Tierethik
Vor dem Hintergrund des Washingtoner Artenschutz- übereinkommens (CITES) von 1973 wurden die Zoos, erstmalig in ihrer 150jährigen Geschichte, mit massiver Kritik konfrontiert. Sie sahen sich genötigt, sich ein völlig neues Selbstverständnis zuzulegen, das über die bislang gepflogene simple Zurschaustellung von Tieren hinausführte. Man verständigte sich darauf, Zoos hinfort als auf vier Säulen stehend zu präsentieren: Bildung, Artenschutz, Forschung und Erholung. Der folgende Text untersucht die Tragfähigkeit dieser vier Säulen.
Das sogenannte „Vier-Säulen-Konzept“: Bildung, Artenschutz, Forschung und Erholung: Wie heutige Zoos ihre Existenz rechtfertigen
Als erster Zoo „moderner“ Prägung gilt eine ab 1793 im Jardin des Plantes von Paris gezeigte Tiersammlung, die, bestückt mit Tieren der aufgelösten königlichen Ménagerie
von Versailles, als Modell diente für eine Vielzahl „bürgerlicher“ Zoogründungen in ganz Europa. 1828 wurde der Zoo London begründet, gefolgt kurz darauf von Bristol, Manchester, Edinburgh und Leeds.
Der erste deutsche Zoo wurde 1844 in Berlin eröffnet, in den Folgejahren kamen Frankfurt, Köln, Dresden, Hamburg, Hannover und Karlsruhe hinzu. Im Laufe der Jahre wurden allein Deutschland mehr
als 1200 Zoos und zooähnliche Einrichtungen begründet, mehr als zwei Drittel davon bestehen bis heute.
Während die Zoos sich seit ihren Gründertagen in einem von Kritik weitgehend unangetasteten Freiraum bewegen konnten – selbst für die zeitgleich mit den ersten Zoos in England und Deutschland
entstehenden Tierschutzvereine war die Tierhaltung in Zoos nie ein Thema gewesen -, gerieten sie Mitte der 1970er in eine bis heute fortdauernde existentielle Krise: Mit Verabschiedung des
Washingtoner Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen im Jahre 1973, in Kraft getreten zwei Jahre später, wurde der bis dahin
völlig unkontrollierte Bezug von Tieren aus freier Wildbahn erheblich eingeschränkt.
Das unter dem Kürzel CITES [=Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora] bekanntgewordene Übereinkommen bedeutete zum einen, dass der für die Zoos
unabdingbare Nachschub an Wildtieren ins Stocken bzw. mit Blick auf Tiere bedrohter Arten nachgerade schlagartig zum Erliegen kam - Tierhandelsfirmen wie Ruhe oder Hagenbeck, die Zoos auf der ganzen
Welt beliefert hatten, mussten ihre Geschäfte einstellen –, und zum anderen, dass die Einrichtung Zoo, erstmalig in ihrer fast 150jährigen Geschichte, mit massiver Kritik konfrontiert wurde.
Hintergrund des Übereinkommens, dem bis heute 178 Staaten beigetreten sind, war die Erkenntnis, dass eine der Hauptursachen für das Aussterben bestimmter Tierarten der Handel mit wildgefangenen
Tieren ebendieser Arten war. Zum erstenmal trat der bislang völlig übersehene Anteil von Zoos an der Gefährdung von Wildtierbeständen ins öffentliche Gewahrsein: für jedes in einem Zoo ausgestellte
Tier waren zahllose Tiere der gleichen Art beim Fang oder während des Transports zu Tode gekommen; zudem war die Überlebensspanne der letztlich in den Zoos angekommenen Tiere extrem niedrig, so dass
ständiger Bedarf an Nachschub bestand. Myriaden an Wildtieren waren insofern seit Anfang des 19. Jahrhunderts für europäische und amerikanische Zoos der freien Wildbahn „entnommen“ worden.
Vor allem in Italien und England entspann sich eine breite öffentliche Debatte, ob Zoos weiterhin eine Daseinsberechtigung zugesprochen werden solle oder nicht. Im Zuge dieser Debatte wurden in
beiden Ländern zahlreiche Zoos geschlossen. Mitte der 1990er griff der kritische Diskurs auch auf den deutschsprachigen Raum über. Mit teils hektisch in Angriff genommenen Um- und Neubaumaßnahmen
suchte man die eklatantesten Missstände zu beseitigen.
