Zoozoonosen

„Machet sie euch unterthan und herrschet..."

 

von Colin Goldner

 

Das Diktum aus dem 1. Buch Mose (=Genesis 1,28), in dem Gott seinen Ebenbildern befiehlt, sich die Natur zu unterwerfen und nach Belieben nutzbar zu machen, beherrscht das Gattungsbewußtsein des Menschen wie kein zweites: eine universell gültige Erlaubnis, gar „göttlicher Auftrag“ (den es in gleicher oder ähnlicher Form in sämtlichen Religionen gibt), zu rücksichtsloser Ausbeutung von Um- und Mitwelt.

 

Auch wenn und gerade weil der vorgebliche Auftrag Gottes erkennbar nichts anderes ist, als ins Metaphysische projizierter und aus diesem als Legitimation für rücksichtslose Ausbeutung von allem und jedem zurückgespiegelter Ausdruck menschlicher Gier, fällt es vielen umso schwerer - Stichwort: Kognitive Dissonanz -, die entscheidende Lehre aus der gegenwärtigen Krise um das Corona-Virus  zu ziehen. Und die heißt:  Wir brauchen ein grundlegend anderes Verhältnis Mensch-Natur (auf individueller wie gesamtgesellschaftlicher bzw. politischer Ebene), sprich: ein grundlegend anderes Verhältnis Mensch-Tier. Der unabdingbar wichtigste, höchstpersönlich zu unternehmende Schritt: HÖRT AUF TIERE ZU ESSEN. Oder besser noch: GO VEGAN (was bekanntlich weit über individuelle Konsum- und Ernährungsvorlieben hinausreicht).

 

Ebola, AIDS, Covid

 

Über 12,5 Millionen Menschen weltweit sind seit dem Ausbruch der SARS-CoV-2-Pandemie (Severe Acute Respiratory Syndrome CoronaVirus-2), nach dem Jahr des ersten Auftretens kurz COVID-19 genannt (Corona Virus Disease 2019), positiv getestet worden, mehr als 560.000 Todesopfer sind bislang zu beklagen (Stand 12.7.2020).

 

Bei Covid-19 handelt es sich um eine sogenannte Zoonose, eine Infektionskrankheit also, die vom Tier auf den Menschen und umgekehrt auch vom Menschen auf das Tier übertragen werden kann. Derzeit sind etwa 200 zoonotische Erkrankungen bekannt – vermutlich gibt es sehr viel mehr -, die durch Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten oder pathogene Prionen verursacht werden können. Drei von vier der bekannten Infektionskrankheiten sind zoonotischer Natur.

 

Coronaviren werden bereits seit Mitte der 1960er Jahre erforscht, sie können sowohl Menschen als auch verschiedene Tierarten befallen. Der Ursprung der aktuell grassierenden Covid-19-Pandemie liegt sehr wahrscheinlich in einem Wildtiermarkt in der zentralchinesischen Provinzhauptstadt Wuhan. Laut aktueller Studien entstammt das Virus einer bestimmten Fledermauspopulation und wurde wohl über Zwischenwirte wie Schuppentiere oder Schleichkatzen auf den Menschen übertragen.

 

Ungeachtet dessen aber, von wo und von welchem Tier Covid-19 ursprünglich stammt und von welchem es auf den Menschen übertragen wurde: SARS-CoV-2 steht am vorläufigen Endpunkt einer langen Reihe von Zoonosen, die weltweit bis heute zigMillionen Todesopfer gefordert haben: von Ebola, AIDS, Lyme-Borreliose, Hanta- und Nipahviren, MERS-CoV und vielen anderen Infektionskrankheiten hin zu Trypanosomiasis (Schlafkrankheit) und der seit Mitte Juli 2020 in China und der Mongolei (wieder) aufflammenden Beulenpest. Wohlgemerkt: am vorläufigen Endpunkt, die nächste Pandemie ist nur eine Frage der Zeit. Die Frage ist nicht, ob sie kommt, sondern nur wann und wievielen Menschen sie das Leben kosten wird.

