
Heinz Hecks wichtigste Neuerung in Hellabrunn war die ab den 1930ern vorgenommene „geographische Gliederung des Tierparks nach Kontinenten“, sprich: die Präsentation der Tiere nicht nach ihrer Artenzugehörigkeit bzw. nach systematischen Gesichtspunkten, wie das bis dahin in Zoos üblich war, sondern gemäß ihrer ursprünglichen Herkunft. Während man in Hellabrunn in der Nach-Heck-Ära zunehmend von diesem Prinzip abrückte und stattdessen die Tiere in willkürlicher Zusammensetzung präsentierte, übernahmen Zoos weltweit das Heck-Prinzip „geographischer Gliederung“. Im Tierpark Hellabrunn, der sich bis heute rühmt, der „erste Geo-Zoo der Welt“ gewesen zu sein, besinnt man sich erst seit der Übernahme der Zooleitung durch den Bauingenieur Rasem Baban im Sommer 2014 wieder der Heckschen Vorgaben, die in modernisierter Form wiederaufleben zu lassen einen von Baban veranschlagten zigmillionenschweren Kostenaufwand rechtfertigen soll.
Ungeachtet des Umstandes, dass es den eingesperrten Tieren reichlich gleichgültig sein dürfte, ob gemäß „Geo-Prinzip“ im Käfig nebenan Tiere aus dem gleichen Herkunftskontinent gezeigt werden oder solche vom anderen Ende der Welt, ist tatsächlich weder das 2003 in Betrieb genommene „Urwaldhaus“ - Baukosten 14 Mio Euro -, in dem Schimpansen und Gorillas einsitzen, spezifisch „afrikanisch“ noch das 2005 eröffnete und nicht wesentlich kostengünstigere „Orang Utan-Paradies“ spezifisch „asiatisch“. In ersterem finden sich vis-á-vis der Affengehege Terrarien mit Mississippi-Alligatoren, die es nur im Südosten der USA gibt, in zweiterem sind mithin Mandrills aus Zentralafrika, Kattas aus Madagaskar oder Klammeraffen aus Südamerika untergebracht.
Aber selbst wenn das vielgerühmte und mittlerweile zootypische „Geo-Prinzip“ in Hellabrunn mit gigantischen Kosten wiederhergestellt würde, wäre das simple Nebeneinanderstellen unterschiedlicher Tiere des jeweils gleichen Kontinents um nichts tierfreundlicher als das traditionelle Nebeneinanderstellen gleichartiger Tiere aus unterschiedlichen Kontinenten. Tatsächlich nimmt das „Geo-Prinzip“ ebensowenig Rücksicht auf die Belange und Bedürfnisse der Tiere wie jede andere Aufteilung eines Zooareals. Ob dem „Geo-Prinzip“ ein höherer Bildungswert innewohnt, wie Direktor Baban nicht müde wird zu behaupten, kann insofern dahinstehen. Um die Tiere geht es ohnehin zuletzt, wie sich an einem der ersten Bauprojekte unter der Regie Babans zeigt: nahe des Elefantenhauses wurde ein „exotischer Kiosk im Stil eines japanischen Teehauses“ errichtet. Betreiber des 250-Sitzplätze-Kiosks, der im Sommer 2016 eröffnet werden soll, ist der Münchner Gastronom Siegfried Able, der zu den Bierzeltgroßverdienern auf dem Münchner Oktoberfest gehört. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Förderverein „Tierparkfreunde Hellabrunn e.V.“ langjährig unter dem Vorsitz des Münchner Großgastronomen und Oktoberfestwirtes Willy Heide gestanden hatte, der zeit seines Lebens keinerlei Bedenken hatte, in seinen Betrieben Unmengen qualgezüchteter Rinder, Schweine und Hühner zu verwerten. Der 8000 Mitglieder starke Verein war in den 1990ern als „Schutzgemeinschaft“ [!] gegen Tierrechtsorganisationen wie „Animal Peace“ begründet worden. 2011 wurde der Verein aufgrund des Verdachtes finanzieller Unregelmäßigkeiten in Zusammenhang mit einer Zoo-Lotterie aufgelöst. Die Vereinsaktivitäten wurden von einem zooeigenen „Förderkreis“ übernommen.