Parallel zur baulichen Umgestaltung der Zoos wurde eine kollektive Abwehrstrategie gegen Kritik von außen entwickelt. Unter Rückgriff auf einen zeitgleich mit der Verabschiedung des Washingtoner
Artenschutzübereinkommens von dem schweizerischen Zoodirektor Heini Hediger postulierten Aufgabenkatalog des „modernen Zoos“ verständigte man sich darauf, Zoos hinfort als auf vier Säulen
stehend zu präsentieren: 1. Bildung, 2. Artenschutz, 3. Forschung und 4. Erholung.
Unter Federführung des Verbandes Deutscher Zoodirektoren (VDZ) wurde das von Hediger vorgezeichnete Konzept zu einer im Jahre 2005 vom Weltzooverband verabschiedeten „Welt-Zoo- und
Aquarium-Naturschutzstrategie“ ausformuliert. Gebetsmühlengleich ist seither von besagten „vier Säulen“ die Rede, die, immun und immunisierend gegen jede Kritik, als axiomatische Grundlage
modernen tiergärtnerischen Handelns vorgegeben werden. In keinem Werbefaltblatt, keiner Besucherbroschüre, keinem der Hochglanzbildbände, die neuerdings den Markt überschwemmen und auf keiner Website
fehlt der selbstvergewissernde Hinweis darauf.
Bildung
Das meistgenannte Argument zur Rechtfertigung der Existenz von Zoos ist die Behauptung, sie trügen zur Bildung der Besucher bei. Als „größte außerschulische Bildungseinrichtungen“ würden sie jährlich
Millionen von Menschen erreichen - die Rede ist von weltweit 750 Mio Besuchern pro Jahr -, die nicht nur wertvolle Tier- und Artenkenntnisse erhielten, sondern über das sinnlich erfahrbare Begreifen
der Natur für deren Schutz sensibilisiert würden. (Auch wenn die Besucherzahlen heillos übertrieben sind, zählen Zoos doch zu den meistbesuchten Freizeiteinrichtungen überhaupt.)
Gemäß einer Empfehlung des Weltzooverbandes WAZA bieten die meisten Zoos seit Mitte der 1990er zoopädagogische Führungen, Kurse und Unterrichtseinheiten an (womit sie auch der Verpflichtung nach § 42
BNatSchG nachkommen, das „Bewusstsein der Öffentlichkeit in Bezug auf den Erhalt der biologischen Vielfalt [...] durch Informationen über die zur Schau gestellten Arten und ihre natürlichen
Biotope“ zu fördern. ) Zu vorab vereinbarten Terminen kommen Kindergarten- oder Schulgruppen zusammen mit ihren ErzieherInnen oder LehrerInnen in den Zoo und werden dort für die Dauer von ein- bis
eineinhalb Stunden von eigens dazu abgestellten ZoopädagogInnen betreut. Der Ablauf ist überall der gleiche: nach einer Einführung in die Verhaltensregeln im Zoo werden die Kinder durch die Anlage
geführt und erhalten Informationen über die jeweils aufgesuchten Tiere; meist darf auch ein Blick „hinter die Kulissen“ (Aufzuchtstation, Betriebshof, Futterküche o.ä.) geworfen werden. Ältere Kinder
werden mit zu bewältigenden Erkundungs- oder Beobachtungsaufgaben betraut und in eigenständigen Kleingruppen durch den Zoo geschickt.
Das Ziel der zoopädagogischen Programme liegt angeblich darin, Kindern ein „tieferes Naturverständnis“ zu vermitteln. Tatsächlich begegnen die Kinder im Zoo gerade nicht der Natur, der
wirklichen Tierwelt schon gar nicht. Jeder Dokumentarfilm, wie es sie heute zu jeder in Zoos gehaltenen Tierart in herausragender HD-Qualität gibt, vermittelt mehr Kenntnis und Wissen und weckt mehr
Empathie, als ein Zoobesuch dies je vermag.
In Wahrheit geht es der Zoopädagogik auch gar nicht um die Vermittlung von Naturverständnis, vielmehr geht es in erster Linie darum, die Kinder möglichst frühzeitig auf die Gegebenheiten des Zoos zu
konditionieren, darauf, dass sie es als normal und richtig empfinden, dass Tiere zum Vergnügen des Menschen und um seinen „Forscherdrang“ zu befriedigen hinter Isolierglasscheiben, Eisengittern und
stromführenden Zäunen eingesperrt sind. Das in Kindern vielfach (noch) vorhandene Mitgefühl mit den in Käfigen zusammengepferchten und offenkundig leidenden Tieren wird ihnen in den
Zooschulen systematisch ausgetrieben. Lernziel: Tiere haben es gut im Zoo! Zugleich wird den Kindern in den Zooschulen vermittelt, dass es völlig normal und richtig ist, Tiere zu nutzen und zu
verwerten. Lernziel: Tiere sind für den Menschen da! Und nicht zuletzt wird den Kindern die Begründung und Rechtfertigung für die Existenz von Zoos vermittelt. Lernziel: Zoos dienen dem Erhalt der
Tierwelt!
