Tierpark Stralsund
Verrostete Volieren und versiffte Betonbunker
Der Tierpark Stralsund
Mit 58.000 Einwohnern eines der Oberzentren Mecklenburg-Vorpommerns verfügt Stralsund seit 1959 über einen eigenen Zoo. Als Vorläufer gilt ein 1929 schon begründetes Hirsch-, Reh- und Wasservogelgehege, das allerdings im Zweiten Weltkrieg aufgelöst wurde.
Während auf dem alten Standort nach dem Krieg ein Schulgarten angelegt wurde, nahm die Idee, einen eigenständigen Zoo zu begründen, erst mit der Eröffnung des Tierparks in Ostberlin im Jahre 1954 Fahrt auf, dem die Kommunen der DDR nachzueifern aufgefordert waren, zumal zoologischen Gärten in § 67 des „Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ ein entscheidender Bildungsauftrag zugewiesen worden war.
Der heutige Zoo wurde 1959 von Stralsunder Bürgern in Eigeninitiative eingerichtet. Ein von der Stadt zur Verfügung gestelltes Waldgrundstück wurde in rechtwinkelig angeordnete Gehegeflächen aufgeteilt und zunächst mit Wildschweinen und ein paar Rehen, bald dann auch mit Füchsen, Wölfen und sogar zwei Braunbären, besetzt. In den Folgejahren wurde das Wildgehege systematisch zu einem Zoo ausgebaut. Schon ab Mitte der 1960er wurden neben heimischen Wildtieren auch Watussis, Yaks und Wasserbüffel gezeigt, selbst Schakale, Hut- und Rhesusaffen, sowie als Leihgabe des Zoos Rostock ein Löwe. 1971 wurden die Anlagen formell in städtische Trägerschaft überführt, bald darauf wurden auch erste Schimpansen angeschafft.
Der Zoo umfasst heute ein Gelände von 16 Hektar, auf dem knapp 1000 Tiere in 150 Arten vorgehalten werden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Haltung „seltener Haustierrassen“, wie kaukasischen Zwergzebus, Rauwolligen Pommernschafen oder Weißen Eseln. Hinzu kommen „Exoten“ wie Waschbären, Skunks, Präriehunde oder Kängurus. Die Besucherzahlen liegen bei angeblich 120.000 pro Jahr (unter Berücksichtigung von Mehrfachbesuchen liegen sie tatsächlich weit darunter).
Auf dem Gelände des Zoos befindet sich ein historisches Stralsunder „Ackerbürgerhaus“ aus dem Jahre 1690, das anderwärts abgebrochen und im Zoo wiederaufgebaut wurde. Es ist mit Gegenständen aus dem frühen 19. Jahrhundert bestückt und dient als volkskundliches Museum. Kindergruppen und Familien können von Frühjahr bis Herbst „eine Nacht auf Stroh“ darin verbringen. Für besondere Anlässe (Geburtstage, Betriebsfeiern etc.) kann eine Grillhütte gemietet werden, wahlweise auch eine mongolische Jurte oder ein indianisches Tipi. Für Kinder gibt es die Möglichkeit, auf einem Pony oder Trampeltier zu reiten, Erwachsene können Kutschfahrten mit zooeigenen Kaltblutpferden unternehmen. Zudem gibt es Schaufütterungen, Schauschafsschuren und dergleichen mehr.
Der Zoo betreibt seit je regen Tierhandel mit Privatabnehmern: Überzählige Tiere - u.a. Puten, Enten, Tauben, Pfaue, aber auch Ziegen, Schafe, Kaninchen und Lamas - werden per Aushang am Kassenhäuschen verkauft; viele von ihnen dürften in Kochtopf oder Bratpfanne landen.
DDR-Hinterlassenschaften
Der Stralsunder Zoo liegt direkt an einer vielbefahrenen Hauptverkehrsstraße und in unmittelbarer Nähe zu einem Gewerbegebiet, was die werbeträchtige Behauptung, die Besucher könnten „abseits vom Straßengetümmel in eine grüne Oase eintauchen“ und „Erholung pur“ finden, reichlich grotesk erscheinen lässt.
Obgleich seit der „Wende“ das Gros der alten Käfiganlagen entsorgt und durch modernere Gehege ersetzt wurde, finden sich doch noch an jedem Eck und Ende Hinterlassenschaften der niedergegangenen DDR. Greifvögel vegetieren nach wie vor in winzigen verrosteten Volieren vor sich hin, Leoparden, Ozelote oder Luchse werden in wenige Quadratmeter großen, versifften Betonbunkern gehalten. In einer als „Südamerikahaus“ bezeichneten heruntergekommenen Datsche sind auf beengtestem Raum ein paar Spinnen, Reptilien und Amazonasfische zu sehen.
