Rezension

Zoos als Foltereinrichtungen, Tötungs-maschinerien und Verdummungsanstalten

 

"Lebenslänglich hinter Gittern“ ist ein intensiv recherchierter und ausführlich argumentierender Rundumschlag gegen die Institution Zoo und ein Plädoyer für die Persönlichkeitsrechte von Großen Menschenaffen. Schon zu Beginn beschreibt die Kulturgeschichte des Verhältnisses zwischen Menschen und Menschenaffen eine Haltung gegenüber den Tieren, die deren gesamtes Wesen konsequent ignoriert. Darstellungen von Schimpansen, die oft in Menschenkleidung gesteckt und auf menschliches Verhalten dressiert, als Spaßmacher fungieren, Eintrittskarten ausgeben oder gar Zigarren rauchen und Wein trinken mussten, zeugen davon. Unterschiedliche Affenarten wurden zu klischeehaften Stereotypen menschlicher Projektionen (Gorillas waren „blutrünstige Bestien“, Orang Utans „gelehrige, gelegentlich aber auch widerspenstige Eigenbrötler“, Schimpansen „menschenzugewandte und stets gutgelaunte Spaßmacher“ oder Bonobos „friedliche weil sexversessene Hippies“). Es zeigen sich immer wieder rassistische, speziesistische, menschen- und tierverachtende Definitionen davon, wer minder- und höherwertig, unter- oder überlegen sei, fast ausnahmslos davon ausgehend, dass zivilisierte, europäische, männliche, weiße Menschen an der Spitze stehen. Es folgen Weltbilder und Zitate von Wissenschaftlern (Blumenbach, Linné, Darwin), Philosophen (Decartes, Rousseau, Schopenhauer) und Theologen über ihre Menschen- und Tierbilder. Bekannte Personen wie Zoologe Alfred Brehm oder Zoodirektor Bernhard Grzimek und wie sie das gesellschaftliche Bild von Zoos und Tieren prägten, werden ebenso ausführlich dargestellt wie Erkenntnisse von Forscherinnen (Jane Goodall, Dian Fossey und Biruté Galdikas), die ein völlig neues Bild von Menschenaffen vermittelten. Weitere Wissenschaftler (Christophe Boesch, Volker Sommer, Frans de Waal) zeigten dann, wie Affen Werkzeuge herstellten, bei Krankheiten bestimmte Heilkräuter einsetzten, dass sie über Ich-Bewusstsein und einer Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft verfügen, dass sie vorausschauend denken und planen können, Freude, Trauer, Leid und Mitgefühl empfinden und einen ausgeprägten Sinn für Humor haben. Weltberühmt gewordene Menschenaffen wie Washoe, Chantek oder Koko, ihre Geschichte, Persönlichkeit und Fähigkeiten sowie Experimente der Kognitionsforschung werden beschrieben, um zu argumentieren, wie unhaltbar sowohl die Grenzziehung zwischen Menschen und Menschenaffen, als auch deren Gefangenschaft, Behandlung und Benutzung ist. Eine ablehnende Haltung von Religion allgemein und dem Christentum speziell, zieht sich durch das gesamte Buch. Die Konsequenz mit der Goldner sämtliche Argumente zu widerlegen versucht, die Bibelstellen im Sinne eines anderen Mensch-Tier-Verhältnisses auslegen, ist zuweilen beeindruckend, in seiner unerbitterlichen und sich wiederholenden Art und Weise aber auch zuweilen nervig. In jedem Fall vermag der Stil Goldners unterhalten. Daher ist er mit seiner umfassenden Ablehnung des Christentums und oft aller Religionen sowie der Forderung Tierbefreiungsarbeit müsse auch immer Religionsbefreiungsarbeit sein (was die Ausgrenzung religiöser Tierrechtler_innen und Tierbefreier_innen bedeuten könnte), auch nicht unumstritten. Im zweiten Teil zur Rechtsstellung der Menschenaffen dreht sich alles um Gesetze, Säugetiergutachten, Zooleitlinien, deren Details, Potentiale und Grenzen. Zur Geschichte der Einrichtung Zoo im dritten Teil wird es spannender. Es wird beschrieben, wie der Tierhandel am Beispiel der Menschenaffen ab dem 17. Jahrhundert funktionierte und wie die Sammelwut europäischer Herrscherhäuser für die entsetzlichen Menagerien und Tiersammlungen, als