"Zoos sind kommerzielle Einrichtungen der Unterhaltungsindustrie“
Interview: Der Tierschützer Colin Goldner hält nichts von der Idee, dass Zoos eine Art Arche Noah sind, die dem Schutz gefährdeter Tierarten dienen.
Dr. Colin Goldner, Psychologe und Sachbuchautor
Zu den bekanntesten Zoo-Kritikern gehört der deutsche Psychologe Colin Goldner. Er ist Mitbegründer der Tierrechte-Organisation „rage&reason“ und hält Zoos für Gefängnisse von auf Lebenszeit zur Schau gestellten Wildtieren.
Sie haben viele Zoos gesehen. Gibt es irgendwo, irgendeinen Zoo, in dem die Tiere ein einigermaßen artgerechtes Leben führen können.
Unter den 865 Zoos und zooähnlichen Einrichtungen hierzulande gibt es ein paar fortschrittlichere und viele, die auf dem Stand der 1950er und 60er Jahre stehengeblieben sind. Egal wie sehr sie im Einzelfall modernisiert wurden: sie sind und bleiben, was sie immer schon waren und ihrem Wesen nach sind: Gefängnisse für auf Lebenszeit eingesperrte und gegen Entgelt zur Schau gestellte Wildtiere. Je mehr Erkenntnisse zur kognitiven und affektiven Ausstattung von Tieren gewonnen werden, desto deutlicher wird die Unmöglichkeit, sie auch nur annähernd ihren Bedürfnissen entsprechend in Zoos halten zu können. Vielen Zootieren werden fortlaufend Psychopharmaka verabfolgt, dazu Antibiotika, Hormonpräparate, Immunstimulantia, Schmerzmittel und unzählige andere Medikamente, damit sie überhaupt am Leben bleiben.
Eigentlich ist doch die artgerechte Haltung zumindest in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben. Oder nicht?
Neben den allgemeinen Vorschriften nach § 2 Tierschutzgesetz und § 42 Bundesnaturschutzgesetz gibt es in Deutschland keine rechtsverbindlichen Vorschriften zur Haltung von Wildtieren in Zoos. Selbst ein 2014 novelliertes bundesministerielles Gutachten, das sich mit der Haltung von Säugetieren in Zoos befasst, gilt seiner Rechtsunverbindlichkeit wegen für Kontrollbehörden allenfalls als Orientierungshilfe. Vergleichbare Vorgaben für die Haltung von Nicht-Säugetieren in Zoos gibt es nicht. Verstoßen die Zoos nicht gegen die Vorgaben aus dem TierSchG und dem BNatSchG, können selbst gravierendste Haltungsmängel nicht sanktioniert werden.
Die Vertreter der Zoos reklamieren für sich ein Umdenken. Zoos dienen demnach immer weniger der Unterhaltung und immer mehr der Wissensvermittlung, dem Artenschutz und der Wissenschaft. Fangen wir mit dem vielleicht Wichtigsten an. Die Zoos als Arche Noah – was ist daran auszusetzen?
Eines der zentralen Argumente, mit denen Zoos ihre Existenz rechtfertigen, ist das des Artenschutzes: sie stellten eine Art »Arche-Noah« zum Erhalt gefährdeter Arten dar. Tatsächlich gibt es Auswilderungs- oder Wiederansiedelungsprojekte allenfalls für eine kleine Handvoll an Arten: Alpensteinbock, Wildesel, Bartgeier, das vielzitierte Przewalskipferd und einige andere, sprich: für einen winzigen Prozentsatz der auf der „Roten Liste“ stehenden Arten. Für die weit überwiegende Mehrzahl der in Zoos gehaltenen und nachgezüchteten Arten und Individuen ist eine Auswilderung weder vorgesehen noch möglich, dennoch wird ihre Gefangenhaltung damit legitimiert. Zoos sind kommerziell betriebene Einrichtungen der Unterhaltungsindustrie, die für den eigenen Schaustellungsbedarf nachzüchten. Das Artenschutzengagement ist nachgeschoben.
Aber der natürliche Lebensraum für viele Tiere schwindet – sind nicht doch die Zoos die letzte Rettung für viele Tiere?
