Zoo Neunkirchen

"Solch ein schlimmer Anblick im Zoo"
 
Skandalöse Zustände im Zoo Neunkirchen
 
Der Ostermontagsausflug 2018 einer saarländischen Tierfreundin in den Neunkirchener Zoo – eine angeblich „wissenschaftlich“ geführte und damit zu den besseren ihrer Art zählende Einrichtung - geriet für sie zum Desaster. Angesichts des sogenannten „Pavianfelsens“, auf dem mehr als 100 Tiere auf engstem Raume zusammengepfercht sind, musste sie, wie sie tags darauf schrieb, weinend den Zoo verlassen.
 
Der Anblick der Paviane auf dem kahlen Betonboden sei für sie kaum zu ertragen gewesen: viele der Tiere hätten kahle Stellen im Fell gehabt, wie bei einer Erkrankung, auffällig viele auch Bisswunden sowie offene, blutige Stellen am Körper. „Das Gehege war sehr ungepflegt und roch erbärmlich. Die Tiere hatten Durchfall und waren komplett mit Kot verschmiert“. Am schlimmsten jedoch sei für sie der Zustand einiger Affenbabys gewesen, die verkrüppelte Beinchen oder Arme hinter sich her ziehen und nicht richtig laufen oder springen können. „Ich musste echt weinen. Solch ein schlimmer Anblick im Zoo. Alle Leute waren schockiert, und jeder hat darüber geredet. Man kann die Tiere doch nicht so da sitzen lassen. Da muss was passieren“.
Die Tierfreundin schickte ihre negativen Eindrücke samt Photos, die sie von den Pavianen gemacht hatte an die Tierbefreiungsoffensive-Saar (Tibos), die das Ganze auf Facebook einstellte. Innerhalb kürzester Zeit wurde der Beitrag mehr als 4.000mal geteilt und weit über 300.000mal angeklickt, hunderte Kommentare bestätigten die Kritik am Neunkircher Zoo. Und wiederum kurze Zeit später griff das Online-Portal der Saarbrücker Zeitung (SZ), der größten Tageszeitung des Saarlandes, die Sache auf, gefolgt tags darauf von einem längeren Artikel in der Printausgabe.
 
Zoodirektor Norbert Fritsch, von der SZ zur Kritik an der Pavianhaltung befragt, sprach von einer „Hetzkampagne der Tierbefreiungsoffensive-Saar“, der man ausgesetzt sei. Im Übrigen sei es „völlig normal“, dass in einer Gruppe von 100 Pavianen auch mal kranke Tiere dabei seien oder welche, die weniger gut aussähen. Der Neunkircher Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende des Zoos, Jörg Aumann, ergänzte, die Tiere würden regelmäßig von einer Tierärztin und auch vom Veterinäramt kontrolliert: „Bisher gab es keine Beschwerden“. Was so ganz nicht stimmte: Der Tierschutzbeauftragte des Saarlandes, der Veterinärmediziner Dr. Hans-Friedrich Willimzik, hatte eigener Aussage zufolge vor vier Jahren schon der Zooleitung gegenüber auf die massive „Überbevölkerung“ des Pavianfelsens hingewiesen, die als nicht artgerecht zu wertensei. Reaktion des Zoos: keine, Konsequenz des Tierschutzbeauftragten: auch keine. In einem Beitrag des Saarländischen Rundfunks  wiederholte Willimzik nun seine Kritik am Neunkircher Zoo: es würden zu viele Paviane auf zu engem Raum gehalten, was Ursache sei gegenseitiger Verletzungen. „Bei einem arttypischen Verhalten gehen die Streitigkeiten nie soweit“, so Willimzik, „dass sich gegenseitig Verletzungen zugefügt werden“, denn: „In der Natur bedeutet jede Verletzung ein Handicap, jede Verletzung kann eine Infektion bedeuten und jede Verletzung kann zum Tod führen“.
Fachliche Bewertung
 
