Zoo Berlin
Kindern den Schöpfungsgedanken nahebringen
Der Hauptstadtzoo Berlin
von Colin Goldner
Der Zoo Berlin, eröffnet im Jahre 1844, gilt als „ältester Zoo Deutschlands“. Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV hatte die in seiner Privatmenagerie gehaltenen Wildtiere, die ihn nicht länger interessierten, der „Berliner Bevölkerung“ als Grundstock für einen zu begründenden Zoo geschenkt.
Nach massiven Anlaufschwierigkeiten, die den als Aktiengesellschaft geführten Zoo mehrfach an den Rand des Konkurses brachten, wurden Ende der 1860er Jahre neue Aktien ausgegeben, wodurch sich die Finanzlage stabilisierte. Es konnten zahlreiche Tierhäuser gebaut werden, deren Baustil an die Herkunftsländer der darin gehaltenen Tiere erinnern sollte. Ab den 1890ern entstanden weitere Gehegegroßbauten, auch Musikpavillons, ein Wiener Caféhaus sowie ein mondänes Terrassenrestaurant. Auch der Tierbestand wurde erheblich erweitert, so dass Berlin sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einem der artenreichsten Zoos der Welt präsentieren konnte.
Während des 2. Weltkrieges wurde der Zoo zu größten Teilen zerstört, weniger als hundert Tiere überlebten die Bombenangriffe auf die Stadt. Schon unmittelbar nach Kriegsende wurde mit der Wiederherstellung der zerstörten Anlagen begonnen, viele der historischen Tierhäuser wurden originalgetreu nachgebaut. Zudem wurde das Zoogelände auf die heutige Fläche von etwa 34 Hektar erweitert.
Mit aktuell knapp 20.000 Tieren aus 1.500 Arten - noch vor Kurzem sollen es sogar 25.000 Tiere gewesen sein - rühmt sich der Zoo Berlin, der „tierbestand- und artenreichste Zoo der Welt“ zu sein. (Der Durchschnitt deutscher Zoos liegt bei 2500 Tieren in 250 Arten.) Trotz Umsatzerlösen im zweistelligen Millionenbereich und erheblichem Spenden- und Nachlassaufkommen wird der nach wie vor als Aktiengesellschaft firmierende Zoo jährlich mit Millionenbeträgen aus Steuergeldern bezuschusst. Der im Jahre 2014 neuangestellte Direktor des Zoos, Andreas Knieriem, zugleich zuständig für den Ostberliner Tierpark Friedrichsfelde, legte einen „Masterplan“ zum Um- und Ausbau der beiden Einrichtungen vor, dessen Realisierung vorläufig veranschlagte – und von den entsprechenden Gremien anstandslos durchgewunkene - 92,36 Mio Euro verschlingen wird; zu bezahlen in erster Linie aus öffentlichen Mitteln. Geplant ist eine konsequente Disneylandisierung der beiden Hauptstadtzoos nach dem Vorbild des Zoos Hannover, in dessen Umgestaltung zum „Erlebniszoo“ Knieriem als stellvertretender Direktor satte 107 Mio Euro versenkt hatte; samt unabsehbaren Folgekosten für massiven Pfusch am Bau, für den erwartungsgemäß niemand die Verantwortung übernahm. Die Investitionen werden sich nie amortisieren, am wenigsten angesichts der allenhalben zu beobachtenden rückläufigen Besucherzahlen, die der Zoo Berlin mit künstlich nach oben manipulierten Zahlen – die Rede ist von 3,3 Mio Besuchern pro Jahr - zu kaschieren sucht.
