KoK
Das Great Ape Project
KoK: Was genau ist das Great Ape Project?
C.G.: Das Great Ape Project, initiiert 1993 von den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer, beinhaltet die Forderung, die Großen Menschenaffen - Orang Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos - aufgrund ihrer großen genetischen Ähnlichkeit mit dem Menschen und ihren ähnlich komplexen kognitiven, affektiven und sozialen Fähigkeiten bestimmte Grundrechte zuzuerkennen, die bislang dem Menschen vorbehalten sind: Das Recht auf Leben, auf individuelle Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit, wodurch praktisch alle Fälle erfasst sind, die Menschenaffen in Bezug auf Menschen betreffen können: Jagd, Wildfang, Zirkus, Zoo, Tierversuche sowie Zerstörung ihrer Lebensräume. Es solle den Großen Menschenaffen der gleiche moralische und gesetzlich zu schützende - das heißt: auch einklagbare - Status zukommen, der allen Menschen zukommt. Die tradierte Ungleichbehandlung von Menschen und Menschenaffen ist im Lichte wissenschaftlicher Erkenntnis nicht länger haltbar und damit moralisch zu verwerfen. Letztlich gibt es keinen vernünftigen Grund, den Menschenaffen die geforderten Grundrechte vorzuenthalten. Selbstredend geht es dabei nicht, wie von Gegnern der Idee immer wieder behauptet wird, um Menschenrechte in umfassendem Sinn, was ja auch absurde wäre, da zu den unveräußerlichen Menschenrechten mithin Gewissens- und Religionsfreiheit zählt, die für die Großen Affen ebenso irrelevant ist wie Berufsfreiheit oder das Recht auf Gründung von Gewerkschaften.
Wieso gerade Menschenaffen? Werden „mehr Rechte“ gefordert, weil die Tiere dem Menschen so ähnlich sind? Sollte ein Leben in Freiheit nicht unabhängig davon sein, ob ein Lebewesen „menschlich“ ist?
Es stellt sich tatsächlich die Frage, was den Einsatz gerade für die Großen Menschenaffen rechtfertigt, durch deren Einbezug in die Rechtsgemeinschaft der Menschen sich nur die Grenzlinie verschöbe und nun Menschen und Große Menschenaffen auf der einen Seite von allen anderen Tieren auf der anderen Seite trennte, woraus Elefanten, Delphine, Kühe, Schweine, Hühner und alle anderen Tiere, überhaupt keinen Nutzen bezögen. Es handelt sich bei den Forderungen des Great Ape Project um einen pragmatischen - oder wenn man so will: strategischen - ersten Schritt: irgendwo muß man schließlich anfangen. Zudem, und das ist das Entscheidende, stellen die Großen Menschenaffen den Dreh- und Angelpunkt des Verhältnisses Mensch-Natur dar, sie definieren wie nichts und niemand sonst die sakrosankte Grenzlinie zwischen Mensch und Tier: Sind sie festgeschrieben "auf der anderen Seite", sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde diese Grenze an einer Stelle durchlässig - am naheliegendsten natürlich anhand jener Tiere, die dem Menschen am nächsten stehen -, könnte das eine Art "Türöffner" sein, der letztlich allen Tieren zugute käme: Es könnte ein erster Schritt sein hin zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das bisherige Verhältnis Mensch-Tier.
Gibt es ungefähre Zahlen dazu, wie viele Menschenaffen zur Zeit weltweit in Gefangenschaft leben? In Zoos, Zirkussen, Labors?
Genaue Zahlen dazu sind mir nur für Deutschland bekannt. Derzeit werden in 38 hiesigen Zoos knapp 500 Orang Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos zur Schau gestellt. In deutschen Pharma- und Forschungslabors hingegen werden schon seit mehr als 20 Jahren keine Großen Menschenaffen mehr eingesetzt, allerdings nicht aus ethischen sondern ausschließlich aus finanziellen Gründen: ihre Haltung ist schlichtweg zu teuer. Der „Verbrauch“ kostengünstigerer Wirbeltiere, mithin Makaken, ist unverändert hoch: amtlichen Statistiken zufolge fallen jährlich rund drei Millionen „Versuchstiere“ einer wissenschaftlich fragwürdigen Forschung zum Opfer. Auch in Zirkussen gibt es keine Großen Menschenaffen mehr, mit Ausnahme des 38-jährigen Schimpansen ROBBY, der bis heute im norddeutschen Zirkus „Belly“ als Pausenclown auftreten muß. Nicht zu vergessen die ehemalige DDR-Staatszirkusdomteuse Christiane Samel, die nach wie vor mehrere Schimpansen in ihrem Privathaus nahe Berlin hält und für Partyauftritte vermietet.
