Bite back / Zoo-Demo Dresden
Im Rahmen der Vortrags-/Aktionsreihe „Bite back“ anläßlich des 10jährigen Bestehens der tierbefreiung dresden fand am 23./24.10.2015 ein Veranstal- tungsblock zum Thema "Zookritik" statt.
Zunächst referierte am 23.10. der Zookritiker Colin Goldner (Great Ape Project) im „Grünen Eck“ (Parteibüro der Grünen in Dresden) zur Frage: „Haben Zoos heute noch eine Existenzberechtigung?“. Im ersten Teil seines gut 2-stündigen Powerpoint- vortrages gab er einen Überblick über die historische Entwicklung der Institution „Zoo“. Insbesondere beleuchtete er den vor dem Hintergrund des Washingtoner Artenschutz- übereinkommens (CITES) von 1973 erstmalig ins öffentliche Gewahrsein getretenen Anteil von Zoos an der Gefährdung von Wildtierbeständen: für jedes in einem Zoo ausgestellte Tier waren zahllose Tiere der gleichen Art beim Fang oder während des Transports zu Tode gekommen; zudem war die Überlebensspanne der letztlich in den Zoos angekommenen Tiere extrem niedrig, so dass ständiger Bedarf an Nachschub bestand. Myriaden an Wildtieren waren insofern seit Anfang des 19. Jahrhunderts für europäische und US-amerikanische Zoos der freien Wildbahn „entnommen“ worden. Erstmalig in ihrer 150jährigen Geschichte sahen die Zoos sich insofern mit massiver Kritik konfrontiert. Im Versuch, diese Kritik abzuwehren verständigten sie sich darauf, die bislang gepflogene Zurschaustellung von Wildtieren hinfort mit dem Argument zu rechtfertigen, Zoos leisteten einen wesentlichen Beitrag zum Artenschutz, zu wissenschaftlicher Forschung sowie zu Bildung und Erholung naturentfremdeter Großstädter. Im zweiten Teil seines Vortrages zeigte Colin Goldner detailliert auf, wie wenig tragfähig diese Argumentation ist und wie verlogen die Behauptungen der Zoobetreiber, die sich darauf stützen.
Tags darauf, am 24.10. fand vor dem Dresdner Zoo eine 2-stündige Demo und Kundgebung statt. Es gab drei Rede- beiträge, nachfolgend ein Transkript des Beitrages von Colin Goldner:
„Wir haben uns hier versammelt, um ein Zeichen zu setzen gegen die Gefangenhaltung und Zurschaustellung von Wildtieren in Zoos, die, beraubt all dessen, was sie und ihr Leben ausmacht, ein elendes Dasein zu fristen gezwungen werden, eingesperrt hinter Eisengittern, Panzerglas und stromführenden Zäunen. Ein Zeichen gegen die moralische Unrechtsinstitution Zoo.
Rund 3000 Zoos und zooähnliche Einrichtungen gibt es derzeit in Europa, in denen gegen Entgelt Wildtiere zur Schau gestellt werden. Mit mehr als 860 davon weist Deutschland insofern die größte Dichte auf. Im Durchschnitt werden pro Zoo etwa 2.500 Tiere aus 250 Arten vorgehalten, der Zoo Dresden weist 1500 gefangen- gehaltene Tiere aus rund 270 Arten auf.
Während Zoos sich seit je in einem von Kritik weitgehend unangetasteten Freiraum bewegen konnten, gerieten sie Mitte der 1970er unter massiven Rechtfertigungsdruck. Im Zuge des Washingtoner Artenschutzübereinkommens - CITES - von 1973, das den bis dahin völlig unkontrollierten Handel mit vom Aussterben bedrohten Tierarten erheblich einschränkte, trat erstmalig ins öffentliche Bewusstsein, welch enormen Anteil die für Zoos getätigten Wildfänge daran hatten, dass viele dieser Tierarten überhaupt erst an den Rand des Aussterbens gebracht worden.
In Italien bildete sich eine breite Front an ZoogegnerInnen, die zur Schließung zahl- reicher Zoos führte. Eine ähnliche Entwicklung gab es in England. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Kritik und insofern drohender BesucherInnenrückgänge suchten viele Zoos mit hektisch in Angriff genommenen Um- und Neubaumaßnahmen, die eklatantesten Missstände zu beseitigen bzw. publikumswirksam zu kaschieren. Parallel dazu wurde eine kollektive Abwehrstrategie gegen Kritik von außen entwickelt. Der »moderne Zoo« wird seither als auf „vier Säulen“ stehend präsentiert: Bildung, Artenschutz, Forschung und Erholung.