Das alte „Affenhaus“, ein heute leerstehender Bunkerbau aus dem Jahre 1973, gibt einen Eindruck, unter welch katastrophalen Bedingungen der Zoo Stralsund zu DDR-Zeiten und darüberhinaus Schimpansen zur Schau gestellt hatte. Erst 2004 wurde ein Neubau errichtet. Vorangegangen waren jahrelange Spendensammelaktionen, um die erforderlichen Mittel für diesen Neubau aufzubringen (während schon 1991 genug Geld da war, ein neues Eingangsgebäude zu errichten und den Kinderspielplatz mit neuen Spielgeräten zu bestücken; auch für die Erweiterung des Tierbestandes, u.a. mit Geparden und China-Leoparden, war schon Anfang der 1990er ausreichend Geld vorhanden. Kaum fassbar der Umstand, dass die Schimpansen im alten „Affenhaus“ bis 2004 - also mehr als dreißig Jahre lang - Wand an Wand, sprich: in unmittelbarer Hör- und Riechweite mit einer Gruppe Löwen [!] zusammengepfercht waren.)
Für den Bau des neuen „Affenhauses“ wurden neben eingeworbenen Spenden erhebliche öffentliche Mittel eingesetzt. (Waren anfangs vier Schimpansen darin untergebracht, sind es heute nur noch zwei; die beiden anderen verstarben in relativ jungen Jahren .) Das neue Haus ist im Besuchergang mit einem kleinen Terrarium sowie einer Mischvoliere ausgestattet, in denen nordafrikanische Stachelmäuse, Schildkröten und Webervögel für „exotisches Flair“ sorgen sollen. Das Gehege der Schimpansen selbst weist eine Grundfläche von etwa 40qm auf (den Vorgaben des bundesministeriellen Säugetiergutachtens von 2014 zufolge müsste es wenigstens 200qm groß sein). Über vergitterte Oberlichten sowie zwei Außenfenster erhält es ein wenig Tageslicht, zudem wird es mit Neonröhren erhellt. Die Wände sind dilettantisch mit Lianen bemalt. Außer einem Totholzklettergerüst und einem aufgehängten Feuerwehrschlauch gibt es keinerlei Spiel- oder Beschäftigungsmaterial; auch Rückzugs- oder Versteckmöglichkeiten gibt es nicht.
Die angeschlossene Außenanlage – direkt vis-à-vis eines neueingerichteten Löwengeheges und damit wie gehabt in Hör- und Riechweite der Raubkatzen - ist von einer 5m hohen Betonmauer umgeben, in die von der Besucherseite her verwinkelt angeordnete Sichtfenster eingelassen sind. Die beiden vorgehaltenen Schimpansen Gerome (*1996) und Flo (*1999) weisen Symptome schwerer psychischer Störungen auf.
Bekennende Tiergartenfreunde
Bezeichnenderweise setzen gerade Politiker der christlich-konservativen Ecke sich bevorzugt für Zoos ein. Kanzlerin Angela Merkel engagiert sich seit je besonders für den Zoo Stralsund (in deren Wahlkreis er sich befindet): vor ein paar Jahren übernahm sie höchstpersönlich die Patenschaft für zwei (flügelgestutzte) Steinadler. Nach ihrem Vorvorgänger Helmut Kohl soll gar ein Pinguin benannt gewesen sein.
Christian Wulff setzte sich in seinen Zeiten als Ministerpräsident Niedersachsens für die Zoos in Osnabrück und Hannover ein, später dann als Bundespräsident für den „Hauptstadtzoo“ in Berlin; für letzteren hatten sich in ihren jeweiligen Amtszeiten schon Richard von Weizsäcker und Horst Köhler stark gemacht. Auch Norbert Blüm, Wolfgang Schäuble, Norbert Röttgen, Ursula von der Leyen und zahllose andere Unionspolitiker, die ansonsten herzlich wenig für Tiere übrig haben (außer auf dem Teller), gelten als bekennende Tiergartenfreunde.
Vor allem aber in der Kommunal- und Landespolitik gibt es kaum einen Mandatsträger, der sich nicht danach drängte, eine Tierpatenschaft zu übernehmen und so mit dem örtlichen Zoo assoziiert zu werden: Millionen Zoobesucher sind Millionen potentielle Wähler. Erwähnt sei insofern das besondere Engagement des bayerischen Finanz- und Heimatministers Marcus Söders für den Tiergarten Nürnberg oder das des früheren saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller für den Zoo Saarbrücken. Manch einer, wie etwa der niedersächsische CDU-Landtagsabgeordnete Klaus-Michael Machens wechselte nach seinem Ausscheiden aus der Politik direkt ins Zoogeschäft: 1994 trat er das Amt des Geschäftsführers der Zoo Hannover GmbH an.
Der tiefere Grund für das Faible gerade christlich angehauchter Politiker für Zoos dürfte indes in ihrer christlich geprägten Sicht auf das Verhältnis Mensch-Tier zu suchen sein, die ihrerseits determiniert ist durch den biblischen Unterjochungsauftrag aus dem 1. Buch Moses, in dem Gott selbst den Menschen befiehlt, „zu herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht“ [1.Mose 1,26]. Wo sonst würde dieser Auftrag gottgefälliger ausgeführt als in einem Zoo?
Colin Goldner
Tierbefreiung #97, Dez. 2017