Attraktion und Statussymbol, schon seit dem 13. Jahrhundert verantwortlich war und unzähligen Tieren das Leben kostete. Nach den Menagerien europäischer Fürstenhäuser wird ab den 1790er Jahren mit dem Jardin de Plantes, auf den Rilke mit seinem berühmten Gedicht „Der Panther“ verweist, der erste öffentlich zugängliche Zoo geschaffen. Die Wandermenagerien (Jahrmärkte, Volksfeste), auf denen Tiere in winzigen Käfigen ausgestellt wurden, fanden dennoch weiterhin bis in die 1960er Jahre statt. Durch die vielen Informationen zu Zoogründungen und –erweiterungen wird immer deutlicher, welche verfälschte Selbstdarstellung (inklusive des bis heute andauerndem Geschichtsrevisionismus) die Zoos pflegen, die ohne jahrhundertelangen europäischen Kolonialimperalismus kaum je existiert hätten oder noch existieren würden. Denn nicht nur Rohstoffe, Waren und Pflanzen, die entdeckt wurden, auch Tiere und Menschen, als Primitive und vermeintlich weniger entwickelte Wesen, wurden in selbstherrlichem Überlegenheitsdenken und einem kontinuierlichen Allmachts- und Herrschaftsanspruch, unhinterfragt angeeignet, wenn nötig mit Gewalt unterworfen, versklavt oder getötet. Danach folgen Ausführungen zu den Gründungen und Entwicklungen der „Bürgerzoos“, zu historisch berühmten Personen im Zoogeschäft, wie Carl Hagenbeck, zu den rassistisch-kolonialistischen Völkerschauen von Mitte des 19. Jahrhunderts bis weit ins 20. Jahrhundert hinein und natürlich die NS-Vergangenheit der Zoos und deren Verbindungen zur Politik. Die Zerstörung der Zoos im Weltkrieg und die Nachkriegszeit lesen sich aber ebenso deprimierend. Schließlich wird aber auch auf zookritische Veröffentlichungen, Strömungen und Kämpfe sowie ermunternde Erfolge eingegangen, wie beispielsweise eine in Italien den 1970ern aufkommende Antizoo-Bewegung, die so erfolgreich war, dass viele Zoos geschlossen werden konnten (ähnlich der ebenso erfolgreichen und beinah zeitgleich agierenden Antipsychiatriebewegung, die zur Schließung fast aller Psychiatrien führte). Der vierte Teil von Beobachtungen zum Selbstverständnis heutiger Zoos, dürfte wohl das interessanteste Kapitel sein, um genügend Stoff zur Argumentation gegen Zoos zu bieten und die gängigsten Vorurteile und Lügen über Zoos zu widerlegen. Es wird aufgezeigt, wie das „Vier-Säulen-Konzept“ mit den angeblichen Aufgaben von Forschung, Artenschutz, Bildung und Erholung gegen die wachsende Kritik an Zoos funktioniert und penetrant und permanent seit seiner Erfindung durch sämtliche Zoopropaganda gebetsmühlenartig wiederholt wird, ebenso wie diese Beiträge für Forschung, Bildung oder Artenschutz widerlegt werden. An der Funktion von Zooschulen und anderer Arten der Manipulation von Kindern und Erwachsenen wird deutlich, wie Vorurteile und Zerrbilder von Tieren und der Natur verfestigt werden und dass Zoobesucher_innen nichts über die Tierarten lernen, sondern nur wie das gewaltsame Mensch-Tier-Verhältnis funktioniert und mit Lügen verschleiert, als Normalität dargestellt wird. Es werden perfide Tricks von Zoodirektoren geschildert, um Gehege weniger vergittert oder größer erscheinen zu lassen als sie sind, zum Beispiel durch stromführende Drahtbüschel, die von Grasbüscheln schwer zu unterscheiden sind oder durch betonierte Wassergräben, die für viele Tiere gefährlich sind und schon hunderten Tieren das Leben gekostet haben. Es wird beschrieben, wie ungeachtet der Sozialstrukturen der profitorientierte Tierhandel auch illegal vorangetrieben wird (bis heute werden an sämtlichen Regeln und Gesetzen vorbei immer noch Tiere aus der Natur geraubt) oder wie die unzureichenden bis völlig katastrophalen Haltungsbedingungen von kompetenzfreien Zooverantwortlichen mit skrupelloser Beharrlichkeit geleugnet