Banksy
"Flucht aus dem Zoo“
Anfang August 2024 tauchten an verschiedenen Orten in und rund um London acht Schablonengraffiti des weltweit bekannten britischen
Streetart-Künstlers Banksy auf, die durchwegs „wilde Tiere“ darstellten: einen Steinbock, zwei Elefanten, drei Affen, einen Wolf, eine Raubkatze, ein Nashorn, dazu zwei Pelikane sowie einen Schwarm
Piranhas. Über acht Tage hinweg wurde die Stadt allmorgendlich von einem über Nacht entstandenen Graffiti Banksys überrascht, dessen bürgerlichen Namen und wahre Identität dieser selbst wie auch das
Team, mit dem er unterwegs ist, mit großem Aufwand geheim zu halten suchen. Dass es sich bei den jeweiligen Sprayarbeitentatsächlich um „originale Banksys“ handelte, bestätigte der Künstler, wie
üblich, im Laufe des folgenden Tages über seinen Instagram-Account.
Während nicht nur in London sondern weltweit über die Bedeutung der Wildtierserie Banksys gerätselt wurde, tauchte in der Nacht vom 12. auf
den 13 August ein neuntes Graffiti auf, gesprüht direkt an ein Rolltor vor dem London Zoo. In aller Frühe schon bestätigte Banksy via Instagram, dass auch dieses Werk von ihm stamme, sein Team
erklärte gegenüber BBC, dass mit diesem Werk die Serie mit wilden Tieren beendet sei. Auch wenn, wie bei Bansksy üblich, keine direkte Erklärung über die Bedeutung des neunten Graffitis
beziehungsweise der ganzen Graffitiserie geliefert wurde, erschließt sich diese mühelos und ganz ohne kunstphilosophische Hin- und Herspekuliererei: als jedermann/frau unverkennbare Kritik an der
Gefangenhaltung von Wildtieren im Londoner (oder jedem anderen) Zoo: zu sehen ist ein Gorilla, der einen geschlossenen Rollladen am Eingang des Zoos hochzuheben scheint, so dass eine Robbe und
verschiedene Vögel darunter heraus entweichen können; drei Augenpaare weiterer Tiere schauen unter dem hochgehobenen Rollladen hervor, bereit, ihrerseits das Weite zu suchen. Mit diesem neunten
Graffiti erklärte sich wie von selbst, was es mit den anderen Wildtieren auf sich hatte, die seit Tagen irgendwo in London aufgetaucht waren: Insassen des London Zoo, die von einem der ihren befreit
wurden.
Kaum ein Medium weltweit, das nicht die unübersehbar „tierrechtliche“ oder „tierbefreierische“ Botschaft des Künstlers erkannte. „Die
»Flucht« der Graffiti-Tiere aus dem Zoo“, wie etwa der SPIEGEL schrieb, „lässt eine politische Nachricht vermuten – dafür ist der Künstler schließlich bekannt. Banksy hat sich bereits in vergangenen
Werken mit dem Thema Tierschutz oder der Misshandlung von Tieren durch Menschen befasst. Die aktuellen Graffiti legen eine Kritik am System Zoo nahe.“(1) Die Nachrichtenagentur REUTERS brachte es auf
den ebenso simplen wie zutreffenden Begriff: „Im Finale seiner Serie an Graffitis befreit Banksy die Tiere des London Zoo“.(2)
Der London Zoo selbst versuchte umgehend, die unabstreitbare Kritik Banksys am Zoowesen umzudeuten und für sich zu vereinnahmen.
Überschwänglich drückte eine Medienbeauftragte des Zoos ihren Dank an den Künstler aus: “Wir sind begeistert von der Freude, die dieses Kunstwerk bereits so vielen bereitet hat, aber vor allem sind
wir Banksy unglaublich dankbar, dass er die Tierwelt ins Rampenlicht rückt. Wir erreichen einen kritischen Punkt – auf globaler Ebene – für die Tierwelt, da Klimawandel, Lebensraumverlust,
Krankheiten und Konflikte mit dem Menschen viele Arten an den Rand des Aussterbens bringen. Wilde Lebensräume sind für viele dieser Arten leider keine sichere Option. Als Teil der globalen
Naturschutzorganisation ZSL [=The Zoological Society of London] spielt der Londoner Zoo eine wichtige Rolle beim Schutz gefährdeter Arten, indem er zukünftige Naturschützer durch unser
wissenschaftliches Institut, unsere Tierklinik und Bildungsprogramme ausbildet und unser Fachwissen im Bereich Naturschutz einbringt, damit wir Lebensräume wiederherstellen und wirklich etwas
verändern können.“(3)
Noch um einiges grotesker als die Versuche des London Zoos, das unverkennbar zookritische Graffiti Banksys in sein blankes Gegenteil
umzudeuten, trat der fachlich durch nichts ausgewiesene Zoolobbyist Philipp Kroiß auf den Plan, der allen Ernstes und in wirrer Wortwahl behauptete, im Werk Banksys gehe es um „Artenschutz mit dem
London Zoo als Ursprung, weil er so ein prominentes Geschenk vom Künstler zum Finale bekommen hat. Das Rolltor, auch, wenn es der Zoo vielleicht nie verkaufen wird, ist nun von großem Wert und dessen
wird sich auch Banksy bewusst gewesen sein. Ein Künstler, der hier eine Anti-Zoo-Botschaft hätte verkaufen wollen, hätte wohl nicht nur andere Arten gewählt, sondern vor allem nicht den Zoo dann noch
so reich beschenkt."(4)
Wenige Tage nachdem es aufgetaucht war, wurde das Banksy-Graffity, sprich: das komplette Rolltor vom Haupteingang des Zoos entfernt – so
dass es, wie man eiligst verlautbarte, „nicht beschädigt“ werde. Ob und/oder wie es anderweitig gezeigt werden wird, blieb völlig unklar.
Inge Ofenstein
TIERBEFREIUNG #125 Dez.2024