Melodie&Rhythmus
In Ausgabe 2/2015 der Musikzeitschrift "Melodie&Rhythmus" erschien ein Artikel über die britische Rockband THE KINKS, die 1970 mit "Apeman" einen ihrer zahlreichen Mega- hits gelandet hatte. Im folgenden steht der Text in langer Version zu lesen, in gekürzter Fassung findet er sich in der Printausgabe von M&R. Man versäume nicht, den unten verlinkten Auftritt der KINKS mit "Apeman" anzusehen...
Apeman
Zu den kommerziell erfolgreichsten britischen Pop-Rock-Gruppen der 1960er Jahre zählten zweifellos The Kinks. Begründet Ende 1963 von den Brüdern Ray und Dave Davies in Nord-London stehen die Kinks in der Musikgeschichte in einer Reihe mit den Beatles, den Rolling Stones und The Who.
Der Bandname leitete sich von dem Begriff „kinky“ ab, was soviel bedeutet wie „schrullig“, „spleenig“ oder „ausgeflippt“. The Kinks – Ray firmierte als Songwriter, Sänger, Gitarrist und Frontman, Dave, der gelegentlich eigene Songs beisteuerte, stand an der Leadgitarre, Peter Quaife am Bass und Mick Avory saß am Schlagzeug - waren also, frei übersetzt, „Die schrägen Vögel“. Schon zuvor waren die vier unter dem Namen The Boll-Weevils - eine Art Rüsselkäfer - aufgetreten, auch als The Ravens, hatten aber keinen nennenswerten Erfolg erzielt. Erst mit der 1964 unter dem Namen The Kinks aufgenommenen Single You Really Got Me gelang ihnen der Durchbruch. Das Stück mit Daves berühmtem Gitarrenriff wurde zum Millionenseller. Bis 1967 hatten die Kinks sowohl in Europa als auch in den USA zahlreiche weitere Charterfolge, darunter Superhits wie Sunny Afternoon, Waterloo Sunset oder Dandy. Ray Davies stieg neben John Lennon und Paul McCartney zu einem der erfolgreichsten britischen Songschreiber auf.
1970 wurde die Band um Keyborder John Goslin erweitert, zu fünft nahmen die Kinks mit Lola versus Powerman and the Moneygoround Part One ein Konzeptalbum auf - die mittlerweile achte LP -, auf dem sie moderat kritische Töne gegenüber den Gepflogenheiten und Zwängen der Musikindustrie anschlugen. Das Imperium schlug sofort zurück: Die BBC drohte, die Platte auf den Index zu setzen, da in dem titelgebenden Song Lola angeblich Schleichwerbung für Coca Cola zu hören war. Ein reiner Popanz, gleichwohl lenkten die Kinks sofort ein und änderten für die Single-Version von Lola den Text entsprechend ab. Das Stück, in dem es um eine erotisch angehauchte Begegnung von Bandmanager Robert Wace mit einem Transvestiten in einem Londoner Club geht, avancierte letztlich zu einem der größten Erfolge der Kinks überhaupt. Ein paar Jahre später wurde es tatsächlich für einen Coca Cola-Werbesport eingesetzt. Noch ein weiterer Song der LP Lola versus Powerman schaffte es in die Singlecharts: Apeman, eine simpel gedachte Art von Zivilisationskritik, die Davies mit der Sehnsucht verknüpfte, der modernen Welt samt Überbevölkerung, Inflation, Hunger und nuklearer Bedrohung durch ebenso simpel gedachten Ausstieg zu entfliehen.