Grassierende Bauwut
Gesondert zu erwähnen ist die zwanghafte Bauwut, die unter Zooverantwortlichen grassiert und die keineswegs immer, wie behauptet, dem Interesse der vorgehaltenen Tiere dient: viele Direktoren, zumal die der Großzoos, scheinen getrieben, während ihrer Amtszeit ein untrennbar mit ebendieser verbundenes Prestigeprojekt durchzusetzen - Borgoriwald (Frankfurt, 16 Mio), Menschenaffenhaus (Stuttgart, 22 Mio), Darwineum (Rostock, 29 Mio), Delfinlagune (Nürnberg, 31 Mio), Gondwanaland (Leipzig, 66,8 Mio) etc. -, wobei die Eitelkeit, den jeweiligen Amtsvorgänger oder die Direktoren anderer Zoos ausstechen und übertrumpfen zu wollen, offenbar eine nicht geringe Rolle spielt; letztlich ist es ja nicht ihr Geld, das da verpulvert wird.
Vor allem bei der Übernahme eines vakanten Chefpostens legen die neubestallten Direktoren teils irrwitzig überzogene Um- und Neubaupläne vor, die von den zuständigen Haushaltsgremien - zu größten Teilen werden Steuergelder dafür aufgewandt - in aller Regel bedenkenlos durchgewunken werden. Vielfach ist die Vorlage eines sogenannten „Masterplanes“, der weitreichende Um- und Neubauten vorsieht, gar das wesentliche Kriterium, nach dem ein neuer Direktor angestellt wird. So präsentierte etwa der 2014 auf den Chefsessel von Zoo und Tiergarten Berlin berufene Andreas Knieriem einen „Masterplan“, der ein Kostenvolumen von 92,4 Mio umfasst; im Zoo Hannover waren zuvor unter seiner Leitung 112 Mio verbaut worden. Etwas bescheidener der Zoo Karlsruhe, dessen 2015 neuberufener Direktor Matthias Reinschmitt sich die Finanzierung eines „Masterplans“ in Höhe von 52 Mio genehmigen ließ. Auch der seit Anfang 2016 als Direktor des Zoos Münster firmierende Thomas Wilms phantasiert von einem zigmillionenschweren „Masterplan“, den er in den nächsten Jahren umsetzen wolle. Am groteskesten und zugleich bezeichnendsten aber kommt der Münchner Tierpark Hellabrunn daher, der 2014 als neuen Direktor nicht etwa einen zooerfahrenen Biologen oder Veterinärmediziner berief, wie das in den meisten anderen Zoos der Fall ist, sondern einen gelernten Bauingenieur: der neubestallte Zoodirektor Rasem Baban legte einen „Masterplan“ vor, zu dessen Umsetzung der Aufsichtsrat, sprich: die Stadt München, 100 bis 125 Mio Euro genehmigte.
Die in den Zoos verbauten Steuermillionen dienen in erster Linie der Steigerung der Publikumsattraktivität. Orientiert an den Konsum-, Freizeit- und Unterhaltungswünschen der „breiten Masse“ werden die Einrichtungen konsequent disneylandisiert. Gleichwohl werden sich die eingesetzten Gelder niemals amortisieren, am wenigsten angesichts des trotz aller Investitionen teils dramatischen Rückganges der Besucherzahlen, dem man - zirkelschlüssig - mit immer neuen Investitionen entgegenzuwirken sucht. Um eine Verbesserung der Bedingungen, unter denen die Tiere gehalten werden, geht es den Zoos entgegen aller Behauptungen allenfalls nachrangig.
Aktueller Nachtrag: Anfang Juli 2016 legte der Tierpark Hellabrunn seinen "Jahresbericht" vor, demzufolge 2015 mehr als 2 Mio Besucher - angeblich die zweithöchste Besucherzahl aller Zeiten - den Zoo besucht haben. Nach wie vor allerdings benutzt die Hellabrunn AG das fehlerhafte Hochrechnungsmodell des VdZ, das falsche Zahlen ergibt (rechnet man, wie neuerdings etwa im Zoo Basel, über ein elektronisches Drehkreuz ab, ergeben sich plötzlich nur noch halb so viele Besucher). Abgesehen davon werden auch in Hellabrunn notorisch BesuchE mit BesucheRn ineinsgesetzt, was die Zahlen künstlich nach oben treibt (veranschlagt man allein die rund 50.000 Jahreskartenbesitzer mit 10 Besuchen pro Jahr, kommt man auf eine halbe Million weniger Besucher).
Colin Goldner
Tierbefreiung #91, Juni 2016