werden. Dazu gehören Ausreden für verweigerte Gehegemodernisierungen oder unkontrollierte Inzestzüchtungen, die als Artenschutz ausgegeben werden und für die Überbevölkerung in den Zoos, den daraus folgenden Schlachtungen und Tierhandel verantwortlich sind oder die Umdeutung von willkürlichen Tiertötungen zu vernünftigen Aktionen, selbst wenn diese von Gerichten verurteilt werden (und dies obwohl unter die Tötung aus „vernünftigen Gründen“ hierzulande fast alles fällt). Nachgewiesene Inzest-Zuchtprogramme, Verbindungen zur Jagdlobby oder Nazi-Verstrickungen in der Vergangenheit, werden beinah von allen Zoos geleugnet oder verharmlost. Absurde Vorgänge wie die Ernennung von ehemaligen Vertretern von Tierfuttermitteln zu Zoodirektoren, die medizinische „Betreuung“ von Zootieren durch Amtsveterinäre, die sonst als Lebensmittelkontrolleure arbeiten oder unkontrollierte Dauerverabreichungen eigentlich verschreibungspflichtiger Psychopharmaka scheinen keine Ausnahmen zu sein. Völkerschauähnliche Veranstaltungen bis in die Gegenwart (zum Beispiel 2005 in Augsburg) offenbaren weitere erschreckende Ansichten einiger Zooverantwortlicher und die bis heute anhaltende Intensität an Vergangenheitsverklärung einen erschreckenden Geschichtsrevisionismus, an dem die von den Medien betriebene Propagandamaschinerie wesentlich beteiligt ist. Untreue, Korruption, Mittelverschwendung und Betrug trotz Milliardensubventionen aus Steuergeldern scheinen ebenso alltäglich wie die Zurichtung und Desensibilisierung des Zoopersonals, aufrechterhalten mittels strenger Hierarchien diktatorischer Ausmaße, sowie völlig unzureichende Ausbildungen von Pfleger_innen und Zootierärzten. Noch trauriger sind die Schilderungen der brutalen Tötungsmethoden von Tieren zu Futterzwecken und die Ignoranz gegenüber unübersehbarer und dennoch von Zoopersonal, Zootierärzten und Behörden geleugneten Stresssymptome, Bewegungsstereotypien, Apathien, Regurgitation (wiederholtes Hervorwürgen/Erbrechen geschluckter Nahrung mit erneuter Aufnahme), Koprophagie (Verzehren des Kots) oder Selbstverstümmlungen. „Dem kurzen Moment, den der Besucher vor einem Käfig steht und das darin eingesperrte Tier besichtigt, stehen Jahre und Jahrzehnte entgegen, die dieses Tier in ebendiesem Käfig zuzubringen hat. Das verzweifelte Vergnügen, Tiere rundum in vergitterten Betonbunkern begaffen zu können, bezahlen nicht die Besucher mit dem Kauf ihres Eintrittsbilletts, sondern die Tiere mit ihrem Leben.“ (S. 225) In Kapitel fünf werden die 38 Zoos (von mehr als 850 in Deutschland), die Menschenaffen gefangen halten, ausführlich vorgestellt. Bei den Besuchen der Zoos zwischen 2011 und 2013 dokumentierte Goldner mit seiner Frau Claudia die „Lebens“bedingungen der Bonobos, Gorillas, Schimpansen und Oran-Utans. Es wird nachgewiesen, dass der Platz der Unterbringung überall zigtausendfach unter den natürlichen Reviergrößen liegt und die Selbstbekenntnisse von Zoos und deren vorgegebene Mindeststandarts (auch wenn diese für sich schon lächerlich gering sind) auch durch Mitgliedschaften in verschiedenen Organisationen (wie der WAZA Weltzooorganisation, VDZ Verband deutscher Zoodirektoren, EAZA Europäischer Zooverband) nicht eingehalten werden. Auch Fragen danach, ob es richtig ist, eingesperrte Tiere in ihrer Hilflosigkeit und Ohnmacht für dokumentarische Zwecke letztlich nochmal vorzuführen und wieso ausgerechnet Menschenaffen so stark thematisiert werden, wenn es anderen Zootieren noch schlechter geht, werden thematisiert. Der sechste Teil entwickelt schließlich Ideen, wie die Forderungen des Great Ape Project (Menschenaffen den gleichen moralischen und gesetzlich zu schützenden Status wie den Menschen zukommen zu lassen) umgesetzt werden können. Denn wenn