 

Um es zu wiederholen: drei Viertel aller Infektionskrankheiten sind zoonotischer Natur. Ihnen liegt die rücksichtslose Ausbeutung von Um- und Mitwelt zugrunde, getreu dem Diktum aus dem 1. Buch Mose, das dem Menschen befiehlt, die Natur zu beherrschen und sie sich unterthan zu machen; zuvorderst aber die Gier nach „Fleisch“, die, wenig überraschend, auch das Projektionsbild des alttestamentarischen Gottes (desgleichen der Götter jeder anderen Religion) auszeichnet: schon in der Geschichte von Kain und Abel, erzählt in 1. Mose, 4, 3-5, sieht Gott gnädig auf das geopferte Lamm des Abel und verschmäht die Ackerfrüchte des Kain (was zum ersten Brudermord der Geschichte führt). Tatsächlich ist das gesamte Alte Testament durchzogen von ständigen Dank-, Sühne-, Buß- oder sonstigen Opfern, sprich: Legionen rituell getöteter (und dann verzehrter) Rinder, Ziegen, Schafe und Tauben.

 

Unmissverständlich erklärt der aktuell gültige Weltkatechismus der Katholischen Kirche, federführend herausgegeben Anfang der 1990er durch den seinerzeitigen Kurienkardinal und heutigen Expapst Joseph Ratzinger: „Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bilde geschaffen hat. Somit darf  man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Man darf sie unterwerfen, um sie dem Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dienstbar zu machen.“ Man darf? Nein, in rechtschaffener Gottesfurcht muß man das nachgerade.

 

Zoozoonosen

 

Während die Gefahr, die von chinesischen Wildtiermärkten ausgeht, selbst eingefleischtesten Vermeidern kognitiver Dissonanz einleuchtet, vielleicht gar die Gefahr der Intensivtierhaltung in hiesigen Megamastanlagen, steht ein anderes Zoonoserisiko kaum in öffentlichem Gewahrsein: die Haltung exotischer Wildtiere in Zoos und zooähnlichen Einrichtungen. Sowohl das Zoopersonal (Tierpfleger, Azubis, Veterinäre etc.) als auch die zahlenden Besucher unterliegen der steten Gefahr, sich bei einem der Tiere mit einer infektiösen Krankheit anzustecken; wie umgekehrt auch die Tiere Gefahr laufen, von einem Menschen angesteckt zu werden.

 

Tatsächlich dringen zoonotische Erkrankungsfälle in Zoos nur selten an die Öffentlichkeit. Dass es sie gleichwohl - und unvermeidbarerweise - gibt, bestätigte ein Zootierarzt vor dem Landgericht Augsburg: Während seiner Dienstzeit im örtlichen Zoo habe es bei den Affen eine offene und hochansteckende Tuberkulose gegeben, gegen die die Zooleitung nicht bzw. nicht angemessen vorgegangen sei; sogar ein Tierinspektor sei mit Tbc infiziert worden. Ehemalige Zoo-Mitarbeiter sprechen insofern von immer wieder auftretenden „Seuchen“, bei denen vor allem darauf geachtet werde, dass die Öffentlichkeit nichts erfährt. Vor geraumer Zeit brach bei den Bonobos des Berliner Zoos aus nicht bekanntem bzw. nicht bekannt gegebenem Grunde eine hochinfektiöse Shigellose (=Bakterienruhr) aus, an der sämtliche Tiere erkrankten. Erst Tage später und erst, nachdem zwei Pfleger sich angesteckt hatten und schwer erkrankten, wurden die Behörden und die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt. Die Bakterienruhr zählt zu den meldepflichtigen Erkrankungen, sie kann bei Mensch wie Menschenaffe tödlich verlaufen.

 

Anfang April 2020 ging die Nachricht über den Ticker, dass ein Tiger im Bronx-Zoo von New York mit Covid-19 infiziert worden sei. Vermutlich hatte ein Tierpfleger das Virus in sich getragen, ohne selbst Symptome zu zeigen. Vier weitere Tiger und drei Löwen wurden positiv auf Covid-19 getestet. Ob ein im gleichen Zeitraum im Zoo Leipzig verstorbenes Orang Utan-Kleinkind mit Covid-19 infiziert war, blieb hingegen ungeklärt: anstatt das neun Monate alte Jungtier obduzieren bzw. auf Covid-19 untersuchen zu lassen – eine allein schon zum Schutz der anderen Tiere unverzichtbare Maßnahme –, wurde der tote Körper klammheimlich „entsorgt“. Auch im Nachhinein konnte nichts mehr untersucht werden: das tote Tier war rückstandlos verbrannt worden. Wegen dringenden Verdachtes auf Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz wurden staatsanwaltliche Ermittlungen eingeleitet.