Swingen und lässig tanzen
An Sonderattraktionen bietet der Zoo einen weitläufigen Kinderspielplatz, den obligaten Streichelzoo sowie eine „Zooschule“. Es gibt Karneval- und Halloweenveranstaltungen, Märchenlesungen sowie Führungen zu „Tieren der Bibel“, bei denen Kindergarten- und Schulgruppen gezielt zu den Käfigen jener rund 130 Tierarten geführt werden - Kamele, Esel, Schafe, Pelikane, Eidechsen, Affen, Schlangen, Leoparden, Heuschrecken usw. -, von denen in der Bibel die Rede ist Bei jeder Tierart werden die biblischen Referenzstellen verlesen und exegetisch erläutert, dazu werden religionspädagogisch wertvolle Lieder, Gedichte und Gebete vorgetragen. Vor dem Großkatzenkäfig beispielsweise wird die Geschichte des Propheten Daniel erzählt (6,17-25), den man "zur Strafe in eine Löwengrube den Löwen zum Fraß vorwarf. Sein Gott aber, Jahwe, sandte einen Engel, der ihn beschützte." Auch auf das Brüllen des Löwen "als Symbol für die Auferweckung der Toten durch Christus" wird hingewiesen. Vor Aquarien hingegen wird aus dem 1. Buch Mose zitiert: "Gott schuf alle Arten von großen Seetieren und anderen Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt“. Die vormalige Familien- und heutige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Schirmherrin des Projekts „Tiere der Bibel“, schwadroniert in einem Begleitbuch, wie wichtig es sei, Kindern den Schöpfungsgedanken nahezubringen. Ausführlich wird auch das Fisch-Symbol erörtert, das gläubige Christen gerne auf dem Kofferraumdeckel ihrer Autos spazierenfahren. Selbstredend werden Kindergeburtstage ausgerichtet, einzelne Tierhäuser können auch für Hochzeitsfeiern oder nach Schließung des Parks für Privatparties gemietet werden (z.B. Flusspferdhaus 650 EUR/Stunde). Auch Konzerte vor tierischer Kulisse werden veranstaltet. Seit 2005 gibt es im Vorfeld des alljährlichen Christopher Street Day eine „schwul-lesbische Open-Air-Party“ , bei der „inmitten von Elefanten, Tigern und Pinguinen gesungen, geswingt, lässig getanzt und ausgelassen gefeiert“ wird. Der zusätzliche Streß, den feiernde Partygäste, egal ob schwul, hetero oder sonstwas, für die Tiere bedeuten, bekümmert offenbar niemanden.
Tierverachtende „Kunst im Zoo“
Auch wenn von vielen der historischen Bauten nur noch Photos existieren - vor dem Krieg hatte es ein „Straußenhaus“ in Gestalt eines ägyptischen Pharaonengrabes gegeben oder eine „Elefantenpagode“ im Stil eines südindischen Hindu-Tempels –, so vermitteln die rekonstruierten Tierhäuser doch einen guten Eindruck davon, wie in den Gründerjahren der europäischen Zoos das Unterhaltungsbedürfnis des gutbürgerlichen Publikums bedient wurde: Originalgetreu wiederhergestellt wurde etwa das ursprünglich im Jahre 1872 erbaute und einen orientalischen Sultanspalast aus „1001 Nacht“ darstellende „Antilopenhaus“. Gesondert zu erwähnen ist eine vor dem Eingang des Gebäudes aufgestellte Brunnenplastik des Berliner Bildhauers Georg Roch aus dem Jahre 1927, die unmissverständlich die pädagogische Kernaussage zoologischer Einrichtungen illustriert: ein kleiner Junge pisst von einem Felsbrocken auf eine Kröte herab, die vor ihm in einem Wasserrbecken sitzt. Was nichts anderes heißen soll als: Tiere stehen prinzipiell unterhalb des Menschen, mit ihnen kann zu persönlichem Gaudium in despektierlichster Weise verfahren werden. Zudem können sie nach Belieben miß- und gebraucht werden: Der pissende Junge steht auf dem Rücken einer Schildkröte und trägt zudem eine Art Helm auf dem Kopf, der aus dem Panzer einer Schildkröte gefertigt ist; in den Händen hält er zwei Babyschildkröten, aus denen er einen Wasserstrahl herausquetscht.
Vollverflieste Betonbunker
Die wiedererstellten „historischen“ Prunkbauten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gros der im Berliner Zoo vorgehaltenen Tiere - Polar- und Steppenfüchse etwa - in grotesk kleine Käfige eingesperrt ist. Kaum eines der Innengehege entspricht den Vorgaben, die „moderne“ Zoos für sich reklamieren. Das Affenhaus, ein trister Betonkomplex aus den 1950er Jahren, wurde bis herauf in jüngste Zeit unzählige Male umgebaut und erweitert. Es beherbergt, ineinander übergehend, ein sogenanntes „Niederaffenhaus“, ein „Tropenhaus“ sowie ein „Menschenaffenhaus“. Niederaffen- und Tropenhaus weisen zusammen 22 Einzelkäfige auf, von denen sieben weniger als 4qm groß sind. In diesen Kleinkäfigen werden verschiedene Neuweltaffen wie Weißbüscheläffchen, Seidenäffchen, Schwarzrückentamarine usw. gehalten. In etwas größeren, teils verfliesten, teils verklinkerten Käfigen sind Languren, Siamangs, Hulmane, Mandrille, Meerkatzen, Brüllaffen usw. untergebracht.