Zooschulpädagogik ist gezielte Manipulation von Kindern im Interesse der Zoobetreiber (und einer Warengesellschaft, für die Zoos als „Bildungseinrichtungen“ unverzichtbar sind, um Tiere als zu
verwertende Objekte in den Köpfen junger Menschen zu verankern). Es geht gerade nicht darum, die Natur verstehen und achten zu lernen, sondern ganz im Gegenteil darum, die groteske Verzerrung und
Zurichtung der Natur, wie Zoos sie darbieten, als „Natur“ zu begreifen; vor allem aber darum, immun zu werden gegen das Leid der Tiere, die, eingesperrt auf Lebenszeit und jeder Regung ihrer Natur
beraubt, zu bejammernswerten Karikaturen ihrer selbst verkommen. Im erfolgreichsten Falle lernen die Kinder: Zoobesuch macht Spaß!, wozu auch die großangelegten Kinderspielplätze sowie die
zoopädagogisch betreuten Freizeitaktivitäten (Geburtstagsfeiern, Nachtführungen, Malkurse etc.) und Sonderveranstaltungen (an Ostern, Halloween, Nikolaus etc.) im Zoo beitragen.
Die didaktische Vorgehensweise ist allenthalben die gleiche: eingebunden in mehr oder minder unterhaltsam vorgetragene Tiergeschichten, Tiermärchen und Tieranekdoten erhalten die Kinder ein
paar grundlegende Schulbuchinformationen zu Wesen und Verhalten der jeweils beobachteten Tiere. Da diese Informationen in der Regel Wesen und Verhalten wildlebender Tiere beschreiben, stehen
sie in teils groteskem Widerspruch zu den tatsächlich hinter Gittern und Panzerglasscheiben vorfindlichen „Exponaten“. Die Kinder darauf zu konditionieren, derlei Widersprüche konsequent
auszublenden, zählt zu den obersten Aufgaben aller Zoopädagogik. O-Ton einer Zoopädagogin vor Kindern einer 2. Grundschulklasse - hier: vor dem Gitter eines Orang Utan-Käfigs, auf dessen nacktem
Betonboden zwei ausgewachsene Tiere herumhocken -: „Orang Utans leben im tropischen Regenwald in Indonesien. Die leben da praktisch nur in den Bäumen. Auf den Boden kommen die so gut wie nie
runter“. Selbst ansich korrekte Informationen zu Anatomie und Physiologie der Tiere werden zur schieren Groteske: „Die Arme ausgewachsener Orang Utan-Männchen haben eine Spannweite von mehr als
zwei Metern. Damit können sie gut von einem Baum zum anderen schwingen.“ Dass es in dem knapp vier Meter hohen Käfig nichts zum Schwingen gibt, einen Baum schon gar nicht, bleibt unbeachtet.
Insgesamt sollen die Kinder den Zoo als einen Ort erleben, an dem es den Tieren gut geht. Sämtliche Informationen, die sie zu Ernährung, Gesunderhaltung, Fortpflanzung etc. der Tiere erhalten, sind
darauf ausgelegt, den Eindruck zu vermitteln, sie seien optimal versorgt und es mangle ihnen an nichts. Das ins Auge springende Leid der auf engstem Raume und unter widernatürlichsten Verhältnissen
gehaltenen Tiere wird überkompensiert in absurdeste Behauptungen über die Vorteile, die es für sie habe, in einem Zoo zu leben. O-Ton einer anderen Zoopädagogin - hier: mit Hauptschülern vor einem
Gorilla-Gehege, in dem ein isoliert gehaltener Silberrücken teilnahmslos in einer Ecke sitzt -: „Ich wäre gerne Gorilla in unserem Zoo. Die leben hier wie im Fünf-Sterne-Hotel und brauchen sich um
nichts zu kümmern. Die haben’s hier viel besser als in freier Wildbahn“.