Wie sieht das alltägliche Leben für Große Menschenaffen in der Zoogefangenschaft aus?
Zootiere leben in Dauerstress. Zusammengepfercht auf ein paar Quadratmeter Käfig- oder Gehegefläche sind sie einem ständigen Hin-und-her ausgesetzt zwischen tödlicher Langeweile einerseits, die den immergleichen Alltagsablauf bestimmt und ihnen keine Möglichkeit lässt, arteigenen Bedürfnissen nachzugehen, und der Anspannung andererseits, die die Menschenmassen bedeuten, die, unstet und lärmend, sich Tag für Tag an ihnen vorüberwälzen, ohne dass sie eine Chance hätten, sich zurückziehen oder zu entfliehen. Noch nicht einmal stabile Sozialverhältnisse können sie aufbauen: immer wieder werden gewachsene Familien- und Gruppenstrukturen auseinandergerissen, wenn nach Gutdünken irgendwelcher Zuchtkoordinatoren Tiere quer durch Europa von einem Zoo in einen anderen verschubt oder untereinander ausgetauscht werden. Viele zeigen insofern ein Leben lang Symptome von Depression, Angst oder posttraumatischer Belastungsstörung. Nicht selten überleben Tiere den ungeheueren Stress, aus ihrem vertrauten Familienverband herausgerissen und mit fremden Tieren zwangsvergesellschaftet zu werden, nicht: trotz entsprechender Medikation erliegen sie Herzversagen, Kreislaufzusammenbrüchen etc. Die Zoos werten solche Fälle als „unerklärlich“ und bestellen sich Ersatz.
Viele Tiere entwickeln Verhaltensstörungen, wenn sie in Gefangenschaft leben. Wie äußern diese sich?
Mit dem Begriff „Zoochose“, zusammengesetzt aus den Wörtern „Zoo“ und „Psychose“, hat sich längst ein eigener Fachterminus etabliert für gestörtes Verhalten von Zootieren, das Tiere der gleichen Art in Freiheit nicht zeigen und das insofern auf die Gefangenhaltung im Zoo zurückzuführen ist. Bei meiner Untersuchung der Haltungsbedingungen Großer Menschenaffen in hiesigen Zoos stellte ich bei einer Vielzahl von Tieren augenfällige Symptome zoochotischer Störungen fest. In praktisch jedem der besuchten Zoos fand ich betroffene Tiere vor, die, in mehr oder minder ausgeprägter Form, die gesamte Bandbreite zootypischer Stresssymptome und Verhaltensstörungen aufwiesen: Bewegungsstereotypien, Agitiertheiten, Essstörungen, Hyperaggressivität, Selbstverletzungen, Angststörungen, Apathie. Auffallend viele Zoo-Schimpansen, um ein Beispiel zu nennen, wiesen Haarausfall im Gesicht, auf Kopf, Brust oder im hinteren Schulterbereich auf, was - klassisches Stresssymptom - mithin durch ein Ungleichgewicht des Cortisol-Spiegels verursacht sein dürfte Einige Tiere rissen sich in stereotyper Weise die eigenen Haare aus oder kratzten sich die Haut blutig. Vermutlich stand ein nicht unerheblicher Teil der beobachteten Tiere unter dem Einfluß sedierender Psychopharmaka, bei einigen konnte ich das indirekt auch nachweisen. Es ist insofern davon auszugehen, dass weit mehr Tiere an Verhaltensstörungen leiden, als ich das in meiner zeitlich beschränkten Untersuchung feststellen konnte.