Vielleicht können Zoos tatsächlich zur Bewahrung einiger vom Aussterben bedrohter Arten beitragen. Sollten die dergestalt bewahrten Tiere aber keine realistische Chance haben, je in ihre natürlichen Heimaten zurückkehren können - weil sie in Freiheit nicht überlebensfähig wären oder weil es diese Heimaten vielleicht gar nicht mehr gibt -, stellt sich Frage, ob es nicht besser für sie wäre, gar nicht erst geboren zu werden, denn als „lebende Museumsstücke“ in irgendeinem Zoo zur Schau gestellt zu werden, beraubt all dessen, was sie und ihr Leben ausmacht.
Und was ist mit der Wissensvermittlung? Wir Menschen kommen außerhalb von Zoos fast nie dicht an Tiere heran. Zusammen mit den entsprechenden Informationstafeln – vielleicht in Zusammenarbeit mit Tierschutzorganisationen – könnte das nicht Empathie und Engagement für die Fauna fördern?
Auch das Bildungsargument trägt nicht: Der Zoo ist gerade kein Lernort, an dem Naturverständnis entwickelt wird. Vielmehr werden die Besucher systematisch dazu angeleitet, die in Käfigen und Betonbunkern vorgeführten Zerrbilder, Klischees und Karikaturen von Natur als Natur selbst zu verkennen. Ebendeshalb fällt ihnen auch das Leiden der eingesperrten und jeder Regung ihres Wesens beraubten Tiere nicht auf: sie lernen, das Widernatürliche als das Natürliche zu sehen. Die Behauptung, Zoobesucher würden durch das Kennenlernen gefangengehaltener Tiere für deren freilebende Artgenossen sensibilisiert und sich folglich für Arten-, Natur- und Umweltschutz einsetzen, ist absurd. Der Hype etwa um Eisbär Knut im Berliner Zoo vor ein paar Jahren hat mit Blick auf den Schutz der Arktis und ihrer Bewohner überhaupt nichts bewirkt.
Sie halten auch nichts von dem Wissenschaftsanspruch der Zoos.
Das Forschungsinteresse der Zoos, sofern sie denn welches haben, richtet sich in erster Linie auf zoospezifische bzw. rein innerbetriebliche oder betriebswirtschaftliche Belange, auf Belange also, die es ohne Zoo gar nicht gäbe. Der über den Zoo hinausreichende wissenschaftliche Wert der jeweiligen Forschungsarbeiten ist denkbar gering und rechtfertigt in keinem Fall die lebenslange Gefangenhaltung von Wildtieren.
Als vor einigen Jahren in Dänemark eine Giraffe verfüttert wurde, gab es einen Aufschrei. War das ein Einzelfall?
Den Aufschrei gab es, weil es sich um eine völlig gesunde Junggiraffe handelte, die getötet wurde, weil sie nicht ins zoointerne Zuchtprogramm passte. In Dänemark und anderen EU-Ländern ist so etwas durchaus üblich, in Deutschland wäre es nicht erlaubt. Ein hiesiger Zoodirektor, der drei gesunde, aber nicht „reinrassige“ Sibirische Tiger getötet hatte, wurde rechtskräftig verurteilt.
In Dänemark werden mancherorts im Zoo getötete Tiere vor Publikum – auch vor Kindern seziert. Ist das aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Vermittlung von Wissen?
Mag sein, dass die Kinder etwas über Anatomie und Physiologie des Tieres lernen, das da vor ihren Augen zerlegt wird. Eine Art erweiterter Biologieunterricht, wie die dänischen Zoos sagen. In erster Linie aber lernen die Kinder, dass es okay ist, Tiere nach Belieben zu töten und zu verwerten.
Manche Zoos töten überzählige Tiere. Unter anderem, weil sie sich nicht auswildern lassen. Andere, wie die Berliner Einrichtungen betreiben Empfängnisverhütung. Welche Variante würden Sie vorziehen?
In deutschen Zoos dürfen grundsätzlich keine Tiere getötet werden, mit Ausnahme eigens gezüchteter “Futtertiere”, also Mäuse, Hamster, Kaninchen, Schafe, Ziegen usw, auch bestimmte Vögel. Die zahllosen Jungtiere, die alljährlich nachgezüchtet werden – Tierbabies sind einer der wesentlichen Attraktionsfaktoren der Zoos – müssen als Erwachsene, wenn kein ausreichender Platz für sie vorhanden ist, anderweitig entsorgt werden: sie werden zu Ramschpreisen an Tierhändler veräußert, die sie an Labore, Zirkusse, Restaurants, Metzger, auch an Jagdfarmen in Südafrika weiterverhökern. Zoos hierzulande fordern daher seit je eine rechtliche Befugnis, “überzählige” Tiere nach Bedarf und Gutdünken selbst töten und an andere Zootiere verfüttern zu dürfen. Bisher dürfen sie das nicht. Empfängnisverhütung wird nur sehr vereinzelt praktiziert, man braucht ja publikumsattraktive Jungtiere.