Auch für erwachsene Besucher gibt es Sonderevents, klassische Konzerte etwa, wahlweise auch Jazz-, Dixieland- oder Tangoabende, Modenschauen, Theateraufführungen oder kulinarische 5-Gänge-Menues
(bevorzugt im Aquarienhaus, in dem es nicht „riecht“). Sonntägliche Frühschoppen im Zoo werden mit Biergartenmusik angereichert, nachmittags gibt es Cafehausmusik mit Stehgeiger, spätabends ein
Feuerwerk. Betriebsfeiern werden ausgerichtet, Jubiläen, Junggesellenabschiedsfeten und Hochzeiten; selbst Gottesdienste gibt es, in denen vor den eingesperrten Tieren die „Schönheit der Schöpfung“
besungen wird. Nichts ist zu abseitig, als dass nicht versucht würde, darüber zahlende Kundschaft anzuziehen. Im Zoo Dortmund beispielsweise gibt es regelmäßige „Star-Wars-Aktionstage“ mit
„Lichtschwertkämpfen“ vor den Raubtiergehegen, das Elefantenhaus des Zoos Wuppertal wird samt den Elefanten zur Bühne für Modern Dance-Inszenierungen. Dass der vorgebliche Bildungsauftrag
des Zoos dabei vollends auf der Strecke bleibt, kümmert niemanden, ebensowenig die Frage, welche Auswirkungen der zusätzliche Lärm und Rummel - für viele der Sonderveranstaltungen werden die
Öffnungszeiten in die Abend- und Nachtstunden hinein verlängert - auf die Tiere hat. Diese dienen ohnehin nur als Staffage.
Der amerikanische Philosoph Dale Jamieson schrieb 2006 in einem Essay mit dem griffigen Titel Against Zoos: „Ungeachtet der gutgläubigen Sprüche, die in Umlauf sind über die pädagogischen
Bemühungen der Zoos, deutet nur wenig darauf hin, dass sie darin sehr erfolgreich wären.“ Einiges spräche sogar dafür, dass Menschen „nach dem Besuch eines Zoos weniger Ahnung von Tieren haben als
zuvor.“ Allenfalls würden Zerrbilder und Vorurteile verfestigt (Jamieson 2006, 135). Tatsächlich werden die Hinweistafeln an den Gehegen nur in den seltensten Fällen gelesen, bestenfalls interessiert
man sich für die Namen und vielleicht noch das Alter der jeweiligen Tiere. Die durchschnittliche Verweildauer der Besucher vor den einzelnen Gehegen liegt, unabhängig von der Art und Anzahl darin
gehaltener Tiere, bei unter einer Minute pro Käfig (lediglich während der Fütterungszeiten oder bei Anwesenheit eines Jungtieres liegt sie etwas höher). Vor Jahren schon wurde im Zoo London die
Verweildauer der Besucher vor den einzelnen Käfigen gemessen: der Aufenthalt im zentralen Säugetierhaus betrug durchschnittlich 32 Minuten, was bei rund 100 Ausstellungskäfigen eine Verweildauer von
knapp 20 Sekunden pro Käfig bedeutete; im Affenhaus betrug die Verweildauer 46 Sekunden pro Käfig (vgl. World Society for the Protection of Animals/Born Free Foundation 1994, 41). Aktuelle
Untersuchungen in deutschen Zoos haben diese Befunde im Wesentlichen bestätigt, vielfach werfen die Besucher nur im Vorübergehen einen kurzen Blick auf die Tiere oder machen schnell ein
Handy-Foto (vgl. Goldner 2014, 172).
Auch am Verhalten der Zoobesucher den Tieren gegenüber hat sich nicht viel geändert. Wie seit je wird gegen die Scheiben geklopft, es wird gerufen, gepfiffen und in die Hände geklatscht, um die
Aufmerksamkeit der Tiere zu erregen. Wähnen Besucher sich unbeobachtet - auch und gerade Erwachsene -, ziehen sie Grimassen, kratzen sich mit Huhu-Geschrei unter den Achseln oder fuchteln mit
Regenschirmen herum. Selbstredend werden die Tiere ohne jede Rücksichtnahme mit Blitzlicht photographiert. Im Außenbereich fliegen immer wieder angebissene Bratwürste, Hamburger, Pommes frites und
Pizzateile in die Gehege, auch Kaugummis, brennende Zigaretten, Coladosen und jedweder sonstiger Abfall.
Eine 2007 von der US-amerikanischen Association of Zoos and Aquariums (AZA) vorgestellte Studie, die nahelegte, dass Zoos bei den Besuchern erhöhtes Interesse und positive
Verhaltensänderungen hinsichtlich Arten- und Umweltschutz bewirken, wurde 2010 von Wissenschaftlern der renommierten Emory University überprüft. Es stellte sich heraus, dass sie tatsächlich
nichts dergleichen enthielt (vgl. Marino/Lilienfeld et al. 2010). Die zuvor weltweit gelobte Studie verschwand sehr schnell von der AZA-website, wird aber bis heute immer wieder von Zoos
angeführt.