Auch das Menschenaffenhaus wurde mehrfach umgebaut und modernisiert, dennoch erweckt die Mehrheit der Gehege den Eindruck, als sei seit den 1950ern noch nie etwas an ihnen verändert worden. Nur drei der neun Einzelkäfige erlauben einen Blick ins Freie, ansonsten sind sie von nackten bzw. verfliesten Betonwänden und zum Besuchergang hin von Panzerglasscheiben umgeben. Die derzeit fünf vorgehaltenen Gorillas verfügen über zwei separate Innengehege: ein kleineres mit einer Grundfläche von etwa 30qm ist, ganz im zoologischen Selbstverständnis der 1950er, vollverfliest und mit Edelstahlklettergerüsten ausgestattet (hier wird Gorilla-Seniorin Fatou, die seit 57 Jahren [!] im Zoo Berlin lebt, in Einzelhaft gehalten); ein 2009 umgestaltetes etwas weiträumigeres Gehege weist gelben Wand- und grünen Bodenanstrich auf, was den Besuchern wohl Urwaldatmosphäre vorgaukeln soll. Für die darin untergebrachte 4-köpfige Gorillafamilie hat sich bis auf die etwas größere Grundfläche, eine kleine Rindenmulchinsel und die Installation von ein paar Totholzstämmen anstelle der Stahlrohrgerüste nicht viel geändert. Nicht anders stellt sich die Unterbringung der Schimpansen und Bonobos dar. Den Orang Utans stehen vier nebeneinanderliegende Käfigeinheiten alten Zuschnitts zur Verfügung: die rundum verfliesten Käfige weisen nackte Betonböden auf. Weder in den alten noch in den neugestalteten Gehegen gibt es Rückzugs- oder Versteckmöglichkeiten. Die ab 2008 neuangelegten Außengehege - vorher gab es überhaupt nichts dergleichen - entsprechen zooüblichem Minimalstandard.
Keine Ehrung für Nazi-Zoodirektor
Für das NS-Regime erfüllten die Zoos eine wichtige Propagandafunktion. Der Berliner Zoo konnte durch eine reich bemessene Geländeschenkung aus preußischem Staatsbesitz – Ministerpräsident Hermann
Göring machte sich persönlich dafür stark – angrenzend an die bestehenden Anlagen gar einem eigenständigen „Deutschen Zoo“ einrichten. In künstlich geschaffenen Felsgehegen wurden Bären, Wölfe.
Luchse und andere „deutsche“ Tiere gehalten. An einigen der Gehege wurden zur Verdeutlichung des „Deutschtums“ der darin gezeigten Tiere eigens kleine Hakenkreuze angebracht.
Der seit 1931 amtierende Zoodirektor Lutz Heck war überzeugter Nazi gewesen. Seit 1933 war er offizielles Fördermitglied der SS und seit 1937 Mitglied der NSDAP. Er stand in engem freundschaftlichem Kontakt zu Göring, mit dem er seine Leidenschaft für Großwildjagd teilte. Die pseudowissenschaftlichen Experimente, die Lutz Heck zur „Rückzüchtung“ von Auerochsen und Wisenten betrieb (zusammen mit seinem Bruder Heinz Heck, der seit 1928 Direktor des Münchner Tierparks Hellabrunn war), wurden von Göring höchstpersönlich gefördert. 1938 erhielt Lutz Heck anlässlich des „Führergeburtstages“ den Titel eines Professors verliehen, zwei Jahre später wurde er, zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Zoodirektor, zum Leiter der Obersten NS-Naturschutzbehörde ernannt. Darüber hinaus wurden ihm zahlreiche weitere Ehrungen und Preise des NS-Staates zuteil. Unter seiner Ägide wurden jüdische Aktionäre des Zoos gezwungen, ihre Anteile zu Spottpreisen zu verkaufen; ab 1939 wurde Juden der Zutritt zum Zoo verboten.
Während Heinz Heck nach dem Krieg unbeanstandet weitermachen konnte - er leitete Hellabrunn bis 1969 -, tauchte Lutz Heck unter. Dem Vernehmen nach betätigte er sich zeitweise für die Catskill Game Farm bei New York, auf der Wildtiere für den Bedarf amerikanischer und europäischer Zoos gezüchtet wurden. Irgendwann Ende der 1960er kam er nach Deutschland zurück und starb 1983. Im Jahr darauf - gleich zu Beginn der Amtszeit von Eberhard Diepgen (CDU) als Regierender Bürgermeister Berlins - wurde zu Ehren von Lutz Heck eine Bronzebüste im Zoo aufgestellt, an der jeden Tag tausende von Besuchern vorbeidefilierten. (Diepgen hat bis heute den Vorsitz einer Förderstiftung des Zoos inne.)