I think I'm sophisticated
'Cos I'm living my life like a good homo sapiens
But all around me everybody's multiplying
Till they're walking round like flies man
So I'm no better than the animals sitting in their cages
in the zoo man
'Cos compared to the flowers and the birds and the trees
I am an ape man
I think I'm so educated and I'm so civilized
'Cos I'm a strict vegetarian
But with the over-population and inflation and starvation
And the crazy politicians
I don't feel safe in this world no more
I don't want to die in a nuclear war
I want to sail away to a distant shore and make like an ape man
I'm an ape man, I'm an ape ape man
I'm an ape man I'm a King Kong man I'm ape ape man
I'm an ape man
'Cos compared to the sun that sits in the sky
compared to the clouds as they roll by
Compared to the bugs and the spiders and flies
I am an ape man
Wild Chimpanzees
Ob Davies von den bahnbrechenden Erkenntnissen gehört hatte, die die junge Schimpansenforscherin Jane Goodall aus dem Dschungel von Tanganjika mitbrachte – ein paar Monate vor der Aufnahme von Apeman war mit My Friends the Wild Chimpanzees ihr aufsehenerregendes erstes Buch erschienen -, ist nicht überliefert. Denkbar wäre es, zumal er bis dahin, außer in den frühen Bandnamen, nie Begriffe oder Metaphern aus der Tierwelt verwendet hatte. Der Song auf der B-Seite der Apeman-Single trug den Titel Rats und befasste sich, ebenso wie die A-Seite, mit Zivilisationsüberdruss und dem Wunsch, dem Lärm und der Enge der Großstadt zu entkommen.
Während Jane Goodall ihren Traum wahr machte – sie erzählt davon, schon als kleines Mädchen davon geträumt zu haben, wie ihre literarische Namensschwester Jane aus Edgar Rice Burroughs Tarzan of the Apes eines Tages nach Afrika zu gehen -, und Ende der 1950er tatsächlich nach Kenia aufbrach, blieb Davies ein Leben lang der Borough of Haringey verhaftet, einem muffigen lower middle class-Stadtteil im Norden Londons, wo er, zusammen mit sieben Geschwistern aufgewachsen war. Auch wenn – oder gerade weil – er mit dem kommerziellen Erfolg der Kinks einen beachtlichen gesellschaftlichen Aufstieg hinlegte – letztlich wurde er in Frühjahr 2004, kurz vor seinem 60. Geburtstag, von der Queen höchstpersönlich zum Commander of the British Empire ernannt – blieb er seiner kleinbürgerlichen Herkunft zeitlebens treu. Am wenigsten war er der Rebell und Outcast, als der er sich vorkam oder der er sein wollte - Welten trennten ihn etwa von Mick Jagger oder Frank Zappa, die in all ihrer Arriviertheit veritable bogeymen geblieben waren -, sein Ausstieg aus der petty bourgeoisie fand nur auf einer schwarzen Vinylscheibe statt. Und in gelegentlichen Alkohol- und Drogenexzessen.
In man’s evolution he has created the cities and
the motor traffic rumble, but give me half a chance
and I’d be taking off my clothes and living in the jungle
‘Cos the only time that I feel at ease
Is swinging up and down in a coconut tree
Oh what a life of luxury to be like an ape man
I’m an ape, I’m an ape ape man, I’m an ape man
I’m a King Kong man, I’m a voo-doo man
I’m an ape man
Eat bananas all day
Davies‘ Vision eines glücklicheren, gesünderen und geistig zurechnungsfähigeren Lebens fernab jeder Zivilisation, in der Welt von Tarzan und Jane, erfüllte sich nicht: Im wirklichen Leben heiratete er dreimal und lebte mit den jeweiligen Frauen und den vier Kindern, die er mit ihnen zeugte, weiterhin mitten im Großstadtdschungel von London - bzw. später in dem von New Orleans -, mitten im Lärm und in der von Autoabgasen verpesteten Luft, durch die, wie er beklagte, nicht einmal der Himmel mehr zu sehen war.