Wenige Tage später besuchte ein Expertenteam des Great Ape Project (GAP) den Neunkircher Zoo und begutachtete die Lebensbedingungen der dort vorgehaltenen Paviane. In einer Presseaussendung wurde der Bewertung des Tierschutzbeauftragten vollumfänglich zugestimmt: es werden „viel zu viele Tiere auf viel zu beengtem Raume gehalten, was sozialen Spannungen Vorschub leistet. Allein die zwangsläufig auftretenden Streitigkeiten, wenn die Tiere etwa bei der Futterausgabe durch eine enge Klappe in den Innenbunker zu gelangen suchen, gehen mit hoher Verletzungsträchtigkeit durch Beissereien einher. Einige Tiere zeigen teils schwere (und veterinärmedizinisch offenbar unbehandelte) Läsionen am ganzen Körper, das Erscheinungsbild vieler Tieredeutet auf extreme und chronische Streßbelastung hin.“
 
Die Anlage selbst sei „für die Haltung von Pavianen oder anderen Primaten völlig ungeeignet. Selbst wenn die Zahlder Tiere mittelfristig reduziert werden sollte, was der Zoo angeblich vorhat, entspräche sie nicht den Maßgaben für eine an den Bedürfnissen der Tiere orientierten Haltung. „Die Unterbringung und Zurschaustellung der Tiere auf einer von meterhohen Betonwänden umgebenen Betonrotunde mit einem in der Mitte aufgetürmten‚Kletterfelsen‘ übereinandergestapelter Betonblöcke hat mit moderner und tiergerechterZootierhaltung, wie der Zoo Neunkirchen sie zu praktizieren vorgibt, nichts zu tun. Sie ist ein Relikt aus den 50er Jahren, die die hochintelligenten und -sozialen Tiere körperlich wie psychisch krank macht.“ Eine realistische Möglichkeit, Paviane aus dem Neunkircher Zoo zeitnah und in nennenswerter Zahl an eine andere und bessere Einrichtung abzugeben, gebe es nicht. Da der Pavianfelsen des Neunkircher Zoos nach Angaben seines Direktors nicht erweitert oder substantiell verändert werden kann, muß die Forderung lauten: sofortiger Bau eines tiergerechten neuen Geheges. Ein bislang ungenutztes Waldstück hinter dem Betriebshof des Zoos würde sich dafür anbieten. Allein der FB-Eintrag des GAP wurde mehr als 100.000mal angeklickt.
Abwehr jeder Kritik
 
Aufgrund der massiven öffentlichen Kritik an der Pavianhaltung im Neunkirchener Zoo stattete der lokale Ortschaftsrat (=eine Art Untergremium des Gemeinderates) diesem einen Besuch ab. Zoo-pädagoge Christian Andres, der den Ortschaftsrat durch den Zoo führte, wollte, so die SZ, „aus aktuellem Anlass auch den Pavianfelsen nicht umgehen“. Anstatt aber zur Kritik an den Haltungsbedingungen der Paviane Stellung zu nehmen, lamentierte Andres vor den Pressevertretern herum, es sei "eine Facebook-Kampagne gegen uns gestartet (worden), die uns keine Möglichkeit gelassen hat, uns zu rechtfertigen“. Tatsächlich konnte der Zoo sich in mehreren Presseverlautbarungen und mehr als umfänglich dazu erklären.
 
"Paviane leben in der Natur nicht anders", suchte etwa der stellvertretende Vorsitzende des Neunkircher Zoofreundevereins die vorgetragene Kritik in einem eigenen SZ-Artikel abzuwehren: sie leben auch da, wie er behauptete, "auf unergiebigen Felsen" und "in Gruppen von mehreren Hunderten auf kleinem Raum". Tatsächlich leben Mantelpaviane  (um die es im Zoo Neunkirchen geht) in Halbwüsten, Savannen, Steppen, lockeren Wald- und Grasgebieten und durchaus auch in felsigen Regionen, aber eben nicht auf nackten Felsen (wie auch sollten sie da Nahrung finden). Sie leben in Gruppen von maximal 100 in mehrere Clans aufgeteilten Individuen, die Streifgebiete von bis zu 40qkm durchziehen. Das Wichtigste aber ist: im Freiland haben sie die Möglichkeit, Konflikten aus dem Weg zu gehen, sprich: Jungtiere haben die Möglichkeit, beim Eintritt in die Geschlechtsreife abzuwandern. Im Neunkirchner Betonbunker haben sie diese Möglichkeit nicht, was zu den beklagten sozialen Problemen mit Beissereien und Verletzungen führt.
 