„Offener Brief“
Bei einem Besuch des Zoos Ende 2015 entdeckten zwei Beiräte der Giordano Bruno-Stiftung die Büste. Sie hielten es für skandalös, dass ein führender Nazi wie Lutz Heck eine derartige öffentliche Ehrung erfuhr. Über einen „Offenen Brief“ an die Direktion des Zoos, der wortgleich auch an den Regierenden Bürgermeister Berlins, den zuständigen Innensenator sowie die Fraktionen von SPD, B90/Die Grünen, Piraten, Linke und CDU versandt wurde, dazu an ausgewählte Medien, forderten sie, die Büste entweder zu entfernen oder mit einer Hinweistafel zu versehen, aus der die führende Rolle Lutz Hecks im „Dritten Reich“ klar ersichtlich werde. Desgleichen wurde gefordert, dass der mit öffentlichen Mitteln geförderte Zoo Berlin sich entschieden von den Verflechtungen seines ehemaligen Direktors in das verbrecherische NS-Regime distanziert.
Nachdem die Sache von zahlreichen Medien aufgegriffen worden war und über eine online-Petition Unterstützung namhafter Persönlichkeiten des öffentlichen Berliner Lebens gefunden hatte, beeilte sich die zuständige Senatsverwaltung mitzuteilen, man nehme das Anliegen sehr ernst. Gleichwohl die „im Zoo verortete Büste lediglich der Ehrung von Herrn Professor Dr. Heck in seiner Position als Zoodirektor“ diene, sei der Zoo „sehr daran interessiert, die Aufarbeitung der eigenen Geschichte voranzutreiben.“ Kurze Zeit später ließ Zoodirektor Knieriem wissen, die Büste werde mit einer Informationstafel versehen, die über die "Beziehung zur Ideologie und Führerschaft des Nationalsozialismus von Lutz Heck informiert".
Tatsächlich wurde am 7.12.2015 eine entsprechende Tafel angebracht, auf der nunmehr zu lesen steht, Lutz Hecks habe „sich und den Zoologischen Garten Berlin bereitwillig an den Nationalsozialismus“ angepasst. Auch seine Mitgliedschaften in SS und NSDAP sind vermerkt. Als "Geste der Wiedergutmachung", so Knieriem, solle zudem ein „Berlin-Jerusalem-Fellowship“ für jüdische Studenten eingerichtet werden. Auch eine Ausstellung zur Geschichte des Zoos solle entstehen, in der die Zeit zwischen 1933 und 1945 beleuchtet werde. Entschädigungszahlungen an Nachkommen zwangsenteigneter jüdischer Aktionäre lehnte Knieriem kategorisch ab. Allenfalls könne er sich vorstellen, jüdischen Nachkommen kostenfreien Eintritt in den Zoo zu gewähren.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit die geplante Ausstellung Licht wirft auf das besondere Interesse, das die Nazis an den Zoos hatten. Praktisch alle Direktoren und Verwaltungsräte deutscher Zoos waren spätestens seit 1937 Mitglieder der NSDAP und/oder gehörten sonstigen Gliederungen des NS-Staates an, viele in hochrangigen Funktionen. Nach dem Krieg blieb die Mehrzahl der NS-belasteten Zoodirektoren unbeanstandet im Amt. Bei manchen wurde eine kurze Schamfrist eingelegt, dann wurden sie erneut in ihre alten Positionen berufen.
Eine wirkliche Aufarbeitung der Verstrickung der deutschen Zoos in den Nationalsozialismus wurde bis heute nicht vorgenommen. In den Verlautbarungen heutiger Zoos und Zooverbände wird die Geschichte zwischen 1933 und 1945 entweder komplett verschwiegen oder aber kaschiert und beschönigt. Die NSDAP-Mitgliedschaften der seinerzeitigen Direktoren, Verwaltungsräte und Geldgeber bleiben bis auf wenige Ausnahmen unerwähnt. Der Berliner Zoo hat, wenngleich viel zu spät und keineswegs freiwillig, jetzt einen ersten Schritt gemacht. In dutzenden anderer Zoos - Köln, München, Dresden, Leipzig, Osnabrück, Hamburg u.v.a. - steht dies noch an.
aus: Tierbefreiung 92, Sept. 2016