Artenschutz
Die von Zooverantwortlichen allenthalben vorgetragene Behauptung, Zoobesucher würden durch das Kennenlernen gefangengehaltener Tiere für deren freilebende Artgenossen sensibilisiert und folglich für
Arten, Natur- und Umweltschutz eintreten, zählt zu den groteskesten Verrenkungen, mit denen Zoos ihre Existenz zu rechtfertigen suchen. Bezeichnenderweise wird weder erklärt, wie genau solcher
Transfer vonstatten gehen soll, noch gibt es einen Anhaltspunkt, worin das neugewonnene Engagement der Zoobesucher zum Schutz von Tieren in freier Wildbahn denn im Einzelnen bestehen
solle.
Tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall: Zoobesucher werden den Tieren gegenüber nicht sensibilisiert, vielmehr werden sie systematisch desensibilisiert. Allein die vorgeführte
„Notwendigkeit“, die Tiere eingesperrt halten zu müssen, da sie ansonsten entweichen und womöglich zu Schaden kommen oder Schaden verursachen könnten, lässt ihr Eingesperrtsein als
prinzipiell „richtig“ erscheinen, was jede empathische Regung, die der Gefangenhaltung von Tieren eher mit Unbehagen denn mit Begeisterung begegnen würde, unterläuft. Würden Zoos tatsächlich Empathie
hervorrufen, gäbe es sie längst nicht mehr.
Wirkliches Interesse am Schutz freilebender Tiere und am Erhalt ihrer natürlichen Lebensräume kann nur aufbringen, wer ein Leben in Freiheit als grundsätzlich höheren Wert erachtet, als ein Leben in
Gefangenschaft. Logische Konsequenz solchen Interesses kann nur sein, freilebenden Tieren ein Leben in Gefangenschaft ersparen und gefangengehaltenen Tieren ein Leben in Freiheit zurückerstatten zu
wollen. Beides steht in Widerspruch zum Interesse der Zoos, mit gefangengehaltenen Tieren Geschäft zu machen. Mit allen zu Gebote stehenden Mitteln suchen Zoos insofern eine Sensibilisierung der
Besucher zu verhindern, denen das Leid der eingesperrten Tiere gerade nicht ins Gewahrsein treten soll. Zunehmend werden sie in Kulissen präsentiert, die dem Besucher vorgaukeln sollen, sie
befänden sich in ihren natürlichen Heimaten; auch Gitterstäbe werden, sofern irgend möglich, durch Glasscheiben oder offene Begrenzungsgräben samt versteckten Elektrozäunen ersetzt, um dem Besucher
die Illusion eines „freien Lebensraumes“ zu vermitteln, in dem die Tiere sich ungehindert bewegen könnten. Tatsächlich haben die gefangengehaltenen Tiere von den (vielfach nur auf die Betonwände
aufgemalten) Kulissen überhaupt nichts, auch werden ihre Gehege dadurch nicht größer, dass sie in „zeitgemäß“ ausgestatteten Zoos mit Panzerglas und Elektrozäunen statt mit Eisengittern begrenzt
sind.
Die stereotyp vorgetragene Behauptung, im Zoo gefangengehaltene Tiere dienten als „Botschafter ihrer Art“ dem Schutz ihrer freilebenden Artgenossen, ist absurd. Tatsächlich hat die Zurschaustellung
etwa des Eisbären Knut im Berliner Zoo allenfalls die Zookasse zum Klingeln gebracht und vielleicht noch die Plüschtierindustrie angekurbelt, mit Blick auf den Schutz der Arktis und ihrer Bewohner
hat sie nicht das Geringste bewirkt. Ebensowenig wurde die fortschreitende Vernichtung der afrikanischen oder indonesischen Regenwälder aufgehalten dadurch, dass seit über hundert Jahren
Gorillas und Orang Utans in Zoos zu besichtigen sind.
Träfe es denn zu, wie Zoobefürworter behaupten, dass Zootiere „einem Millionenpublikum vieles über Artenschutz, Bedrohung natürlicher Lebensräume und Klimawandel vermitteln“, müssten sich
heute, so die Artenschutzorganisation greenpeace, „viele Millionen Menschen, die als Kinder Zoos besuchten, für den Schutz der Tiere in deren Heimat einsetzen. Tun sie aber nicht. Die
Transferleistung vom Erlebnis im Tierpark zum finanziellen oder politischen Engagement für eine Region viele tausend Kilometer entfernt ist eher selten. Vielleicht behindert der Zoo sie sogar. Wie
soll ein Besucher die Information auf der Tafel, dass das ausgestellte Tier (…) natürlicherweise durch 100 Quadratkilometer große Jagdreviere streift, zusammenbringen mit dem Wesen, das da mit zwei,
drei anderen Artgenossen in einem Betonbunker abhängt?“ (Jasner 2013, 45) Eher noch bewirken die im Zoo zur Schau gestellten Tiere, dass die Besucher die Gefährdung der jeweiligen Art
unterschätzen, da sie ja augenscheinlich eine rettende „Arche Noah“ gefunden haben (vgl. Ross et al. 2008, 1487). Tatsächlich ist das Artenschutz-Mantra der Zoos nichts als propagandistische
Leerformel, mit der die Gefangenhaltung der Tiere als höherem Werte dienend verkauft werden soll.