Moderne Zooanlagen überzeugen die BesucherInnen mit einer scheinbar „natürlichen“ Umgebung, die aussehen soll, wie ihr natürlicher Lebensraum. Ist das nur ein schöner Schein fürs gute Gewissen?
Viele Zoos suchen der gerade in Menschenaffenhäusern kaum vermeidbaren „Knastatmosphäre“ entgegenzuwirken durch mehr oder minder üppige „Urwaldbepflanzung“. Allerdings werden nicht die Gehege bepflanzt, in denen die Tiere mehr als neunzig Prozent ihrer Lebenszeit zuzubringen genötigt sind - nur an warmen und trockenen Tagen dürfen sie für jeweils ein paar Stunden auf die Außenanlagen -, sondern die Besuchergänge: die Besucher werden auf dicht bewachsenen „Dschungelpfaden“ an Gehegen vorbeigeführt, in denen selbst kein einziger Grashalm wächst. Dass die Tiere in der Regel auf nackten Betonböden herumsitzen, fällt weiter nicht auf, da der Blick des Besuchers die Bepflanzung außerhalb der Gehege sozusagen in diese mit hineinnimmt. Um die Illusion der Besucher zu verstärken, sie befänden sich „mitten im Regenwald“, sind die Besuchergänge oftmals mit kleinen Wasserläufen und Teichen ausgestattet, auch mit Volieren, Aquarien oder Terrarien, in denen tropische Vögel, Fische, Reptilien, Amphibien oder Spinnen gezeigt werden. Dem gleichen Zweck dienen künstliche Felsbrocken, mit denen die Gehege ausgestattet sind, meist sind auch die Seiten- und Rückwände mit künstlichen Felsen oder mit Holzplanken versehen; mancherorts sind sie auch mit Dschungelmotiven bemalt. Die eingesperrten Tiere haben davon gar nichts.
Das häufigste Argument von Zoo-VerteidigerInnen ist das von „Artenschutz“ und „Artenerhalt“, besonders mit Blick auf Tiere, die vom Aussterben bedroht sind. Wie ist Ihre Sicht dazu?
Die stereotyp vorgetragene Behauptung, im Zoo gefangengehaltene Tiere dienten als „Botschafter ihrer Art“ dem Schutz ihrer freilebenden Artgenossen, ist absurd. Tatsächlich hat die Zurschaustellung etwa des Eisbären Knut im Berliner Zoo allenfalls die Zookasse zum Klingeln gebracht und vielleicht noch die Plüschtierindustrie angekurbelt, mit Blick auf den Schutz der Arktis und ihrer Bewohner hat sie nicht das Geringste bewirkt. Ebensowenig wurde die fortschreitende Vernichtung der afrikanischen oder indonesischen Regenwälder aufgehalten dadurch, dass seit über hundert Jahren Gorillas und Orang Utans in Zoos zu besichtigen sind. Tatsächlich ist das Artenschutz-Mantra der Zoos nichts als propagandistische Leerformel, mit der die Gefangenhaltung der Tiere als höherem Werte dienend verkauft werden soll.
Gibt es noch andere Argumente, mit denen versucht wird, solche Einrichtungen zu rechtfertigen?