Tatsächlich hält keine dieser vier Säulen einer Überprüfung stand. Der Zoo ist gerade kein Lernort, an dem Naturverständnis entwickelt wird. Vielmehr werden die Besucher systematisch dazu angeleitet, die in Käfigen und Betonbunkern vorgeführten Zerr- bilder, Klischees und Karikaturen von Natur als Natur selbst zu verkennen. Eben- deshalb fällt ihnen das Leiden der eingesperrten, ihrer Freiheit und Würde beraubten Tiere nicht auf: sie lernen, das Widernatürliche als das Natürliche zu sehen.
Die Behauptung, Zoobesucher würden durch das Kennenlernen gefangengehaltener Tiere für deren freilebende Artgenossen sensibilisiert und sich folglich für Arten-, Natur- und Umweltschutz einsetzen, ist absurd. Der Hype etwa um Eisbär Knut hat mit Blick auf den Schutz von Eisbären und ihrer Lebensräume überhaupt nichts bewirkt. Auch die Zurschaustellung von Orang Utans, wie sie hier im Dresdner Zoo seit mehr als 130 Jahren betrieben wird, hat mit Blick auf den Schutz ihrer Lebensräume in Indonesien erkennbar nichts bewirkt. Im Übrigen zählt die Orang Utan-Haltung in Dresden, die als Aushängeschild des Zoos gilt, zu den tierfeindlichsten und tier- quälerischsten in ganz Europa. Abgesehen davon, dass sie massiv gegen die Richtlinien des bundesministeriellen Säugetiergutachtens verstößt, das die Haltung von Wildtieren in Zoos regelt, muß der 30 Jahre alte Betonbunker, in dem die Tiere verwahrt werden, schlichtweg als tierschutzgesetzwidrig gewertet werden. Die Orang Utans sitzen die meiste Zeit ihres Lebens in den viel zu engen und viel niedrigen Innenkäfigen herum, ohne Tageslicht, ohne Beschäftigung, auf nacktem Beton. Weshalb die zuständigen Veterinärbehörden nicht längst eingeschritten sind, ist unbegreiflich bzw. zeigt die enge Verwobenheit dieser Behörden mit den jeweiligen Zoos.
Auch das vielzitierte »Arche-Noah«-Argument trägt nicht: Ernstzunehmende Auswilderungs- oder Wiederansiedelungsprojekte gibt es nur für ein paar wenige der nachgezüchteten Arten. Und diese Projekte sind, entgegen der Zoopropaganda, alles andere als tragfähig. Für die überwiegende Mehrzahl der Arten und Individuen ist eine Auswilderung ohnehin weder vorgesehen noch möglich, dennoch wird ihre Gefangenhaltung damit legitimiert. Zoos züchten für Zoos nach.
Das Forschungsinteresse der Zoos richtet sich in erster Linie auf zoospezifische bzw. rein innerbetriebliche Belange. Der über den Zoo hinausreichende wissenschaftliche Wert der jeweiligen Arbeiten ist denkbar gering.
Auch wenn viele Menschen den Besuch eines Zoos als Freizeitvergnügen und Erholung empfinden, ist die lebenslange Gefangenhaltung leidensfähiger Individuen damit nicht zu rechtfertigen; ebensowenig wie Parforcejagden, Stierkämpfe oder Rodeos damit zu rechtfertigen sind, dass es immer noch Menschen gibt, die Vergnügen an derlei Tierqualveranstaltungen haben. Zoos sind immer Schauveranstaltungen auf Kosten der tierlichen Zwangsdarsteller. Zoos gehören abgeschafft. Laßt uns gemeinsam dafür eintreten, dass die Gefangenhaltung und Zurschaustellung empfindungs- und leidensfähiger Lebewesen ein Ende findet. Until every cage is empty. Bis jeder Käfig leer ist.”
Mehrfach tauchten Angestellte des Zoos auf, um sich vom „ordnungsgemäßen Ablauf“ der Kundgebung zu überzeugen und „Beweisfotos“ zu machen. Auch die Polizei wurde herbeigerufen, die aber nichts zu bemängeln fand. Insgesamt wirkten die Zoo- mitarbeiter ausgesprochen nervös, was ansich schon als Erfolg der Kundgebung gewertet werden kann.