Sie sind Psychologe. Wie beurteilen Sie das innige Verhältnis, das manche Menschen zu bestimmten Tieren im Zoo aufbauen?
Zoos dienen vielen gerade älteren Menschen als Zufluchtsort, an dem sie ihrer sozialen Vereinsamung entfliehen können. Sie besuchen den örtlichen Zoo per Dauerkarte jede Woche, manche gar täglich und entwickeln dabei eine Art Beziehung zu ihrem „Lieblingstier“, Dass es sich dabei um keine echte, sprich: gegenseitige Beziehung handeln kann, selbst wenn das jeweilige Tier eine Dauerbesucherin erkennen und sich über den Besuch freuen sollte, liegt auf der Hand. Gerade dem Menschen so nahestehende Tiere wie Orang Utans oder Gorillas dienen insofern als bevorzugte emotionale Projektionsfläche.
Sie setzen sich besonders für Menschenaffen ein. Warum? Sind nicht alle Tiere – oder zumindest alle Säugetiere – gleich wert?
Ich setze mich für die Zuerkennung bestimmter Grundrechte für Große Menschenaffen ein. Und dies nicht, weil ich sie im Vergleich zu anderen Tieren für höherwertig hielte. Vielmehr stellen Orang Utan, Gorilla & Co den Dreh- und Angelpunkt des Verhältnisses Mensch-Tier dar: sind sie festgeschrieben „auf der anderen Seite“, sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde die Grenze an einer Stelle durchlässig - am naheliegendsten natürlich anhand jener Tiere, die dem Menschen am nächsten stehen -, könnte das eine Art "Türöffner" sein, der letztlich allen Tieren zugutekäme. Würden den Menschenaffen bestimmte personale Grundrechte zuerkannt, auf die jeder Mensch ganz selbstverständlichen Anspruch hat - das Recht auf Leben, auf individuelle Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit -, wäre dies solcher Türöffner. Ein vernünftiges Argument, den Menschenaffen diese Rechte vorzuenthalten, gibt es nicht. Zoos sind gleichwohl entschieden dagegen, und das mit nachvollziehbarem Grund: sie könnten die Tiere nicht mehr gegen Entgelt zur Schau stellen, wie sie das bis in die 1930er hinein auch mit „exotischen Menschen“ getan haben.
Beim Verbot von Wildtieren im Zirkus hat sich einiges getan. Wenn es nun einen Beschluss gäbe, zum Beispiel durch die EU, nach dem das zur Schau stellen exotischer Tiere verboten würde, was sollte man dann mit den Zoos machen? Einfach schließen?
Ein Masterplan wäre schnell formuliert: keine Nachzuchten und keine Neuimporte mehr. Da Zoos jährlich ein Fünftel bis ein Viertel ihrer Tierbestände verlieren, könnten theoretisch sämtliche zoologischen Gärten dieser Welt in vier bis fünf Jahren geschlossen werden, wenn denn konsequent auf Nachzucht und Neuimport verzichtet würde. Nur relativ wenige Tiere längerlebiger Arten blieben über, die, sofern nicht auswilderbar, in ausgewählten und zu Sanctuaries umgewandelten Zoos bzw. in eigens zu schaffenden Refugien untergebracht werden könnten. Zoos, wie sie heute existieren, haben ihre Zukunft längst hinter sich, was sich auch am teils massiven Rückgang der Besucherzahlen zeigt: immer weniger Menschen finden Gefallen daran, hinter Gittern und Panzerglas eingesperrte Wildtiere zu besichtigen. Die meist in urbanem Raum angelegten Zoos könnten zu Naturparks für erholungssuchende Städter umgestaltet werden, ohne dass gefangengehaltene Wildtiere darin zur Schau gestellt würden.
Südwestpresse vom 26.12.2019