 

Was bedeutet das alles für andere in Zoos gehaltene Wildtiere? Nach derzeitigem Erkenntnisstand laufen auch sie Gefahr, über infiziertes Zoopersonal angesteckt werden zu können; wie infizierte Zootiere (aller Wahrscheinlichkeit nach) umgekehrt auch Zoopersonal und Besucher anstecken können. Selbst bei hermetischster Abriegelung der Zootiere über Panzerglasscheiben oder ähnliche Vorkehrungen gäbe es mögliche Infektionsketten über das Zoopersonal, das Infektionen in die Käfige hinein und aus diesen heraustragen könnte.

 

Was tun?

 

Als Sofortmaßnahme müssten die Hygienestandards in sämtlichen Zoos und zooähnlichen Einrichtungen drastisch erhöht werden. Gehege und Käfige sollten von Zoopersonal nur noch mit Mund-/Nase-Masken, Latexhandschuhen, Schuhüberziehern  und über Desinfektionsmatten vor den Eingängen betreten werden dürfen. Auch Besucher sollten verpflichtet werden, in den Tierhäusern Mund-/Nasenmasken zu tragen. Jeder direkte Kontakt zwischen Besuchern und Tieren sollte unterbunden werden.

 

Zudem sollte der internationale Handel mit und Austausch von Wildtieren, wie er zum Tagesgeschäft der Zoos zählt, umgehend eingestellt werden (Wildtierbörsen der privaten Aquarianer- und Terrarianerszene sowieso). Am besten wäre es natürlich, Zoos als (potentiell) hochvirulente Brut- und Übertragungsherde zoonotischer Infektionskrankheiten komplett abzuwickeln. Spätestens mit Covid-19 hat die kommerzielle Zurschaustellung von auf engstem Raume eingesperrten Wildtieren endgültig ausgedient. Erfreulicherweise haben einige der 865 Zoos und zooähnlichen Einrichtungen hierzulande den corona-bedingten lockdown seit Mitte März des Jahres finanziell nicht überstanden und mussten dauerhaft schließen.

Zooretterwurst

 

Zu guter Letzt eine (bittere) Realsatire aus dem Zoo Osnabrück, der wie alle anderen Zoos des Landes lauthals die Einnahmeausfälle während der behördlich angeordneten Schließung bejammerte und ebenso lauthals nach staatlichen Unterstützungsgeldern rief. Der Dachverband der 56 größeren Zoos hierzulande (VdZ e.V.) hatte in einem an Kanzlerin Merkel persönlich gerichteten Brief ein staatliches Soforthilfeprogramm in Höhe von vorderhand 100 Millionen Euro gefordert, um die "wirtschaftlich angespannte Lage" der Zoos zu überbrücken. Glücklicherweise wurde die Forderung der Zoos nicht erfüllt, obgleich Kanzlerin Merkel als bekennende Zoofreundin gilt.

 

Um dem Zoo Osnabrück durch die „schwere Zeit während der Coronakrise zu helfen“, wie das örtliche Käseblättchen „Hasenpost“ verlautbarte, hätten sich der Fleischverarbeitungsbetrieb Kinnius und viele Edeka-Märkte der Region zusammengeschlossen, um „Zooretter-Würste“ zu verkaufen. Die Großmetzgerei Kinnius GmbH & Co. KG, die dem Zoo seit Jahren schon als Werbepartner zur Seite steht, etikettierte kurzerhand „Bratwürste nach Original Kinnius-Rezeptur“ (im Naturdarm) mit Aufklebern im Zebra-Look zu „Zooretter-Würsten“ um, die über regionale Edeka-Märkte verkauft wurden. Pro verkauftem 6er-Pack (5,29 €) ging 1 Euro als Spende an den Zoo, dem allein für den Monat Mai ein Scheck über 10.000 Euro überreicht werden konnte. Selbstredend sind die Kinnius-Bratwürste seit je auch in den zooeigenen Restaurants und Kiosken zu haben: erst Tiere gucken, dann Tiere –durch den Fleischwolf gedreht und als Brät in den eigenen Darm zurückgestopft - aufessen.

 

Hier das Original-Rezept der Zooretterbratwürste: "Schweinefleisch (80%), Speck, Trinkwasser, Kochsalz, Maltodextrin, Gewürze, Stabilisator: E450; Natriumcitrate, Geschmacksverstärker: E621, Emulgator: E471, Säurerungsmittel: E262; Citronensäure, Antioxidationsmittel: Natriumascorbat, Würze, Gewürzaroma, pflanzliches Fett (Palm) ganz gehärtet, Naturdarm (Schwein)."

 

Noch Fragen?

 

KOCHEN OHNE KNOCHEN #40/August 2020