Speziesismus überwunden werden muss, weil er die Diskriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt, gehören auch Zoos abgeschafft „da sie dieses Verhältnis keineswegs nur „spiegeln“ sondern als Anschauungsorte einer als unverzichtbar definierten Grenzziehung zwischen Mensch und Tier auf Dauer fortschreiben“. Es wird auch Kritik am GAP von christlichen Funktionären, Zoodirektoren und anderen Seiten vorgestellt. Jedoch dürfte eine Forderung für einen Rechtsstatus, die mit ähnlicher Empfindungs- und Leidensfähigkeit oder ähnlich altruistischem Handeln argumentiert, was sehr wahrscheinlich auch auf viele andere Tierarten zutrifft, eben nicht bei Menschenaffen enden. Eine Ausdehnung des Grundprinzips der gleichen Berücksichtigung gleicher Interessen auf alle Wesen, die solche Interessen haben, lässt sich daher zunächst mit dem GAP nicht erfüllen. Solange die Forderungen nach einem Recht auf Leben, auf Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit, nicht auf alle Tierarten ausgedehnt werden, damit diese nicht ständig ausgeblendet werden und weiterhin propagiert wird, für Gemüse oder Nahrungsmittel ohne tierliche Inhaltsstoffe würden keine Tiere sterben, wird das GAP wohl weiterhin dieser Kritik konfrontiert werden. Gegen die Argumentation eines fortgeführten anthropozentrischen Speziesismus wird argumentiert, dass die Entscheidung für Menschenaffen ausschließlich in strategischen Überlegungen begründet ist, da die Forderung als „Türöffner“ für Einschließungen weiterer Tierarten funktionieren soll und als Beginn einer Entwicklung zu verstehen ist, die bei den menschenähnlichsten Arten anfängt, weil dort der Kampf am erfolgversprechensten aussieht. Zum Schluss stellt Goldner fest, dass ernstzunehmende Tierrechtler (er meint hoffentlich auch anders geschlechtliche Menschen) immer auch Tierschützer sind, wenn es gilt, Tierleid bestmöglich zu mindern, wo es unmittelbar nicht beendet werden kann und dass die übergeordnete Tierrechtsforderung dahinter nicht zurück tritt. Denn notleidende Tiere können nicht warten, bis irgendwelche Rechte für sie erstritten wurden, weshalb selbst die kleinste Möglichkeit, ihnen jetzt zu einem besseren Leben zu verhelfen, ergriffen werden müsse (auch wenn es vielleicht um nichts anderes geht und gehen kann, als dass sie etwas Holzwolle zum Nestbau bekommen, die man ihnen bislang vorenthält, oder dass sie aus einem schlechten in einen weniger schlechten Zoo umziehen). Fazit: Goldner hat hier eine derartige Menge an Fakten zu Zoos, deren Betreiber, Geschichte, Entwicklung und Skandale zusammengetragen, dass es sich sowohl zur grundlegenden Wissensvermittlung als auch durch die Menge an Quellen zur darauf aufbauenden Weiterbildung zum Thema eignet. Die Potentiale und Qualität des Buches sind aufgrund der Vielzahl an Namen, Daten, Zahlen und Zitaten wohl als so hoch zu bewerten, dass die Reaktionen darauf viel über das Weltbild und die Einstellung zu Tieren derer, die sich darüber äußern, aussagen werden. Ersichtlich wird der Zynismus und die Menge an Lügen hinsichtlich der vorgegebenen Ziele, der Haltung und Behandlung der Tiere sowie der eigenen Vergangenheit der Zoos. Somit räumt das Buch nicht nur mit bekannten Mythen und Vorurteilen über Zoos auf und ist in der Lage deren Propaganda und Märchen zu entlarven. Zudem liefert es der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung unzählige Argumente im notwendigen Engagement gegen Zoos und leistet einen wichtigen Beitrag dafür, Tierrechtler_innen und alle anderen Menschen von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich (verstärkt) für die Schließung aller Zoos einzusetzen und für das Ende dieser Institution zu kämpfen.

 

Maria Schulze

in: Tierbefreiung #83, Sommer 2014