Integraler Bestandteil besagten Mantras ist die Behauptung, durch die Gefangenhaltung und Nachzucht von Individuen bedrohter Tierarten könne ebendiese Art vor dem Aussterben bewahrt werden.
Tatsächlich begannen die Zoos erst mit Inkrafttreten der o.a. CITES-Bestimmungen, auf mehr oder minder systematische Weise selbst für Nachschub zu sorgen: 1985 wurde ein Europäisches
Erhaltungszuchtprogramm (EEP) begründet mit dem Ziel, bedrohte Tierarten „auch ohne weiteren Erwerb von Wildfängen“ in den Zoos zu erhalten. Mittlerweile gehören rund 300 europäische Zoos
diesem Programm an, das über eigene Zuchtkoordinatoren genetisch passende Verpaarungen festlegt. Bis heute sind allerdings nur rund 3,5 Prozent der von CITES erfassten rund 5500 Tierarten daran
beteiligt. (Nimmt man die von der International Union for Conservation of Nature [IUCN] geführte „Rote Liste“ bedrohter Arten zum Maßstab, liegt die Quote noch niedriger. )
Bei den aus deutschen Zoos heraus koordinierten 63 Erhaltungszuchtprogrammen handelt es sich überwiegend um publikumsattraktive Säugetier- und Vogelarten; am Erhalt anderer Arten besteht offenbar
sehr viel weniger Interesse. Zudem werden, aus rein kommerziellen Gründen, auch Tiere aus Arten „nachgezüchtet“, die gar nicht auf der CITES-Liste stehen. Ernstzunehmende Auswilderungs- oder
Wiederansiedelungsprojekte gibt es nur für eine kleine Handvoll der nachgezüchteter Arten (Mufflon, Alpensteinbock, Wisent, Uhu, Weißstorch, Gänsegeier und ein paar andere). Für die überwiegende
Mehrzahl „erhaltungsgezüchteter“ Arten ist Auswilderung weder vorgesehen noch möglich, auch wenn stets von einer „Zeitbrücke“ die Rede ist, die die Option eröffne, Tiere zu einem späteren Zeitpunkt
wieder im Freiland anzusiedeln.
Ungeachtet des Umstandes, dass Zoos keinen nennenswerten Beitrag zum Erhalt und zur Rückgewinnung der natürlichen Artenvielfalt leisten, gerieren sie sich vollmundig als „Archen angewandten
Artenschutzes“. Was unter diesem Anspruch tatsächlich zu verstehen ist, zeigt sich beispielhaft am Zoo Dortmund, der sich besonderen Engagements bei der Wiederansiedelung von Wildtieren rühmt: seit
1991 hat der dem EEP angeschlossene Zoo an der Auswilderung von exakt fünf Bartgeiern mitgewirkt, d.h. er hat einer auf den Kanarischen Inseln ansässigen Vogelschutzorganisation fünf im Zoo
geschlüpfte Vögel zur Verfügung gestellt. Weitere Wiederansiedelungen oder Auswilderungen, an denen der Zoo Dortmund beteiligt gewesen wäre, gab und gibt es nicht.
Wirkliches Engagement der Zoos für die bedrohte Tierwelt in situ findet sich nur sehr vereinzelt. Die Unterstützung irgendwelcher Projekte in den Herkunftsländern der Zootiere dient in aller Regel
nur der Imageaufbesserung: über einen mehr oder minder hohen Förderbetrag erhalten die Zoos die Möglichkeit, sich werbewirksam mit dem Logo des jeweiligen Projekts bzw. der dahinterstehenden
Organisation schmücken und zugleich den „Nachweis“ erbringen zu können, tatsächlich einen Beitrag zum „Tier- und Artenschutz“ zu leisten. Die Jahresberichte der einzelnen Zoos (sofern sie denn
öffentlich einsehbar sind) weisen „Förderbeträge“ auf, die allenfalls im Promillebereich der hauseigenen Werbebudgets liegen. Gleichzeitig werden zigMillionen für den Bau immer neuer „Erlebniswelten“
und „Disneylandanlagen“ ausgegeben, Gelder, mit denen riesige Schutzgebiete in Afrika oder Südostasien ausgewiesen und damit wirklicher „Artenschutz“ betrieben werden könnte.