I look out my window, but I can’t see the sky
‘Cos the air pollution is fogging up my eyes
I want to get out of this city alive
And make like an ape man
Come and love me, be my ape man girl
And we will be so happy in my ape man world
I’m an ape man, I’m an ape ape man, I’m an ape man
I’m a King Kong man, I’m a voo-doo man
I’m an ape man
I’ll be your Tarzan, you’ll be my Jane
I’ll keep you warm and you’ll keep me sane
and we’ll sit in the trees and eat bananas all day
Just like an ape man
Die Bedrohung der Welt durch einen Atomkrieg – Nixons Ende der 1960er aufgestellte Vietnam-Doktrin hatte die Lunte an den Einsatz nuklearer Sprengstoffe gelegt - führte bei Davies nicht zu Protest oder zu politischem Engagement wie bei Bob Seger, Black Sabbath und vielen anderen seiner Musikerkollegen, sondern zu höchstprivaten Flucht- und Aussteigerphantasien. Aber wie gesagt: nicht einmal die realisierte er: er schaffte es noch nicht einmal in die Kifferparadiese nach Kathmandu oder Goa wie die meisten Musikikonen seiner Zeit: Jimi Hendrix, Janis Joplin, Bob Marley. Er blieb der ewige slowpoke aus Haringey, der allenfalls davon träumte, zu fernen Gestaden aufzubrechen. Musikerkollegin Marianne Faithful beschrieb ihn als extrem steifarschig und hosenscheisserig.
I don’t feel safe in this world no more
I don’t want to die in a nuclear war
I want to sail away to a distant shore
And make like an ape man.
Paradigmatisch war der Live-Auftritt der Kinks Anfang 1971 in der BBC-Musikshow Top of the Pops, bei dem sie ihre eben veröffentlichte Single Apeman vorstellten: Frontman Ray in hellblau-fliederfarbenem Oberteil samt perfekt gebundener aprikotfarbener Fliege am Kragen, die zeitgeistig etwas längeren Haare frisch onduliert und ordentlich gescheitelt: der Traum aller Schwiegermütter. Auch die anderen Bandmitglieder sahen nach allem anderen aus als nach Greatful Dead, The Doors oder The Who, mit denen sie sich gerne vergleichen ließen. Auffallend war allenfalls Bassist John Dalton – er war 1969 für Peter Quaife in die Band gekommen –, der Vollbart trug. Und natürlich Keyboarder John Gosling, der, ungeheuer originell, im Gorillakostüm am Piano saß und affenmäßig mit den Armen ruderte. (Video: www.eyeneer.com/video/rock/the-kinks/apeman). Die Aufzeichnung ihres unfassbar spießigen BBC-Auftritts verwendeten die Kinks später für ein Promovideo.
Kurz zuvor, am 13.2.1971, waren die Kinks mit Apeman auch im deutschen Fernsehen zu sehen gewesen. Sie waren als leibhaftige Britpopstars zur Premiere von disco eingeladen worden, einer unglaublich bieder aufgemachten „Jugendsendung“, mit der das ZDF dem vergleichsweise aufmüpfigen Beatclub der ARD Konkurrenz zu machen suchte. In der von Ilja Richter in letztlich 133 Folgen moderierten 45-Minuten-Show - der Auftritt der Kinks wurde umrahmt von seinerzeitigen Schlagergrößen wie Andy Kim, Petula Clark und Alfi Khan alias Joachim Heider -, gaben die Davies-Brüder zusammen mit dem Rest der Band die braven Jungs von der Insel, die sie letztlich ja auch waren und trotz aller Streitigkeiten zwischen Ray und Dave und trotz gelegentlicher Ausfälle, bei denen sie – offenbar im Glauben, das gehöre sich so für Rockstars – hemmungslos soffen, Groupies vögelten und Hotelzimmer zerlegten, zeit ihres Musikerlebens immer geblieben sind. Bezeichnend ist insofern auch, dass Ray kurz nach Erscheinen von Apeman nochmal ins Studio geeilt war, um mit einer neuen Aufnahme die Zeile "the air pollution is fogging up my eyes" zu entschärfen, die sich im Radio zu sehr nach "fucking up my eyes" angehört hatte.