Zwei Wochen nach dem Facebook-posting der Tierbefreiungsoffensive-Saar befasste sich der Umweltausschuß des Saarländischen Landtages mit der Sache. In seiner Funktion als Landesbeauftragter für Tierschutz bezeichnete Dr. Willimzik die Situation der Paviane im Neunkircher Zoo als „Tierquälerei“. In einem nachfolgenden Interview mit der SZ betonte er, eine simple Abgabe einiger Tiere an andere Zoos sei keine Lösung: „Wenn man aus der Gruppe der 100 Paviane Tiere abgeben will, dann muss man eine der dort existierenden Gruppen, etwa fünf bis 15 Tiere, aus dem Verbund
herausholen. Es ist fraglich, inwieweit das überhaupt machbar ist. Man kann nicht willkürlich eine Zahl von Pavianen zusammengewürfelt dort herausholen und irgendwo anders reinsetzen. Das funktioniert nicht.“ Zudem wies er darauf hin, dass erst im Vorjahr das Umweltministerium dem Zoo einen „großen Betrag“ zur Verfügung gestellt habe (offenbar außerplanmäßig und über die millionenschweren Subventionen aus Steuermitteln hinaus, die der Zoo ohnehin fortlaufend erhält). Was genau Willimzik dem Umweltausschuß zur Lösung des Problems anriet bzw. was genau er insofern selbst vorhat, blieb unklar. (Eine namhafte Privatspende, die der Zoo 2016 zur Verbesserung der Pavianhaltung erhielt, wurde in erster Linie dazu genutzt, die Innenseite der Betonmauer rund um den Pavianbunker mit bunten Graffities zu besprühen.)
Grundflächentrickserei
 
Zoodirektor Fritsch sieht offenbar überhaupt kein Problem, er hält den Pavianbunker in seinem Zoo für „artgerecht“ und ausreichend. Und das, obgleich dessen Grundfläche noch nicht einmal den (in sich völlig unzulänglichen) Vorgaben des bundesministeri-ellen Säugetiergutachtens von 2014 entspricht. Diesen Vorgaben zufolge müsste für die 100 Paviane ein Innengehege von wenigstens 325qm zur Verfügung stehen (40qm pro 5köpfiger Gruppe + 3qm für jedes weitere Tier). Tatsächlich weist der öffentlich nicht einsehbare Innenbunker der Neunkircher Paviane allenfalls 50qm auf, gemäß Säugetiergutachten ausreichend für nicht mehr als acht (!) Tiere. Wie Zoodirektor Fritsch, der die mangelnde Geburtenkontrolle bei den Pavianen zu verantworten hat, auf die vermessene Aussage verfallen kann, er könne "theoretisch" sogar doppelt soviele Paviane - also 200 - auf seiner Betonanlage zusammenpferchen, verstehe wer will.
 
„Theoretisch“ geht das nur, wenn die Grundfläche der Außenanlage (600qm) und die des Innenbunkers (50qm) zusammengezählt werden. Das aber ist nicht statthaft: Pavianen muß laut Säugetiergutachten sowohl draußen als auch drinnen jeweils besagte Fläche von 40qm pro 5köpfiger Gruppe + 3qm für jedes weitere Tier zur Verfügung gestellt werden. Selbst wenn die Freifläche 1.000qm groß wäre, das Innengehege aber nur 50qm aufweist, dürfen nur 8 Tiere gehalten werden.
 