Ein weiterer Anspruch der Zoos ist, dass sie zu Bildung beitrügen. Tatsächlich tun sie das nicht. Studien zeigen, dass Zoobesucher kaum mehr über Tiere wissen als Menschen, die sich überhaupt nicht für Tiere interessieren und noch nie in einem Zoo waren. Die durchschnittliche Verweildauer der Besucher vor den einzelnen Gehegen liegt, unabhängig von der Art und Anzahl darin gehaltener Tiere, bei unter einer Minute pro Käfig. Viele Besucher werfen nur im Vorübergehen einen Blick auf die Tiere, allenfalls bleiben sie kurz stehen, um ein Selfie mit Tier im Hintergrund zu machen. Auch Kindern wird die Tierwelt nicht näher gebracht, ganz im Gegenteil. Was lernen Kinder denn im Zoo? Dass es okay ist, Tiere einzusperren. Respekt vor Tieren lernen sie insofern nicht: Da wird gegen Scheiben geklopft, gerufen, gepfiffen, in die Hände geklatscht. Nicht selten werden die Tiere mit Kieselsteinen, Ästen oder sonstigen Gegenständen beworfen. Wie wenig es darum geht, Achtung und Respekt vor den Tieren zu erlernen, belegen auch die extrem fleischlastigen Speisekarten der Zoorestaurants: vegetarische oder vegane Alternativen gibt es da allenfalls in Form von Beilagen. Vereinzelt stehen sogar exotische Wildtiere auf der Karte, wie man sie im Gehege ums Eck gerade noch besichtigt hat: Springbock, Gnu, Kudu oder Strauß. Auf die Idee, die Zoobesucher dazu anzuregen, einen ganz persönlich erlebaren Beitrag zu Tier-, Natur- und Umweltschutz zu leisten und wenigstens am Tag des Zoobesuches auf Bratwurst oder Wienerschnitzel zu verzichten, kommt kein einziger der deutschen Zoos. Der Beitrag von Zoos zu wissenschaftlicher Forschung - auch dies ein häufig angeführtes Pro-Zoo-Argument - ist denkbar gering: falls überhaupt geforscht wird, dann zu rein zoospezifischen Fragen wie Haltung oder Nachzucht von Zootieren, zu Fragen also, die es ohne Zoos gar nicht gäbe.
Ist es eine realistische Verstellung, dass es irgendwann keine Zoos mehr geben wird?
Ich halte den historischen Moment für gekommen, um nach Rassismus, Sexismus und Nationalismus auch die Schranke des Speziesismus zu überwinden, der die Diskriminierung von Lebewesen allein aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt. Mit Blick auf die Gefangenhaltung von Wildtieren in Zoos bin ich zuversichtlich, dass wir, um mit Richard Dawkins zu sprechen, eines Tages auf die Art und Weise, wie wir heute mit Tieren umgehen, so zurückblicken werden, wie wir heute auf die Art und Weise zurückblicken, wie unsere Vorfahren mit Sklaven umgegangen sind. Zoos wird es in der jetzigen Form in hundert Jahren nicht mehr geben.
Sie haben auch ein Buch zu dem Thema geschrieben – „Lebenslänglich Hinter Gittern“. Allein die Menge an Informationen ist mehr als beeindruckend. Wie und wie lange haben Sie für das Buch gearbeitet und recherchiert?
Ich habe über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren sämtliche deutschen Zoos mit Haltung Großer Menschenaffen jeweils mehrfach besucht und dabei mehr als 600 Stunden vor Menschenaffengehegen zugebracht. Für meine Beobachtungen habe ich mich symptomorientierter Checklisten aus der klinischen Humanpsychologie bedient, die eine systematische Verhaltens- und Interaktionsbeobachtung erlauben. Das Buch selbst entstand in etwa einjähriger Arbeit. □
Das 1993 begründete Great Ape Project (GAP) ist als international tätige Tierrechtsorganisation angelegt. Die deutsche Sektion (www.greatapeproject.de) arbeitet in erster Linie publizistisch (Veröffentlichungen in Büchern und Zeitschriften, TV-Auftritte, Vorträge usw.). Zum einen geht es dabei um die Unterfütterung einer 2014 initiierten parlamentarischen Initiative zur legislativen Verankerung der geforderten Grundrechte für Menschenaffen (Erweiterung von Art. 20a des Grundgesetzes), und zum anderen um Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich der Situation in hiesigen Zoos gefangengehaltener Menschenaffen. Fernziel ist die Schaffung eines eigenen Refugiums in einer klimatisch dafür geeigneten Region im Mittelmeerraum, analog zu den Schutzeinrichtungen, die das GAP bereits seit Jahren in Argentinien und Brasilien für Primaten aus privater Haltung, aus biomedizinischen Labors oder aus der Entertainmentindustrie (Zoo, Zirkus etc.) unterhält. Zudem arbeitet das GAP mit wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen wie auch verschiedenen Natur-, Tier- und Artenschutzorganisationen zusammen.
Kochen ohne Knochen #20, August 2015
Interview mit Colin Goldner