Animal Rights Movement
Ab Ende der 1960er nahm in England die Tierrechtsbewegung um den Psychologen Richard Ryder Fahrt auf. Ob Davies sich damit befasste oder ob es reiner Zufall war, dass Apeman zeitgleich mit Ryders ersten Veröffentlichungen über Speziesismus entstand, muß dahinstehen. Von entsprechendem Engagement Davis‘ ist jedenfalls nichts bekannt. Gleichwohl gibt seine 1970 vorgetragene Erkenntnis, ein Affenmensch respektive Menschenaffe zu sein, lediglich wieder, was Forscherinnen wie Jane Goodall, Dian Fossey oder Biruté Galdikas seit Anfang der 1960er über das Leben von Primaten in freier Wildbahn zusammengetragen haben: dass sie tradierte Formen von Kultur haben, einschließlich der Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen oder bei Krankheiten bestimmte Heilkräuter einzusetzen; dass sie über Ich-Bewußtsein verfügen samt einer Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft, dass sie vorausschauend denken und planen können, Freude, Trauer, Leid und Mitgefühl empfinden, einen ausgeprägten Sinn für Humor haben; kurz: dass sie über kognitive, soziale und kommunikative Fähigkeiten verfügen, die sich von denen des Menschen allenfalls graduell unterscheiden, und dass sie emotional genauso empfinden wie dieser. Die Befunde der modernen Genetik machen es naturwissenschaftlich völlig unhaltbar, überhaupt noch zwischen Menschen und Menschenaffen zu unterscheiden: die Erbgutunterschiede etwa zwischen Mensch und Schimpanse bewegen sich je nach Meßmethode im minimalen Prozent- oder gar nur im Promillebereich. Selbst die Vorstellung, die Menschenaffen seien untereinander enger verwandt als mit den Menschen, ist falsch: Der nächste Verwandte der Schimpansen und Bonobos ist nicht der Gorilla, sondern der Mensch. Bildlich ausgedrückt sind Menschen, Schimpansen und Bonobos Geschwister, Gorillas sind ihre gemeinsamen Cousins und Orang-Utans sind etwas weiter entfernte Großcousins.
Gleichwohl empfinden es viele Menschen als unzumutbar, diese Verwandtschaft anzuerkennen, die mit dem Ende der Sonderstellung des Menschen als „Krone der Schöpfung“ einherginge. Vor allem aber ginge diese Anerkenntnis einhergehen mit dem Ende der Ausbeutung von Menschenaffen in Zoos, Zirkussen und Pharmalaboren - ein Türöffner, der letztlich zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das bisherige Verhältnis Mensch-Tier führen könnte. Ein Vierteljahrhundert nach Apeman initiierten der australische Bioethiker Peter Singer und die italienische Philosophin Paola Cavalieri das sogenannte Great Ape Project, das die Forderung erhebt, den Menschenaffen bestimmte Grundrechte zu verschaffen, die bisher nur für Menschen gelten: das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit. Away to a distant shore…
Um die Geschichte der Kinks zu vervollständigen: Nach dem 1970er Megaerfolg von Lola versus Powerman and the Moneygoround Part One ging es auf und ab mit der Band, ein „roller coaster of commercial success and failure” wie in einem ihrer Fanzine zu lesen stand. 1990 wurden die Kinks in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. Die Band wurde zwar bis heute nicht offiziell aufgelöst, ihr letztes Studioalbum Phobia jedoch - außer Ray und Dave Davies war die Besetzung längst mehrfach ausgewechselt worden - erschien 1993. Den letzten gemeinsamen Auftritt als Kinks gab es im Juli 1996 beim Norwegian-Wood-Festival in Oslo, anschließend gingen die ewig zerstrittenen Davies-Brüder alleine oder mit eigenen Bands auf Tour. Eine Neuauflage der Kinks schlossen beide kategorisch aus.
Colin Goldner
Melodie&Rhythmus 2/2015 (gekürzte Fassung)