Als einzig realistische Option bleibt dem Neunkircher Zoo nur der Bau einer neuen, tiergerechteren Paviananlage. Sollte solche Neubaumaßnahme nicht umgehend in Angriff genommen werden, wird das Great Ape Project mittels Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das TierSchG gegen die Verantwortlichen des Zoos vorgehen.

Claudia Goldner

TIERBEFREIUNG #99, Juni 2018

Nachtrag 1: Die saarländische Landesregierung räumte hinsichtlich der Pavianhaltung im Zoo Neunkirchen massive Verstöße gegen die Vorgaben des bundesministeriellen Säugetiergutachtens von 2014 ein: www.landtag-saar.de/Drucksache/Aw16_0517.pdf

vom 20.8.2018. Es wurde angekündigt, zur Klärung des Sachverhaltes eine unabhängige Begutachtung der Pavianhaltung durchführen zu lassen.

Pressespiegel (Auszug)

 

Situation der Paviane im Neunkircher Zoo. in: sr.de vom 12.04.2018

 

Platzmangel bei Pavianen im Neunkircher Zoo. in: sr.de vom 12.04.2018

 

„Paviane leben in der Natur nicht anders“.  in: Saarbrücker Zeitung vom 22.04.2018

 

Paviane im Neunkirchner Zoo leiden unter 'Tierquälerei'. in: Saarbrücker Zeitung vom 27.04.2018

 

Experte verlangt Hilfe für Paviane im Neunkircher Zoo. in: Saarbrücker Zeitung vom 29.04.2018

 

Überbevölkerung auf dem Pavian-Felsen. in: Saarbrücker Zeitung vom 29.04.2018

 

Zu viele Paviane im Zoo in Neunkirchen. in: sr-mediathek vom 03.05.2018

 

Skandalöse Zustände im Zoo Neunkirchen. in: hpd vom 29.05.2018

 

Dramatisch zu wenig Platz für Paviane im Zoo. in: Saarbrücker Zeitung vom 26.06.2018

 

Jost rügt Affenfelsen in Neunkirchen. in: Saarbrücker Zeitung vom 31.8.2018

 

Ermittlungsverfahren wegen Pavianhaltung. in Saarbrücker Zeitung vom 8.9.2018

 

Neunkircher Zoo will 30 Paviane abgeben. in: SR vom 12.09.2018

Nachtrag 2: Der von der saarländischen Landesregierung zur Begutachtung der Pavianhaltung im Neunkirchener Zoo eingesetzte Professor F.-J. Kaup vermochte in einer am 2.11.2018 vorgestellten Expertise "keine tierschutzrechtlichen Verstöße" zu erkennen. Nicht wenige im Saarland sprechen insofern von einem politisch motivierten "Gefälligkeitsgutachten", das die Landesregierung wie auch den kommunalen Betreiber des Neunkirchener Zoos entlastet. (Zur Person des Gutachters: Prof.Dr. Franz-Josef Kaup war von 1992 bis 2017 Leiter der Abt. "Versuchstierpathologie" am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, an dem tierethisch gänzlich unverantwortbare Invasiv-experimente an Primaten durchgeführt werden.)

 

Nachtrag 3: Das gegen den Neunkichener Zoodirektor Fritsch laufende staats-anwaltliche Ermittlungsverfahren wegen Tierquälerei wurde unter Bezugnahme auf das o.a. Gutachten des Prof. Kaup Anfang Dezemeber 2018 sang- und klanglos eingestellt; desgleichen kurze Zeit später die Beschwerde gegen diese Einstellung durch die Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken.

 

Aktuller Nachtrag: Anfang Mai 2019 wurde ruchbar, dass der Zoo dreissig seiner Paviane an einen unbekannten Ort (Zoo/Amusementpark/Labor?) nach China abzuschieben plant. Ausfuhrpapiere wurden beantragt und am 6.5. erteilt:  siehe Saarbrücker Zeitung vom 10.5.2019