ZEIT-Wissen
Live-Interview (Transcript) vom 17.8.2012
Um Gorillas und andere Menschenaffen geht es in einem Beitrag von Zeit-Wissen-Mitarbeiter Lkennart Pyritz. Er hat sich mit dem deutschen Leiter des Great Ape Project unterhalten, einer Initiative die Menschenrechte für Menschenaffen fordert.
Menschenaffen sind mitfühlend, benutzen Werkzeuge und können Zeichensprache lernen. Fast so wie der Mensch. Und das Genom von Schimpanse und Mensch ist sogar zu 98,5 Prozent identisch Bei so viel Ähnlichkeit stellt sich die Frage, ob Menschenaffen nicht auch ähnlicheRechte wie wir verdienen. Genau das fordert das Great Ape Project. In Deutschland wird es von dem Psychologen und Autor Colin Goldner geleitet. Lennart Pyritz sprach mit ihm über die Ziele und Methoden der Initiative.
Pyritz: Alle Menschenaffenarten ja sind bereits im Washingtoner Artenschutzabkommen gelistet. Damit ist das Töten der Tiere und der Handel mit Ihnen illegal. Was wollen Sie zusätzlich mit dem Great Ape Project erreichen?
Goldner: Sowohl der Handel mit Großen Menschenaffen als auch ihr Einsatz für medizinische oder pharmakologische Versuche sind nach wie vor in den meisten Ländern dieser Erde
ungehindert statthaft, dann nämlich, wenn der Handel und die jeweiligen Versuche das Etikett der Wissenschaftlichkeit tragen. In Deutschland bzw innerhalb der EU werden Große Menschenaffen zwar seit gut 20 Jahren nicht mehr in Pharmalabors gehalten, es ist aber (mit Ausnahme von Österreich und den Niederlanden) nicht grundsätzlich verboten Außerhalb der EU, vor allem in den USA, werden nach wie vor und in großem Maßstab auch Schimpansen für invasive Forschungs- und Versuchszwecke eingesetzt. Auch der Handel mit den Großen Menschenaffen bzw. ihr Austausch zwischen einzelnen Zoos ist praktisch uneingeschränkt möglich, sofern, wie gesagt, die Zoos unter dem Signet der „Wissenschaftlichkeit“ firmieren.Dem Great Ape Project geht es um die Zuerkennung bestimmter Persönlichkeitsgrundrechte, die bislang ausschließlich dem Menschen vorbehalten sind: das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit sowie das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit..
Pyritz: Was machen Sie gerade? Woran arbeiten Sie, um Grundrechte für Menschenaffen zu verwirklichen?
Goldner: Ich habe in den letzten neun Monaten sämtliche deutschen Zoos jeweils mehrfach besucht, in denen Große Menschenaffen gehalten werden und habe dabei die jeweiligen Haltungsbedingungen im Detail dokumentiert. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird Ende des Jahres in einer eigenen Studie publiziert werden, die den Titel tragen wird: „Lebenslänglich hinter Gittern: Die Wahrheit über Gorilla, Orang Utan & Co in deutschen Zoos“.
Pyritz: Menschenaffen können ja nun ihre Rechte nicht selbst einklagen. Wer sollte oder könnte das übernehmen?
Goldner: Das Great Ape Project fordert, den Großen Menschenaffen solle der gleiche moralische und gesetzlich zu schützende - sprich: auch einklagbare - Status zukommen, der allen Menschen zukommt. Selbstredend geht es dabei nicht um die Zuerkennung umfassender Menschenrechte - es wäre dies auch absurde, da zu den unveräußerlichen Menschenrechten eben auch Gewissens- und Religionsfreiheit zählt, die für die Großen Affen ebenso irrelevant ist wie Berufsfreiheit oder das Recht auf Gründung von Gewerkschaften -, sondern um Grundrechte, die für Menschen und Menschenaffen gleichermaßen relevant sind und auf die Menschen und Menschenaffen gleichermaßen moralischen Anspruch haben, die bislang aber nur für Menschen gelten. Voraussetzung wäre eine angestrebte Grundgesetzänderung in Artikel 20a, die die Rechte der Großen Menschenaffen unter Verfassungsschutz stellt, sprich: ihnen Personenstatus zuerkennt.
Pyritz: Einfach ein Szenario: wenn zum Beispiel in Afrika oder Indonesien Kleinbauern Urwald abholzen oder brandroden, in dem Menschenaffen leben, gefährden sie ja damit das Leben dieser Tiere. Sollten dann, wenn die Menschenaffen Grundrechte erhalten, diese Bauern angeklagt werden?
Goldner: Nein, diese Bauern sollten die Möglichkeit erhalten, ihr ökonomisches Auskommen zu erwirtschaften, ohne die Menschenaffen gefährden zu müssen, im Vorfelde also.
Pyritz: Also wäre da der jeweilige Staat in der Verantwortung?
Goldner: So ist es.
Pyritz: Dann gibt es natürlich auch ethische Fragen, die sich mit dem Great Ape Project verknüpfen, zum Beispiel sind ja auch Elefanten und Delphine dafür bekannt, dass sie sehr intelligente und soziale Arten sind, und das sind ja bei den Menschenaffen Argumente dafür, dass sie eben einen anderen Rechtsstatus genießen sollten. Müssten da nicht für andere Tiere ähnliche Überlegungen gelten?
Goldner: Es stellt sich tatsächlich die Frage, was den Einsatz gerade für die Großen Menschenaffen rechtfertigt, durch deren Einbezug in die Rechtsgemeinschaft der Menschen sich nur die Grenzlinie verschöbe und nun Menschen und Große Menschenaffen auf der einen Seite von allen anderen Tieren auf der anderen Seite trennte, woraus eben die Elefanten und Delphine, aber auch Kühe, Schweine, Hühner und alle anderen Tiere, überhaupt keinen Nutzen bezögen. Es handelt sich bei den Forderungen des Great Ape Project pragmatischen - oder wenn man so will: strategischen - ersten Schritt: schließlich muß man irgendwo, bei irgendeinem Tier anfangen. Zudem - und das ist das Entscheidende - stellen die Großen Menschenaffen den Dreh- und Angelpunkt des Verhältnisses Mensch-Natur oder Mensch-Tier dar, sie definieren wie nichts und niemand sonst die sakrosankte, unverletzliche Grenzlinie zwischen Mensch und Tier: Wenn sie festgeschrieben "auf der anderen Seite" sind, auf der Seite des Tierischen, sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde diese Grenze durchlässig, könnte das eben jener "Türöffner" sein, als den auch Peter Singer und Paola Cavalieri das Great Ape Project verstehen, der letztlich allen Tieren - den menschlichen wie den nicht-menschlichen - zugute käme, auch den Elefanten, Delphinen und allen anderen. Es könnte dies der erste Schritt sein hin zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das bisherige Verhältnis Mensch-Tier, das im Wesentlichen ein Ausbeutungsverhältnis ist.
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Das Interview als Podcast auf Zeit-Wissen abrufbar (der dritte Beitrag nach Mücken und Higgs-Boson)