Forschung
Zoos beschreiben sich ausdrücklich als wissenschaftsorientierte Forschungseinrichtungen, für dem VDZ angeschlossene Zoos gilt „Wissenschaftlichkeit“ gar als konstitutives Element. Bei näherer
Hinsicht bleibt von diesem Anspruch allerdings nicht viel übrig. Tatsächlich richten die Zoos ihr Forschungsinteresse – sofern sie denn welches haben – in erster Linie auf zoospezifische, teils auch
nur auf rein innerbetriebliche Belange (ganz abgesehen davon, dass sie meist gar nicht selbst forschen, sondern studentische Projekt-, Haus- oder Abschlussarbeiten, für die sie allenfalls das
Studienobjekt abgeben, als Ausweis eigener Forschertätigkeit reklamieren). Der über den Zoo hinausreichende wissenschaftliche Wert der jeweiligen Arbeiten ist denkbar gering.
Gleichwohl - und in streckenweise grotesker Manier - wird versucht, der jeweiligen Einrichtung ein wissenschaftliches Erscheinungsbild zu verpassen. Die nachgerade zwanghafte Fixation auf das Etikett
der „Wissenschaftlichkeit“ - selbst Zoos, die noch nie eine wissenschaftliche Erhebung durchgeführt, geschweige denn: ein wissenschaftliches Papier veröffentlicht haben, beharren darauf, im Dienste
der Wissenschaft zu stehen - hat zwei simple Gründe: zum einen verschafft die Behauptung, wissenschaftliche Forschung zu betreiben, den Zoos eine Art Metalegitimierung, die sie gegen Kritik
immunisiert, reine Vergnügungsparks auf Kosten eingesperrter Tiere zu sein, und zum anderen bedeutet der Betrieb eines Zoos unter dem Signet der „Wissenschaftlichkeit“ die einzige Möglichkeit, Tiere
bedrohter Arten aus dem Ausland zu beziehen (bzw. ins Ausland abzugeben): Tiere, die den CITES-Regularien unterliegen – es gelten diese Regularien sowohl für Wildfänge als auch für
Gefangenschaftszuchten - dürfen über Ländergrenzen hinweg nur gehandelt, gemakelt oder von Zoos untereinander ausgetauscht werden, wenn behördliche Aus- und Einfuhrgenehmigungen vorliegen und
kein kommerzielles Interesse damit verfolgt wird. Nur wenn der Handel „wissenschaftlichen Forschungszwecken“ dient, können entsprechende Genehmigungen erteilt werden. „Wissenschaftlich“
geführte Zoos erhalten die erforderlichen CITES-Papiere regelmäßig und für jedes auf dem Markt verfügliche (bzw. zu veräußernde) Tier.
Die „Wissenschaftlichkeit“ eines Zoos bemisst sich in erster Linie an der formalen Qualifikation des jeweiligen Führungspersonals: kann der Direktor eines Zoos ein abgeschlossenes Hochschulstudium
vorweisen, gilt die von ihm geleitete Einrichtung eo ipso als „wissenschaftlich geleitet“. Dabei ist es völlig unerheblich, ob das jeweils absolvierte Studium auch nur entfernt etwas mit
„Zoo“ zu tun hatte oder nicht. Tatsächlich wird fast jeder fünfte VDZ-Zoo von einem zoologischen Laien geleitet, gleichwohl kann de jure bei jedem der VDZ-Zoos von „wissenschaftlicher
Leitung“ gesprochen werden, was - und nur darum geht es - den Handel mit CITES-geschützten Tieren allemal als „wissenschaftlichen Forschungszwecken“ dienend zu deklarieren erlaubt. Die Intention der
CITES-Bestimmungen wird dergestalt systematisch unterlaufen.
Erholung
Wie der langjährige Heidelberger Zoodirektor und VDZ-Vorstand Dieter Poley betont, bestehe „die erste und vornehmste Aufgabe eines zoologischen Gartens darin, für ein breites Großstadtpublikum als
Erholungsraum zu dienen“.
Der Einwand gegen das Argument, Zoos dienten der Erholung stressgeplagter und naturentfremdeter Großstädter, was ihre Existenz nicht nur rechtfertige sondern dringend erforderlich mache, kann kurz
ausfallen: Während es jedem Menschen unbenommen ist, seine Freizeit zu gestalten und Erholung zu suchen, wo und wie immer es ihm beliebt - selbst absurdeste Freizeitaktivitäten sind insofern völlig
legitim -, stößt diese Freiheit an ihre Grenzen, wenn Mensch, Tier oder Natur dabei beeinträchtigt oder geschädigt werden. So ist ein Großteil des sogenannten „Sports“ - Boxkämpfe, Autorennen,
Reitsport etc. - ethisch nicht vertretbar, egal ob man aktiv daran teilnimmt oder nur als Zuschauer.
