Speziesismus
Der Zirkus
RASSISMUS - SEXISMUS - SPEZIESISMUS
Eine jener „Kultur“einrichtungen, in denen Rassismus, Sexismus und Speziesismus auf ebenso eklatante wie weitgehend aus dem Bewusstsein
verdrängte Weise Hand in Hand gehen, ist der „klassische“ Zirkus, der bekanntermaßen auf einem „Dreiklang“ aus Artistik, Clownerie und der Vorführung dressierter (Wild-)Tiere beruht.
Bis weit in die Nachkriegszeit hinein traten in Zirkussen quer durch die Lande mithin mit schwarzer Gesichtsfarbe bemalte Clowns
(blackfacing) auf, die sich besonders tölpelhaft zu gerieren hatten. Noch in den ausgehenden 1950ern gab es etwa im berühmten Circus Sarrasani eine vielbejubelte Nummer, bei der ein entsprechend
geschminkter Clown auf einem dressierten Schwein durch die Manege ritt.
In der Tradition der sogenannten „freak shows“, wie sie bis ins frühe 20. Jahrhundert auf Jahrmärkten, in Panoptiken und
Kuriositätenkabinetten zu sehen waren, wurden in Zirkussen bis herauf in die 1980er „missgebildete“ Menschen als Attraktionen vorgeführt. Im weltbekannten Münchner Circus Krone etwa trat noch Ende
der 1970er ein Kleinwüchsiger als Pausenclown auf.
Derlei offen rassistische (beziehungsweise ableistische) Zirkusdarbietungen gibt es heutzutage nicht mehr. Die obligaten
„Dumme-August“-Nummern stellen indes nach wie vor und nahezu durchgängig auf die Diskriminierung gesellschaftlich Benachteiligter oder am Rande Stehender ab. Wenigstens einer der meist zu zweit oder
zu dritt in der Manege auftretenden „Spaßmacher“ sieht aus und benimmt sich so, als käme er eben aus einer Notunterkunft für alkoholkranke Obdachlose – torkelnder Gang, verwaschen-delirante Sprache,
rote Schnapsnase und abgerissene Klamotten aus der Altkleidersammlung –: zum schadenfrohen Vergnügen des Publikums stolpert er über seine eigenen Schuhe oder wird, haha, von einem anderen
nassgespritzt. Bis vor wenigen Jahren gab es in vielen Zirkussen auch noch unverhohlen homophobe Clownsnummern, bei denen der dümmste August unverkennbar „schwul“ war.
Sex sells
Kaum eine der „artistischen“ Nummern des klassischen (wie auch des modernen) Zirkus kommt ohne teils hypersexualisierte
Geschlechterklischees aus. Zu den Dauerbrennern in jedem Zirkus zählen junge Frauen, die im Glitzertanga ihre Beine zu einem 200-Plus-Grad-Spagat spreizen können. Kompletter Irrsinn für Gelenke und
Bänder, aber was für ranzige Altmännerphantasien, die entsprechend bedient werden. Auch die sogenannte Kontorsionsartistik, bei der junge Frauen ihre Körper in anatomisch aberwitzigste (und
potentiell schwer wirbelsäulenschädigende) Positionen verbiegen, bedient derlei Phantasien.
Im schweizerischen Erotikzirkus Ohlala, einem Ableger der traditionsreichen Zirkusdynastie Knie, treten die weiblichen Darstellerinnen nicht
nur in Lack- und Ledermonturen auf, wie sie aus der SM-Szene bekannt sind, sondern in jederart Ouverts, Strapsen und Strings; teilweise auch (fast) völlig nackt und in eindeutigen Posen. Tatsächlich
kommt selbst der altbackenste Traditionszirkus immer schon in ausdrücklich sexistischem Subtext daher: man denke etwa an die sogenannten Schlangentänzerinnen, wie es sie in gefühlt jedem zweiten
Zirkus gibt - Höhepunkt einer entsprechenden Darbietung im DDR-Zirkus Aeros war es, wenn ein vier Meter langer Tigerpython zwischen den Beinen der halbnackten Tänzerin hervorkam - oder an den
Klassiker, bei dem eine leichtbekleidete junge Frau auf ein sogenanntes „Todesrad“ geschnallt und mit Messern beworfen wird.
Bedauernswerte Karikaturen
Zirkusse mit (Wild-)Tieren im Programm sind primäre Konditionierungseinrichtungen des Speziesismus. Sie konditionieren Menschen schon in
frühestem Kindesalter darauf, dass die Gefangenhaltung, Unterdrückung und Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere nicht nur völlig in Ordnung ist, sondern gar dem eigenen Vergnügen zu dienen vermag. Es
macht Spaß, so lernen Kinder im Zirkus, Tiere zu sehen, die, ihrer Freiheit beraubt und zu art- und naturwidrigstem Verhalten genötigt, zu bedauernswerten Karikaturen ihrer selbst verkommen sind. Sie
lernen, das hinter der glitzernden Zirkusfassade stehende Leid der Tiere komplett auszublenden, gar zu glauben, dass es den in der Manege vorgeführten Elefanten selbst Spaß macht, etwa auf dünnen
Stahlseilen zu balancieren oder Tigern, wenn sie auf Kommando „Männchen“ machen oder durch hingehaltene Reifen springen müssen.
„Zirkus NEIN!“
Der „klassische“ Zirkus mit Artistik, Clownerie und Tierdressuren, erfunden Anfang des 19. Jahrhunderts in den USA und erst Ende des
Jahrhunderts flächendeckend auch nach Europa gekommen, gehört längst auf die Müllhalde der Geschichte. Und zwar in all seinen Facetten. Die auf Demos vor Zirkussen vielfach vorgetragene
Tierrechtsforderung „Zirkus JA, aber OHNE Tiere!“ sollte tunlichst ersetzt werden durch ein grundsätzliches „Zirkus NEIN!“. Zirkus, zumindest der, der in seiner „klassischen“ Form daherkommt, gehört
nicht mehr in die heutige Zeit. Er gehört abgeschafft, JETZT.
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Colin Goldner / TIERBEFREIUNG #113/2021