Ethisch gänzlich unvertretbar ist insofern der Besuch eines Zoos, dessen Kosten immer von den vorgehaltenen Tieren zu tragen sind: dem kurzen Moment, den der Besucher vor einem Käfig steht und das
darin eingesperrte Tier besichtigt, stehen Jahre und Jahrzehnte entgegen, die dieses Tier in ebendiesem Käfig zuzubringen hat. Das zweifelhafte Vergnügen, Tiere in rundum vergitterten Betonbunkern
besichtigen zu können, bezahlen nicht die Besucher mit dem Kauf ihres Eintrittsbilletts, sondern die Tiere mit ihrem Leben.
Auch wenn viele Menschen den Besuch eines Zoos als Freizeitvergnügen empfinden, das sie nicht missen und das sie ihren Kindern nicht vorenthalten wollen, ist die lebenslange Gefangenhaltung
leidensfähiger Individuen damit nicht zu rechtfertigen (ebensowenig wie Parforcejagden, Stierkämpfe oder Rodeos damit zu rechtfertigen sind, dass es immer noch Menschen gibt, die Vergnügen an derlei
Tierqualveranstaltungen haben); ganz abgesehen davon, um mit Adolph F. Knigge (1752-1796) zu sprechen, dass eine „Menagerie, in welcher wilde Tiere mit großen Kosten in kleinen Verschlägen aufbewahrt
werden, (...) ein sehr ärmlicher Gegenstand der Unterhaltung“ ist.
Colin Goldner
TIERethik, 6. Jahrgang, 2014/2 Heft 9, S.56f. (Quellenangaben im Printtext)
Literatur
Acampora, R. (Ed.) (2010). Metamorphoses of the Zoo. Animal Encounter after Noah. Lanham: Lexington Books.
Austermühle, S. (1996). „…und hinter tausend Stäben keine Welt!“ Die Wahrheit über Tierhaltung im Zoo. Hamburg: Rasch und Röhring.
Baratay, E. u. Hardouin-Fougier, E. (2000). Zoo. Von der Menagerie zum Tierpark. Berlin: Wagenbach.
Goldner, C. (2014). Lebenslänglich hinter Gittern. Die Wahrheit über Gorilla, Orang Utan & Co in deutschen Zoos. Aschaffenburg: Alibri.
Goschler, E./Orso, F. (2006). Der Zoowahnsinn von A-Z. Salzburg: Edition Anima Phoenix.
Jamieson, D. (2006). Against Zoos. In: Peter Singer (Ed.), In Defense of Animals. The Second Wave. Oxford: Blackwell Publishing, 132-143.
Jasner, C. (2013): Verloren hinter Gittern. In: greenpeace magazin 4, 38-52.
Jensen, D. (2007). Thought to Exist in the Wild. Awakening from the Nightmare of Zoos. Santa Cruz: No Voice Unheard.
MacKenna, V./Travers, B. (Hrsg.) (2000). Gefangen im Zoo. Tiere hinter Gittern. Frankfurt am Main: Zweitausendeins.
Marino, L./Lilienfeld, S. et al. (2010): Do Zoos and Aquariums Promote Attitude Change in Visitors? A Critical Evaluation of the American Zoo and Aquarium Study. In: Society and Animals 18,
126-138.
Panthera Projektgruppe (Hrsg.) (1994). Der Zoo. Fotografien von Tieren in Gefangenschaft. Göttingen: Echo.
Ross, S. et al. (2008). Inappropriate Use and Portrayal of Chimpanzees. In: Science, 319, 1487.
Rothfels, N. (2008). Savages and Beasts. The Birth of the Modern Zoo. Baltimore: The Johns Hopkins University Press.
Sanna, E. (1992). Verrückt hinter Gittern. Von den Leiden der Zootiere. Reinbek: Rowohlt.
Schalk, E.-M. (2001). Lebenslänglich. Eingesperrt und zur Schau gestellt. Salzburg: Unipress
Schmidauer, E. (1998). Als die Tiere den Zoo verließen. Stuttgart: Thienemann-Esslinger.
Schneider, E. et al. (1989). Die Illusion der Arche Noah: Gefahren für die Arterhaltung durch Gefangenschaftszucht. Wiesbaden: Echo.
World Society for the Protection of Animals/Born Free Foundation (1994). The Zoo-Inquiry. Horsham: Authors Edition.